Berlin. Die aktuelle Pisa-Studie zeigt: Schüler in Deutschland können zwar im Vergleich gut lesen. Über 50 Prozent lesen aber nur, wenn nötig.

„Harry Potter“, „Der Herr der Ringe“ oder „Die Tribute von Panem“ – die Auswahl an Jugendbüchern ist riesig. Die aktuelle Pisa-Studie mit Schwerpunkt Lesekompetenz zeigt jedoch: Deutsche Schüler können im Vergleich zwar recht gut lesen. Gerne tun sie es aber nicht.

Vor diesem Hintergrund dringt die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf einen Bildungsstaatsvertrag der 16 Bundesländer. „Die Menschen fordern zu Recht mehr Vergleichbarkeit und mehr Bildungsgerechtigkeit über Ländergrenzen hinweg“, sagte Eisenmann unserer Redaktion.

„Doch ein Nationaler Bildungsrat wäre der falsche Weg, denn er könnte nur unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Auch zeigen unsere Erfahrungen, dass es weder schneller noch besser läuft, wenn der Bund das Ruder übernimmt.“

Einen solchen Bildungsrat wollte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf den Weg bringen, scheiterte aber am Widerstand Bayerns und Baden-Württembergs. „Wir Länder selbst müssen den Bildungsföderalismus neu definieren und verbindliche und einheitliche Standards entwickeln“, forderte Eisenmann. „Deshalb arbeiten wir an einem Staatsvertrag, der das Ziel verfolgt, bundesweit vergleichbarere Schulsysteme und eine höhere Qualität durch einheitliche Bildungsstandards zu schaffen.“ Im Gegensatz zum Bildungsrat hätte der Staatsvertrag eine hohe Umsetzungskraft.

Pisa-Studie: Deutschland über Durchschnitt, Leistung stagniert aber

Alle drei Jahre testet die Pisa-Studie, wie gut 15-Jährige im internationalen Vergleich in den Feldern Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft aufgestellt sind. An der jüngsten Erhebungswelle 2018, deren Ergebnisse am Dienstag vorgestellt wurden, haben Schüler aus 37 Staaten der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) und 42 Partnerstaaten teilgenommen.

In Deutschland wurden insgesamt 5451 Schüler aus 223 Schulen getestet. Dabei mussten sie zusätzlich zu den klassischen Aufgaben auch ihre Fähigkeiten im Lesen und Verstehen von Texten auf Internetseiten beweisen.

Insgesamt zeigt die Studie, dass Schüler in Deutschland im Durchschnitt einen Text besser lesen und verstehen können (498 Punkte) als der Durchschnitt der OECD-Staaten (487 Punkte). Dabei wurden dieses Mal nicht nur die klassischen Medien wie das Buch getestet, sondern Schüler mussten außerdem beweisen, dass sie auch Texte im Internet gut lesen und verstehen können.

Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleiche (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) zeigt sich zufrieden. „Die gute Nachricht ist, dass der Großteil der Jugendlichen in Deutschland hohe Lesekompetenzen hat – eingeschlossen die Fähigkeit, relevante Informationen im Internet zu finden und zu bewerten. Der Blick auf andere Staaten zeigt: Es ist keineswegs selbstverständlich, ein solch gutes Niveau halten zu können.“ Reiss leitete den deutschen Teil der PISA-Studie.

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Lesefreude hat in Deutschland rapide abgenommen

Spitzenreiter sind die Staaten Estland (523 Punkte), Kanada (520 Punkte) und Finnland (520 Punkte). Allerdings: Verglichen mit 2009, als Lesekompetenz zuletzt Schwerpunkt der Studie war, haben sich die Werte der deutschen Schüler kaum verändert. Deutsche Schüler liegen also aktuell nur über dem Durchschnitt, weil sich die Werte der anderen OECD Staaten signifikant verschlechtert haben. Lediglich im direkten Vergleich zum Jahr 2000 hat sich die Lesekompetenz der deutschen Schüler verbessert.

Auffällig ist der Wert, den die Studie als „Lesefreude“ bezeichnet. Während die Schüler in Staaten wie der Türkei, Kolumbien und Mexiko angeben, dass sie gerne lesen, sagen in Deutschland 50,3 Prozent, dass sie nur lesen, wenn sie müssen. Im OECD-Durchschnitt haben das 49,1 Prozent geantwortet. Lediglich ein Viertel der befragten Schüler in Deutschland geben Lesen als eines ihrer liebsten Hobbys an. In den OECD-Staaten waren das im Schnitt 33,7 Prozent. Insgesamt hat die Lesefreude in Deutschland im Vergleich von 2009 und 2018 durch alle Schulformen hinweg rapide abgenommen.

Rund ein Fünftel der Schüler kann nur sehr schlecht lesen

Besonders stark angestiegen ist der Anteil der Schüler, die sehr schlecht lesen können. Rund 20,7 Prozent der deutschen Fünfzehnjährigen erreichen lediglich Stufe 1 oder weniger der insgesamt 6 Kompetenzniveaus. Das ist im Vergleich zu 2009 einen Anstieg von 3 Prozentpunkten. Der OECD-Durchschnitt liegt hier bei 22,6 Prozent.

Betroffen sind vor allem die Schüler, die Schulformen unterhalb des Gymnasiums besuchen. Während Gymnasiasten im Schnitt einen Wert von 578 Punkten erreichen, liegen die anderen Schulformen lediglich bei 458 Punkten. „Aus diesem Ergebnis sollten Konsequenzen gezogen werden. Die Bildungsforschung zeigt, dass es besonders wirksam ist, Kinder von der Vorschule bis zum Ende der Schulzeit lückenlos beim Lesen zu fördern. Das geschieht bislang trotz aller Anstrengungen wohl immer noch zu wenig“, sagt Reiss.

Nur gut jeder zehnte deutsche Schüler ist überdurchschnittlich gut und erreicht ein Kompetenzniveau von 5 beziehungsweise 6. Hier konnte Deutschland sich zu 2009 um 4 Prozent verbessern. Dieser Wert liegt signifikant über dem OECD-Durchschnitt (8,7 Prozent).

Kinder aus Arbeiterfamilien lesen immer besser

Im Vergleich zu den anderen OECD-Staaten ist der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Lesekompetenz besonders stark ausgeprägt. Das bedeutet: Schüler, die aus einer soziale schwachen Familie kommen, können im Schnitt schlechter lesen als solche, deren Eltern sozioökonomisch besser gestellt sind. Gleichzeitig haben sich die Werte von Jugendlichen aus Arbeiterfamilien kontinuierlich verbessert.

In den anderen sozialen Schichten blieben die Fähigkeiten gleich. Kinder aus sozialschwachen Familien werden besonders in den skandinavischen Staaten, den Niederlanden und der Italien besonders gut aufgefangen. Dort ist der Zusammenhang von familiärem Hintergrund und Leseleistung deutlich niedriger als in Deutschland. Auch eine OECD-Studie befand zuletzt, dass Chancengleichheit in Deutschland nicht ernst genommen werde.

Mädchen sind besser als Jungen, Zuwanderer können unterschiedlich gut lesen

Betrachtet man alle OECD-Staaten, wird deutlich, dass Mädchen im Vergleich zu Jungen deutlich besser Texte lesen und verstehen können. Insgesamt haben sie einen Vorsprung von im Schnitt 30 Punkten. In Deutschland ist der Unterschied mit 26 Punkten etwas geringer.

Bei zugewanderten Jugendlichen ist die Fähigkeit zu lesen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Durchschnitt können sie etwas schlechter lesen (472 Punkte) als ihre deutschen Mitschüler (524 Punkte). Dabei ist der Unterschied zwischen den Generationen jedoch sehr hoch: Während die erste Generation der zugewanderten Jugendlichen 2018 ein deutlich schlechteres Ergebnis erzielt als noch 2009, konnte sich die zweite Generation erkennbar verbessern.

In Mathe deutlich schlechter, bei Naturwissenschaften auf Platz 12

Im Vergleich zu den Leistungen der anderen OECD-Staaten liegen die deutschen Schüler mit 500 zu 489 Punkten in Mathe über dem Durchschnitt. Nichtsdestotrotz haben sie sich zu 2012 deutlich verschlechtert.

Besonders der Anteil der leistungsschwachen Schüler ist erheblich gestiegen: Rund ein Fünftel der Schüler verfügt lediglich über rudimentäre Kenntnisse im Bereich der Mathematik. Dabei entfallen 30 Prozent dieser Schüler auf das Gymnasium, was eine besonders große Gruppe ausmacht.

Auch im Bereich der Naturwissenschaften liegen deutsche Schüler mit 503 Punkten signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (489 Punkten). Vergleicht man die Leistungen von Mädchen und Jungen, wird deutlich, dass sie sowohl in Deutschland, als auch im OECD Durchschnitt, gleich aufliegen.

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