Brüssel/London. Das Treffen der Nato zum Jubiläum steht unter einem schlechten Stern. Neben Trump könnten auch Macron und Erdogan für Krach sorgen.

Es ist eine Geburtstagsfeier mit Gruselfaktor: Wenn sich US-Präsident Donald Trump mit den anderen 28 Regierungschefs der Allianz an diesem Dienstag zum Jubiläumsgipfel der Nato in London trifft, riecht es schon von Weitem nach Krach. Statt auf 70 Jahre erfolgreiche Bündnisgeschichte zurückzublicken, schauen die meisten Teilnehmer sorgenvoll auf gleich mehrere Problemgäste.

Trump steht im Verdacht, er werde im Kreis der Verbündeten erneut einen Eklat wegen der ungleichen Lastenteilung provozieren. Ärger dürften zudem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan bereiten – sie haben im Vorfeld die Nato-Partner durch Worte (Macron) oder Taten (Erdogan) verärgert, in London könnten sich nun beide direkt in die Haare kriegen.

Das Gipfelprogramm ist ungewöhnlich kurz

Macron solle doch seinen eigenen „Hirntod überprüfen“, ätzte Erdogan am Wochenende, nachdem der Franzose die türkische Syrien-Offensive als unkoordiniert und aggressiv kritisiert hatte. Schon am Dienstagnachmittag kurz vor dem Gipfelstart kommen Macron und Erdogan mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem britischen Premier Boris Johnson zusammen, es wird vor allem um Syrien und Flüchtlinge gehen.

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    Die Begegnung könnte einen Vorgeschmack geben auf die weiteren Auseinandersetzungen. Dabei hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg doch alles getan, um schrille Töne bei der Geburtstagsparty abzuwenden und vor allem Donald Trump zu besänftigen.

    Das Gipfelprogramm ist ungewöhnlich kurz und unterhaltsam. Am Dienstagabend empfängt Queen Elizabeth II. die Regierungschefs im Buckingham Palace, im prunkvollen Rahmen soll auf die Nato-Gründung 1949 angestoßen werden. Mittwochfrüh geht es in einem Luxus-Golfhotel in Watford vor den Toren Londons weiter, schon mittags soll Schluss sein. Ausufernde Problemdebatten will die Gipfelregie so vermeiden.

    2018 hatte Trump mit Austritt der USA aus der Nato gedroht

    Den Regierungschefs sitzt noch der vorige Nato-Gipfel in den Knochen: 2018 sorgte Trump im Brüsseler Hauptquartier für Entsetzen, als er in einer langen Brandrede hinter verschlossenen Türen mit dem Austritt aus der Allianz drohte. Anlass war der Streit über die aus amerikanischer Sicht zu niedrigen Verteidigungsausgaben der Bündnispartner.

    Für den Jubiläumsgipfel hat die Nato-Spitze deshalb versucht, eine Reihe von Erfolgsmeldungen zu arrangieren, die Trump beruhigen sollen: Die Nato lässt beim US-Hersteller Boeing mit einer Milliardeninvestition die Awacs-Flotte modernisieren, beim Nato-Verwaltungsbudget entlasten die Partner die USA um 120 Millionen Euro jährlich.

    Eine von Washington angestoßene Initiative zur besseren Mobilisierung und Ausrüstung von Streitkräften kommt voran: Das Ziel, bis 2020 die Einsatzbereitschaft von je 30 Einheiten von Heer, Luftwaffe und Marine innerhalb von 30 Tagen sicherzustellen, haben die Bündnispartner nach Nato-Angaben zu 90 Prozent erreicht. Weitere Zusagen sollen beim Gipfel gemacht werden.

    Merkel wird US-Präsidenten am Mittwoch sprechen

    Und vor allem: Die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten seien deutlich gestiegen, rechnet Stoltenberg vor. Seit Trumps Amtsantritt 2016 bis zum Jahr 2020 gäben die Europäer und Kanada 130 Milliarden Dollar zusätzlich aus, bis 2024 sogar 400 Milliarden Dollar.

    Allerdings: Erst neun der 29 Nato-Staaten erreichen das vereinbarte Ziel, bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren; die Bundesregierung erklärt lässig, Deutschland werde die Verpflichtung selbstverständlich erfüllen – aber erst um das Jahr 2030.

    Trump kündigt an, Nato-Partner weiter zu tadeln

    Im Hauptquartier haben sie gehofft, dass Trump darüber hinwegsieht und mit Blick auf seinen Präsidentenwahlkampf lieber die realen Mehrausgaben der Verbündeten als Erfolg seines harten Drängens feiert. Was er auch tat: „Stoltenberg hat gesagt, wir waren verantwortlich, ich war verantwortlich dafür, dass wir mehr als 130 Milliarden US-Dollar zusätzlich von anderen Ländern bekommen, die wir beschützen, die nicht gezahlt haben“, sagte Trump.

    Aber: Bei seinem Abflug in Washington kündigte der US-Präsident aber an, die Bündnispartner – vor allem Deutschland – doch wieder tadeln zu wollen. Die USA zahlten „viel zu viel“, sagte Trump im Garten des Weißen Hauses. Die Partner seien ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen, bemängelte er. Nun würden sie „ein bisschen Lastenteilung“ betreiben müssen.

    Merkel trifft Trump am Mittwoch zum bilateralen Gespräch

    Entsprechend groß ist die Nervosität. Merkel wird mit Trump am Mittwoch zu einem bilateralen Gespräch zusammenkommen. Schon am Dienstag empfängt Trump in der Londoner US-Botschaft Macron, es dürfte ungemütlich werden: Macrons Zweifel an der Bündniszuverlässigkeit der USA und seine Kritik an den Alleingängen Trumps, die in der Diagnose „hirntot“ für das Bündnis gipfelten, haben den US-Präsidenten schwer verärgert.

    Auf deutsche und eine parallele französische Initiative wird der Streit jetzt in eine Expertengruppe ausgelagert: Der Gipfel wird einen „Reflexionsprozess“ einleiten, in dem Fachleute nach Wegen für eine bessere Zusammenarbeit suchen sollen.

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    Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte unserer Redaktion: „Die Diskussionen der letzten Wochen zeigen mir, dass die Nato quicklebendig ist. Mit unseren Verbündeten wollen wir deshalb das fortschreiben, wofür die Nato steht: eine stabile, enge und durch Werte verbundene Allianz über den Atlantik hinweg. Eine Allianz, die sich den Erhalt von Frieden und Sicherheit zur Aufgabe gemacht hat. Dem dient mein Vorschlag für einen Reflexionsprozess unter der Ägide des Generalsekretärs.“

    Ein Ergebnis soll frühestens in zwei Jahren vorliegen. Wegen des US-Wahljahrs wird 2020 kein Gipfel stattfinden, erst 2021 ist das nächste Treffen geplant.