Berlin. Eine kleine Denkfabrik in Berlin hat den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei entworfen. Nun tüftelt sie an einem Plan – für Italien.

  • Eine Denkfabrik aus Berlin tüftelt an einer Lösung für die Flüchtlingskrise im Mittelmeer
  • Der Chef lieferte schon die Idee für den Türkei-Deal
  • Er rät nun zu einem ähnlichen Vorgehen in der Mittelmeer-Krise

Der Mann, der als Architekt von Angela Merkels Türkei-Deal gilt, sagt über seinen Job, dass er im Grunde ein Vertreter ist. Zwar kein Vertreter, der Haushaltsgeräte an den Kunden verkauft – doch auch Gerald Knaus handelt mit einer Ware: Er verkauft Ideen. Sein bislang größter Wurf war

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, das seit März 2016 das massenhafte Sterben in der Ägäis beendet hat. Nun versucht der Politikberater Knaus eine zweite, große Idee zu verkaufen.

Knaus steht in T-Shirt und Jeans in einer kleinen Kreuzberger Altbauwohnung. Zwischen Regalen voller Aktenordner zeigt er auf ein Foto, das an der Wand hängt: Eine Festung in der zweitgrößten bosnischen Stadt Banja Luka. „In Bosnien haben wir nach dem Kosovo-Krieg unseren Think Tank gegründet“, sagt der 47-jährige Politikberater.

Die kleine Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI) hat heute in der Berliner Altbauwohnung ihren Sitz. Ihre Agenda passt zum Bild, das da an der Wand hängt. Denn der gebürtige Österreicher und sein Team von zwölf Mitarbeitern wollen verhindern, dass Europa unter dem Druck der

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zur Festung wird.

Alles beginnt mit einem Aufsatz

Der Politikberater Gerald Knaus gilt als Erfinder des Flüchtlingspakts mit der Türkei.
Der Politikberater Gerald Knaus gilt als Erfinder des Flüchtlingspakts mit der Türkei. © ESI | ESI

Die Geschichte von Gerald Knaus erzählt von der Karriere einer Idee, aus der die Politik schließlich Paragrafen und Verträge zimmerte. Als im Jahr 2015 die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte und das

um die Welt ging, schrieb Knaus einen Aufsatz: „Warum niemand in der Ägäis ertrinken muss.“ Im Kern schlug er darin eine Zusammenarbeit mit der Türkei vor, um den Andrang der Flüchtlinge zu bremsen.

Er schickt die zehn Seiten per E-Mail an europäische Regierungen, zudem an Mitarbeiter der EU-Kommission und an Journalisten. Später verschickt Knaus einen präzisierten Bericht mit dem kühnen Titel „Merkel-Plan“, auch wenn er der Kanzlerin nie persönlich begegnet ist. Dieser wird in der EU-Kommission diskutiert, die Ideen bahnen sich ihren Weg bis in den Planungsstab des Auswärtigen Amts.

Auf Interesse stößt der Vorschlag auch bei Diederik Samson, dem Chef der Sozialdemokraten in den Niederlanden. Der wiederum hat einen engen Draht zum Ministerpräsidenten Mark Rutte. Die Stimme seines Landes hat Gewicht in der EU, weil es gerade die Ratspräsidentschaft innehat. Zur obersten Priorität erklären die Niederländer in diesem Frühjahr 2016: die Migration. Knaus’ Papier trifft also den Nerv. „Schließlich haben wir unsere Idee Abgeordneten und Beamten in Berlin, Den Haag, Stockholm, Athen und Ankara präsentiert“, sagt Knaus.

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Migranten warten am 25.07.2017 auf dem Mittelmeer, ungefähr 15 Meilen nördlich von Sabratha, Libyen, darauf, von Helfern der NGO „Proactiva Open Arms“ gerettet zu werden. Über 120 Migranten wurden an diesem Tag gerettet, während 13 weitere, darunter Frauen und Kinder, auf einem überfüllten Gummifloß nach Angaben einer spanischen Rettungsorganisation ums Leben gekommen waren. Die Europäische Union sieht konkrete Chancen, erstmals direkt in den libyschen Hoheitsgewässern gegen Schleuserbanden vorzugehen. (zu dpa „EU erwartet grünes Licht für Ausweitung von Libyen-Einsatz“ vom 27.07.2017) Foto: Santi Palacios/AP/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
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„Im Grunde geht es darum Kontrolle und Menschenrechte zu verbinden.“ Übersetzt

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, dass jeder Flüchtling, der mit einem Boot in Griechenland landet, nach einem individuellen Asylverfahren in die Türkei zurückgeführt wird, wenn dieser dort sicher ist – und die EU im Gegenzug syrische Flüchtlingen direkt von dort aufnimmt und Syrer in der Türkei finanziell unterstützt. Knaus lieferte mit seinem zehnseitigen Plan die Blaupause für den Türkeideal, den es ohne ihn in dieser Form wohl nicht geben würde.

„Rom-Plan“ soll Migration lenken

Nun arbeitet 47-Jährige an einem neuen Plan. Er sitzt am Schreibtisch in der Berliner Altbauwohnung, darauf liegt nur das Nötigste: Ein paar Papiere, ein Laptop, Notizzettel. Knaus ist viel unterwegs, das ESI hat kleine Außenstellen in Brüssel, Istanbul und Wien. Das ESI ist ein gemeinnütziger Verein, Geldgeber sind die schwedische Entwicklungshilfe und die deutsche Mercator-Stiftung.

Zurzeit reist Knaus, der in Oxford, Brüssel und Bologna Wirtschaft studiert hat, oft nach Italien. Bis zur Jahreshälfte registrierte Italien 65.000 Flüchtlinge aus Afrika. In den Sommermonaten steigt die Zahl der Überfahrten – und

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Ein überfülltes Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer etwa 60 Kilometer nordwestlich von Tripolis vor der libyschen Küste.
Ein überfülltes Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer etwa 60 Kilometer nordwestlich von Tripolis vor der libyschen Küste. © dpa | Bundeswehr

Knaus trommelt überall dort nun für sein neuestes Papier: den „Rom-Plan“. Es überträgt das Prinzip des Türkei-Deals auf afrikanische Herkunftsstaaten. „Wir brauchen Abkommen mit Ländern wie Nigeria, Senegal, Elfenbeinküste und Gambia“, sagt er. Um das zu untermauern, holt er ein Blatt Papier hervor: Von fast 40.000 Flüchtlingen allein aus Nigeria im vergangenen Jahr haben die italienischen Behörden nur 500 Asyl nach der Genfer Konvention gewährt.

Abkommen mit Signalwirkung

„Doch auch wer keinen Schutz bekommt bleibt in Italien, weil seitens der Herkunftsländer kein Interesse besteht, die Menschen zurückzunehmen“, sagt Knaus. Der „Rom-Plan“ sieht vereinfacht gesagt vor: Von einem Tag X an nehmen die westafrikanischen Länder ihre Staatsbürger wieder auf, wenn diese in Aufnahmezentren im südlichen Mittelmeer kein Asyl gewährt wurde.

Als Gegenleistung versorgt die EU die Herkunftsländer mit humanitärer Unterstützung und bietet legale Migrationsmöglichkeiten. „Das hätte für die Menschen in den Ländern Signalwirkung, dass sich die lebensgefährliche Flucht nicht lohnt“, so der 47-Jährige. Er nennt es „strategisches Abschieben“ jener, die keinen Schutz brauchen.

Weltflüchtlingstag: "Flucht ist kein Verbrechen"

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    Das Handy von Knaus vibriert. Es ist ein ranghoher griechischer Beamter, der Fragen zu einem Interview hat, das Knaus einer Lokalzeitung auf der griechischen Insel Chios gegeben hat. Auf der kleinen Insel warten Tausende Flüchtlinge auf ihre Asyl-Entscheidung, vor kurzem zündete sich ein syrischer Mann aus Verzweiflung selbst an. Was sich auf dem Papier gut liest, wie der „Merkel-Plan“, muss noch lange nicht in der Realität reibungslos funktionieren. Das weiß auch Knaus.

    „Wir müssen trotzdem weiter nach einer Antwort suchen, wie wir die Zahl der Flüchtlinge begrenzen, ohne Zäune hochzuziehen“, ist er überzeugt. In der Sprache Merkels: Aufgeben ist keine Kategorie. Erst recht nicht mit der Erfahrung, die Knaus mit seinem „Merkel-Plan“ gemacht hat und die gezeigt hat: Eine Idee zur rechten Zeit setzt sich durch.