Berlin. Kevin Kühnert ist das Gesicht der GroKo-Kritiker-Bewegung in der SPD. Kann der Juso-Chef am Sonntag die Parteispitze zu Fall bringen?

Der Rebell trinkt Pfefferminztee. Kevin Kühnert kommt eher unscheinbar daher. Das Gesicht der No-GroKo-Bewegung in der SPD wirkt viel jünger als 28. „Babyface“ hätte man früher auf dem Schulhof gesagt. Er trägt ausgewaschene Jeans, schwarze Outdoor-Jacke, dazu Sneakers. Vor der Tür noch schnell ein letzter Zug an einer Kippe.

Drinnen im „WAU“, das smarte Café des Theaters „Hebbel am Ufer“ in Berlin-Kreuzberg, nur ein paar Schritte von der SPD-Zentrale entfernt, schlürfen Schauspieler, Tontechniker und Maskenbildnerinnen ihre Milchkaffees, bevor es zur nächsten Probe klingelt. Auf den Juso-Chef wartet die große Bühne an diesem Sonntag beim Sonderparteitag in Bonn.

Der Politikstudent, der nebenbei für einen Berliner Abgeordneten arbeitet und selbst in der Kommunalpolitik aktiv ist, ist zum großen

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aufgestiegen. Bekommt der SPD-Vorsitzende Schulz keine Mehrheit der 600 Delegierten für Koalitionsverhandlungen mit der Union, dürfte ein Rücktritt unausweichlich sein.

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Mit 15 Jahren Praktikum bei der SPD

Kühnert, der seit Wochen gegen die GroKo trommelt, im Netz Unterschriften sammeln lässt und in den entscheidenden Tagen vor dem Parteitag auf Deutschland-Tour Nein-Sager ermutigt, wäre dann einer der Königsmörder. Wer ist dieser junge Mann, der erst seit November an der Spitze der Jusos steht und nun die Alphatiere in der Parteiführung zittern lässt?

Kühnert ist ein Berliner Junge. Der Vater Finanzbeamter, die Mutter arbeitet im Jobcenter. Einzelkind, Schülersprecher, aber kein Streber, wie er von sich selbst sagt. Durchschnittliches Abitur. Mit dem Vornamen Kevin hat er es nicht immer leicht. Die Auflösung: Seine Mutter ist HSV-Fan, verehrte den englischen Stürmerstar Kevin Keagan, als der beim Bundesliga-Dino kickte.

Politik fesselt ihn. Seinen Schulleiter, einen überzeugten, kritischen Sozialdemokraten, bewundert er. Mit 15 Jahren macht Kühnert ein Praktikum bei der SPD. Danach tritt er in die älteste deutsche Partei ein. Es ist das Jahr 2005. Die politische Lage ist ähnlich aufgeladen wie heute. SPD-Kanzler Gerhard Schröder, angezählt von der parteiinternen Dauerkritik an seinen Hartz-Arbeitsmarktreformen, setzt nach der verlorenen Landtagswahl in NRW auf Neuwahlen, die er letztlich knapp verliert. Angela Merkel wird Kanzlerin.

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    Großvater folgte Kühnert in die SPD

    „Ich würde mich größer machen als ich bin, wenn ich behaupten würde, als Agenda-Kritiker in die SPD eingetreten zu sein“, sagt Kühnert im Rückblick. Wie stehen seine Eltern zu seinem politischen Engagement? „Die können ganz gut damit leben.“

    Seine politische Verortung links sei keine Rebellion gegen sein Elternhaus. Der Opa ist besonders stolz auf den plötzlich prominenten Enkel: „Er ist nach mir eingetreten. Im zarten Alter von 75!“ Zum Abschalten schaltet Kühnert ein – Sportsendungen. Wenn ein Juso-Treff mal bis in die Nacht dauert, guckt er notfalls Zweite Liga Eishockey oder Curling.

    Beim Fußball drückt er Tennis-Borussia Berlin die Daumen. Der Club spielte in den 1970er Jahren kurzzeitig in der Bundesliga. In der Nazi-Zeit mussten viele jüdische Vereinsmitglieder TB verlassen. Kühnert berichtet, noch heute bekomme er das als Fan bei Auswärtsspielen im Osten zu spüren. Das sei mitunter ein Spießrutenlauf.

    Jusos stärken Kühnert mit 100-Prozent-Votum

    Bei der Frage, wer in der SPD-Ahnengalerie ein Vorbild für ihn war, denkt er länger nach. Dann fällt der Name Regine Hildebrandt. Die 2001 gestorbene brandenburgische Wende-Politikerin und Ministerin, oft als „Mutter Courage des Ostens“ beschrieben, imponierte ihm als Teenie. „Mit ihrer Kodderschnauze. Ich mochte Leute, die aus der Rolle gefallen sind. Sie ist sehr bei sich geblieben, hat sich nicht in den Politikersprech reindrücken lassen.“

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      Der Tee ist längst kalt, da nähert sich das Gespräch dem Kern des SPD-Konflikts. Kann er mit der Bürde ruhig schlafen, unter Umständen Schulz zu Fall zu bringen? Er könne ohne Gewissensbisse morgens in den Spiegel schauen, sagt Kühnert. Er und die Jusos wollten sich nicht inszenieren, um aus der Bredouille der SPD-Spitze nach dem Jamaika-Aus PR-Kapital zu schlagen.

      „Unsere Argumente werden nicht in der Luft zerrissen, und wir sind überzeugt, das Richtige zu tun.“ Der Jungsozialist ist kein Solist. Er hat ein 100-Prozent-Votum der SPD-Nachwuchsorganisation in der Tasche. Bei den Jusos sind 70.000 Leute dabei. Im Wahlkampf als Plakate-Kleber und Netzaktivisten unverzichtbar, stellen sie beim Parteitag nur einen Bruchteil der Delegierten. Aber sie können die Stimmung beeinflussen. Dafür gibt es zahlreiche Belege.

      SPD-Spitze ist nicht gut auf Kühnert zu sprechen

      Kühnerts Vorgängerin Johanna Uekermann war im Dezember 2015 maßgeblich daran beteiligt, dass der damalige Vorsitzende Sigmar Gabriel bei seiner Wiederwahl mit nur 74 Prozent abgestraft wurde. Es war der Anfang vom Ende der Ära Gabriel. Uekermann hatte Gabriel unterstellt, null Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Der Vizekanzler stürmte nach vorn, machte Uekermann rhetorisch nieder.

      Kevin Kühnert beim SPD-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt.
      Kevin Kühnert beim SPD-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

      Kühnert würde so einen Vorfall eher nicht provozieren. Er polemisiert nicht, sondern versucht, analytisch zu überzeugen. Seine Sorge: Noch mal vier Jahre GroKo entkernen die SPD vollends.

      In der Parteispitze sind sie selbstredend nicht gut auf ihn zu sprechen. Kühnert habe beim Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt, der mit einer hauchdünnen Ein-Stimmen-Mehrheit gegen GroKo-Verhandlungen stimmte, in seiner umjubelten Rede etwa in der Rentenpolitik nicht ganz sauber argumentiert.

      Kühnert wünscht sich eine Frau an der SPD-Spitze

      Fraktionschefin Andrea Nahles, die einst als Juso-Chefin selbst einen Vorsitzenden (Franz Müntefering) zur Strecke brachte, nervt offensichtlich der Rummel um Kühnert. Die GroKo-Gegner würden die Sondierungserfolge der SPD „mutwillig“ kleinreden. Sie selbst sei ja Juso-Spitzenfrau gewesen, sagte sie kürzlich, aber Kühnerts Position teile sie „in keinster Weise“.

      Der bleibt hart. Von Nachverhandlungen mit der Union hält Kühnert nichts. „Wir sollten uns nicht selber belügen.“ Er wolle der SPD nicht schaden. Jeder könne bei seinen Auftritten hören und in seinen Interviews (um die 250 seit November) ablesen, dass er seinen Widerstand nicht „blind exekutiere“.

      Aber wenn Schulz scheitert, wäre der angerichtete Schaden nicht doch maximal? „Ich bin nicht naiv. Mir sind die ungeschriebenen Gesetze des Politikbetriebs bewusst. Aber für mich, für die Jusos muss niemand zurücktreten, und wir werden auch niemanden dazu auffordern.“ An der SPD-Spitze wünscht sich Kühnert dennoch bald ein neues, weibliches Gesicht. „Es ist einfach kein Zustand, dass eine über 150 Jahre alte Partei nie eine Vorsitzende hatte.“