Berlin. Das Gutachten eines renommierten Juristen sieht Verstoß gegen Grundgesetz in Heils Entwurf. Ungleiches wird demnach gleich behandelt.

Wenn die SPD für die Grundrente wirbt, dann tut sie das mit dem Argument der Gerechtigkeit. Wer 35 Jahre lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt habe, der solle im Alter mehr haben als jemand, der nicht gearbeitet hat. „Denn das ist eine Frage der Anerkennung und Gerechtigkeit“, heißt es auf der Internetseite der Partei.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Glaubt man dem Gutachten eines renommierten Sozialrechtlers, dann ist ausgerechnet die Grundrente ungerecht. Der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf verstoße gegen das Grundgesetz, schreibt Heinz-Dietrich Steinmeyer, Professors für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster. Das Kurzgutachten, das er erstellt hat, liegt unserer Redaktion vor.

Grundrente: Gesetzentwurf als verfassungswidrig eingestuft

Steinmeyer, der in Fachkreisen hohe Anerkennung genießt und mehrfach für Heils Ministerium und für die Rentenversicherung tätig war, wählt in seinem vierseitigen Papier deutliche Worte. Er schreibt, der Gesetzentwurf zur Grundrente schieße „in verfassungswidriger Weise über das Ziel hinaus“. Den Plänen fehle es auch „in verfassungswidriger Weise an der Zielgenauigkeit“.

Hubertus Heil will die Grundrente.
Hubertus Heil will die Grundrente. © dpa | Carsten Koall

Auftraggeber des Gutachtens ist die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Der Verein kritisiert seit längerem die Rentenpolitik der großen Koalition und schießt auch jetzt gegen die Grundrente. Sie sei zu teuer und unseriös finanziert. Nun kommen rechtliche Argumente dazu.

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Gesetzgeber müsste die Regelung erstmal begründen

In seinem Gutachten hebt der Experte Steinmeyer zunächst ein Grundprinzip der Rentenversicherung hervor: Zwischen den eingezahlten Beiträgen und den später ausgezahlten Leistungen müsse es eine „Äquivalenz“ geben. Das bedeutet: Die spätere Rente entspricht den während des Erwerbslebens eingezahlten Beiträgen. Errechnet wird dies mit Hilfe der bekannten Rentenpunkte.

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Bei der Grundrente sei das anders, so Steinmeyer. Sie führe dazu, dass nicht mehr alle Arbeitnehmer und Rentner gleich behandelt würden. Sie würden für gleich hohe Beiträge unterschiedlich hohe Rentenansprüche erhalten. Dies sei zwar möglich, müsse aber vom Gesetzgeber begründet werden, zum Beispiel mit dem Ausgleich konkreter Nachteile. Das habe das Bundesverfassungsgericht in bereits ergangenen Urteilen gefordert.

Es sei beispielsweise zulässig, Kindererziehungszeiten in der Rente zu berücksichtigen. Dabei werde konkret ein Nachteil ausgeglichen, der durch Kindererziehung in der Erwerbsbiografie entstehe. Solch eine Rechtfertigung gebe es bei der Grundrente nicht. Sie verstoße deshalb gegen Artikel drei im Grundgesetz, demzufolge alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

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„Ungleiches wird also gleich behandelt.“

„Der vorliegende Referentenentwurf stellt nicht auf die Kompensation konkreter erlittener Nachteile ab“, schreibt Steinmeyer, „sondern wertet pauschal die Entgeltpunkte für unterdurchschnittliche Einkommen auf.“ Dabei werde keine Rücksicht darauf genommen, „warum es zu diesen niedrigen Einkommen gekommen ist“. Daraus ergebe sich: „Ungleiches wird also gleich behandelt.“ Diese Ungleichbehandlung „wird noch krasser“, wenn die Rente eines Versicherten auch über 35 Versicherungsjahre hinaus aufgewertet wird.

Das Urteil des Juristen: „Damit erweist sich der Ansatz einer pauschalen Grundrente ohne Rücksicht auf besondere Nachteile oder Notlagen als verfassungswidrig.“

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Weiterer Punkt als juristisch anfechtbar eingestuft

Steinmeyer hält die Grundrente auch in einem weiteren Punkt für juristisch anfechtbar. Dabei geht es um den Freibetrag, den Minister Heil in der Grundsicherung vorgesehen hat. Wer die Grundrente bekommt, soll sie – anders als heute – nicht auf die staatliche Grundsicherung angerechnet bekommen. Steinmeyer argumentiert, dass das nicht möglich sei, weil sich der Bezug der Grundsicherung nach dem individuellen Bedarf richte. Entweder man brauche diese staatliche Hilfe oder nicht: „Es ist aber nicht Aufgabe der Sozialhilfe, eine allgemeine Verbesserung einer bestimmten Gruppe von Rentenbeziehern zu gewährleisten.“

Der Experte kritisiert, dass Minister Heil mit seinen Plänen das beitragsbezogene System der Rente teilweise umwandeln wolle in ein System, in dem es um die Bedürftigkeit bestimmter Personengruppen gehe. „Es zeigt sich, dass eine Vermischung von Systemen zu Widersprüchlichkeiten führt, die die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschreiten.“

Steinmeyers Analyse deckt sich mit juristischen Bedenken, die auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände bereits im Februar geäußert hatte. Damals hatte Arbeitsminister Heil erste Eckpunkte für die Grundrente präsentiert.

„Die geplante Grundrente hätte zur Folge, dass gleich hohe Rentenbeiträge künftig zu ganz unterschiedlich hohen Rentenleistungen führen können“, hieß es darin. Das widerspreche dem bislang geltenden Grundsatz, dass sich die Höhe der Rente nach den zuvor eingezahlten Beiträgen richte und damit nach der Leistungsgerechtigkeit.