Berlin. Die Wirtschaft boomt, aber nicht unbedingt im Osten. Viele Umstände erschweren die Entwicklung. Eine Studie erklärt, was wichtig ist.

30 Jahre nach dem Mauerfall: Die Wirtschaft boomt, der Überschuss im Bundeshaushalt ist der höchste seit der Wiedervereinigung, die Arbeitslosenzahlen liegen auf einem Rekordtief. Alles blendend, könnte man meinen.

Wären da nicht auch diese Zahlen: Im Osten des Landes liegt das Brutto­inlandsprodukt je Erwerbstätigem noch immer 20 Prozent unter dem des Westens. Das Wirtschaftswachstum ist dort bis heute geringer, trotz deutlich niedrigerer Ausgangswerte.

Warum, zeigt ein aktueller Bericht vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. „Das liegt nicht nur an den fehlenden Konzernzentralen in den Ost-Bundesländern, wie immer vermutet wird“, sagt Hauptautor Reint Gropp. „Ostdeutsche Betriebe sind im Schnitt unproduktiver.“ Die wesentlichen Erkenntnisse der Studie im Überblick.

• Die Subventionspolitik war falsch

Tatsächlich haben 464 der größten 500 deutschen Unternehmen, also 93 Prozent, ihren Sitz im Westen der Republik. Große Betriebe sind produktiver als kleine. „Das ist allerdings nur ein Teil der Geschichte“, so Gropp. „Vergleicht man Unternehmen gleicher Größe, sind die in Ostdeutschland etwa 20 Prozent weniger produktiv als im Westen.“

Der Grund: Die Subventionen sind laut Studie an die falschen Stellen geflossen. Demnach wurden vor allem alte, unproduktive Industriebetriebe auf dem Land erhalten. Das habe vielleicht politisch Sinn gehabt – man hat Arbeitsplätze geschaffen und im Gegensatz zu anderen Industrieländern für mehr Gleichheit zwischen Stadt und Land gesorgt.

„Aus wirtschaftlicher Sicht war es falsch“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Anders als im Westen und anderen Industrienationen seien der „Wachstumsmotor Dienstleistungen“ und die Städte vernachlässigt worden.

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    • Potenziale werden nicht ausgenutzt

    „In der Bevölkerung werden aktuell die Potenziale nicht ausgeschöpft“, so Gropp. Entscheidend dafür seien vor allem die Ausgaben für Bildung und Forschung, die im Osten deutlich geringer ausfielen. Stichwort Hochschulen: Die hingen im Schnitt noch immer hinter den westdeutschen hinterher.

    Die öffentlichen Ausgaben seien zwar ähnlich, doch es flössen weniger private Gelder an die Hochschulen.

    Zudem gebe es in Ostdeutschland mit der TU Dresden lediglich eine Exzellenz-Universität. „Weltweit haben sich die innovativsten Regionen um die besten Unis angesiedelt, zum Beispiel in Boston oder im Silicon Valley.“ Investitionen in erstklassige Hochschulen zahlten sich also auf lange Sicht für die Standorte aus.

    Und nicht zuletzt: Im Osten gibt es laut der Studie mit 10 Prozent etwa doppelt so viele Schulabbrecher wie im Westen. Die Gründe dafür sind unklar. Laut Gerhard Heimpold, Mitautor der Studie, könne es unter anderem an der Ausstattung der Schulen mit Lehrern liegen.

    „Die haben vermutlich weniger Zeit, sich um die zu kümmern, denen es schwerer fällt, weil vielleicht Arbeitslosigkeit in der Familie eine große Rolle spielt.“

    • Der Osten hat ein Image-Problem

    Wachstum entstehe vor allem durch innovative junge Unternehmen, weniger durch den Ausbau alter, sagt Gropp. Daran mangele es jedoch den Ost-Ländern. Die Autoren der Studie vermuten ein Imageproblem.

    Flächenländer versuchten in ihren Werbefilmen vor allem, mit viel billigem Land und der Autobahnauffahrt zu locken, Ballungsräume mit besonders vielen Start-ups hingegen, etwa Berlin oder Hamburg, mit „Spaß haben“.

    Die Ost-Länder müssten daher versuchen, ihr Image dahingehend zu ändern, vor allem das der Städte. Ländliche Regionen seien dafür generell unattraktiv.

    • Ausländische Fachkräfte fehlen

    Auch nach außen hin attestieren die Forscher dem Osten weniger Strahlkraft als dem Westen: Der für ganz Deutschland prognostizierte Mangel an Arbeits- und Fachkräften wird sich, so die Studie, in den Ost-Ländern deutlich stärker bemerkbar machen.

    Zwar sinkt in beiden Teilen des Landes der Anteil der Erwerbstätigen bis 2030 – im Osten jedoch nochmal 20 Prozent stärker als im Westen. Das liegt nicht nur daran, dass der Osten ohnehin älter ist. „Den West-Ländern ist es besser gelungen, diesem Trend entgegenzuwirken, indem sie Fachkräfte aus dem Ausland angelockt haben“, sagt Gropp.

    Die fehlten dem Osten. „Dadurch kann es sein, dass sich auch in Zukunft viele Unternehmen im Osten gar nicht erst ansiedeln, weil sie sich Sorgen machen, nicht genügend Fachkräfte zu finden.“

    • Was folgt daraus?

    In erster Linie: besser investieren. Wirtschaftliche Fördergelder sollten künftig vor allem in Städte und besonders produktive Unternehmen fließen, so Gropp. „Wir sollten aufhören, dort auf Teufel komm raus Arbeitsplätze zu erhalten“, empfiehlt er mit Blick auf das Land.

    „Dieses Bestehen auf gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland hat in die Irre geführt.“ Gleichheit sei gar nicht das Ziel. Ländliche Räume müssten sich auf ihre Stärken konzentrieren. In München stehe man im Stau, die Wohnungen seien teurer, die Luft schlechter. Im Harz sehe das ganz anders aus. „Es gibt Leute, die ziehen das eine dem anderen vor.“ Gleichzeitig müsse der Osten attraktiver für qualifizierte Fachkräfte werden.

    Ostdeutsche Spitzenpolitiker kritisierten die Studie scharf. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schrieb auf Twitter, er sei „empört“ über die Vorschläge des IWH-Präsidenten. „Was soll denn bitte die Konsequenz daraus sein?“, fragte Ramelow. „Wüstungen?“ Reiner Haseloff, sein Amtskollege aus Sachsen-Anhalt, bewertete die Vorschläge dem MDR gegenüber als falsch.

    Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht die Ergebnisse des Papiers nicht als Anlass, die Politik des Freistaats zu ändern. Er will an seiner Strategie festhalten, die Metropolen wie auch die Regionen zu entwickeln. „Wir haben höhere Förderquoten für Unternehmensansiedlungen außerhalb der Metropolen und haben die Entscheidung getroffen, alle Orte an das schnelle Internet anzuschließen.“