Berlin. Die Zahl antisemitischer Delikte ist in Deutschland leicht gestiegen. Experten vermuten ein „rechts verzerrtes Bild“ der Tatmotive.

Im ersten Halbjahr 2017 wurden insgesamt 681 antisemitische Delikte in Deutschland erfasst. Damit ist ein leichter Anstieg von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Der Antisemitismus sei ein „Riesenproblem“, sagte der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil im „Welt“-Wahlchat. „Rechtsradikale und Neonazis bedrohen Menschen jüdischen Glaubens. Das ist nicht akzeptabel.“

Die Zahlen gehen aus der Antwort der Bundesregierung auf die schriftlichen Fragen des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck hervor, die der „Welt“ vorliegt. Demnach sind antisemitische und antiisraelische Delikte im Vergleichszeitraum zum Vorjahr von 654 auf 681 gestiegen. Die Zahl der Fälle von Volksverhetzung (von 425 auf 434) ist ebenso leicht gestiegen, während Propagandadelikte im vergangenen Vorjahr leicht zurück gingen (von 106 auf 94).

Dunkelziffer liege wohl deutlich höher

Bei diesen Delikten handle es sich jedoch nur um die „Fälle, bei denen sich die Betroffenen getraut haben, zur Polizei zu gehen“, sagte Beck der „Welt“. „Die Dunkelziffer, steht zu befürchten, ist wohl deutlich höher.“

Daneben würden Experten bezweifeln, dass alle diese Delikte „rechtsextremistisch motiviert“ seien – etwa 93 Prozent (632 von 681) sind laut Bericht der Bundesregierung von Rechtsradikalen begangen worden. Darunter wurden „Juden raus“-Schmierereien generell als „rechtsextrem motiviert“ ausgewiesen, obwohl diese Parole auch in islamistischen Kreisen populär sei.

„Möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild“

Im Bericht des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ gaben unter den befragten Juden in Deutschland rund acht Prozent an, Angehörige oder Bekannte seien „in den letzten zwölf Monaten“ körperlich attackiert worden. Auch von „verbalen Beleidigungen/Belästigungen“ waren bisweilen 36 Prozent betroffen und 52 Prozent sprachen von „versteckten Andeutungen“. Hierbei wurden „besonders häufig muslimische Personen als Täter angegeben“, so die Autoren.

In der Darstellung, von wem antisemitische Taten tatsächlich ausgehen, gebe es eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen und den polizeilichen Statistiken, so Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, unter Berufung auf den Bericht. „Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis“, hieß es weiter.

Beck fordert „klare Kante“

Angesichts der gestiegenen Zahlen fremdenfeindlicher und antisemitischer Straftaten äußerte sich Beck folgendermaßen: „Wir brauchen in Deutschland endlich eine klare Kante gegen Antisemitismus in all seinen Formen“. Man dürfe den Kampf gegen Antisemitismus nicht den jüdischen Verbänden überlassen, sondern müsse es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher leben können. (kk/epd)