Berlin. Mit Martin Schulz erwächst Angela Merkel ein echter Konkurrent. Doch wofür steht Schulz? Seine Stärke ist gleichzeitig seine Schwäche.

„Er hat die besseren Chancen“, konstatierte Sigmar Gabriel knapp, als der Noch-SPD-Chef am Dienstagabend gefragt wurde, warum er Martin Schulz den Vortritt lässt bei der Kanzlerkandidatur. Die Umfragen, in denen Schulz meist deutlich besser abschneidet als Gabriel, scheinen diese Einschätzung zu stützen.

Doch liegt Gabriel mit seiner Analyse richtig? Hat Schulz, der Mann aus Würselen in NRW, wirklich das Zeug dazu, Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagswahl im September herauszufordern? Der Spitzenkandidaten-Check.

• Der Unbelastete. Martin Schulz (61) kommt von außen in das „Raumschiff Berlin“. Das verschafft ihm eine gewisse Beinfreiheit. Anders als Gabriel, der die letzten drei Jahre unter Kanzlerin Merkel als Minister diente, kann somit der Neue die Regierungschefin im Wahlkampf attackieren, ohne direkt Glaubwürdigkeitsprobleme zu bekommen.

Gleichzeitig kennt er die Kanzlerin bestens aus ungezählten Gipfelrunden in Brüssel; er weiß, wie sie tickt und taktiert. Er weiß auch, wo Merkels Schwachstellen liegen. Ein Vorteil für Schulz.

Schulz kündigt Wahlkampf um soziale Gerechtigkeit an

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    • Der Unbekannte. Zwar kennen die deutschen Wähler Martin Schulz aus den Medien, wo er als EU-Parlamentspräsident beinahe so präsent war wie Merkel. In der europäischen Flüchtlingspolitik hat sich der SPD-Mann klar positioniert, er ist eher auf Merkels „Wir schaffen das“-Kurs. Doch innenpolitisch ist Schulz in Deutschland bisher weitgehend eine Leerstelle.

    Bei wichtigen Themen wie Steuern, Rente, Innere Sicherheit muss sich der Neuzugang aus Brüssel erst noch positionieren. Das geht nicht mal ebenso mit einer Rede, und acht Monate – Sommerpause inklusive – bis zum Wahltag am 24. September sind eine kurze Spanne für eine nachhaltige Profilierung. Schulz muss jeden Tag bis zur Wahl nutzen. Angela Merkel, die „Sie kennen mich“-Kanzlerin, kann sich das (vorerst) entspannt ansehen.

    • Der Parteisoldat. Martin Schulz ist ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat. Er hat in der SPD die klassische Ochsentour absolviert, vom Stadtrat in Würselen bis zum Chef des Europaparlaments. Das verleiht ihm jenen „Stallgeruch“, der in der SPD immer noch so wichtig ist. Und das hilft Schulz – anders als beim vorigen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück – dabei, die Partei hinter sich zu versammeln.

    Schulz, obwohl neu im Berliner Polit-Betrieb, ist zudem bestens vernetzt in der Bundes-SPD, er hat auch aus Brüssel immer den Kontakt gehalten. Vieles spricht also dafür, dass er im Wahlkampf auf die geschlossene Gefolgschaft der SPD setzen kann. Hier könnte im Wahlkampf gegen Merkel ein Vorteil für Schulz liegen – hat die Kanzlerin doch mit reichlich Querschüssen aus den eigenen Reihen zu leben, nicht nur von der CSU.

    „Mister Europa“ Martin Schulz in Fotos

    Er steht für das Projekt Europa, nun zieht es ihn nach Berlin. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kandidiert für den Bundestag. Das Foto zeigt Schulz an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt.
    Er steht für das Projekt Europa, nun zieht es ihn nach Berlin. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kandidiert für den Bundestag. Das Foto zeigt Schulz an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt. © REUTERS | REUTERS / NTB SCANPIX
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen.
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen. © dpa | Stephanie Lecocq
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU.
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU. © dpa | Axel Heimken
    SPD-Mitglied Schulz wechselt nun in die Bundespolitik – doch welche Ämter er in Berlin anstrebt, ist noch offen.
    SPD-Mitglied Schulz wechselt nun in die Bundespolitik – doch welche Ämter er in Berlin anstrebt, ist noch offen. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Es wurde spekuliert, Schulz solle als Kanzlerkandidat der SPD für die Wahl 2017 in Stellung gebracht werden.
    Es wurde spekuliert, Schulz solle als Kanzlerkandidat der SPD für die Wahl 2017 in Stellung gebracht werden. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft.
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft. © imago | ZUMA Press
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“.
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“. © imago | Agentur Baganz
    Im September 2015 empfing Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg.
    Im September 2015 empfing Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt von Hausherr Martin Schulz.
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt von Hausherr Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / POOL
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017.
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017. © dpa | Michael Kappeler
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London.
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
    Die drei von der SPD: Parteichef Sigmar Gabriel, Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz – wird Schulz Nachfolger von einem der beiden?
    Die drei von der SPD: Parteichef Sigmar Gabriel, Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz – wird Schulz Nachfolger von einem der beiden? © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Das „Projekt Europa“ will Schulz künftig von Berlin aus begleiten, kündigte er in Brüssel an.
    Das „Projekt Europa“ will Schulz künftig von Berlin aus begleiten, kündigte er in Brüssel an. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
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    • Der Authentische. Auch politische Gegner gestehen dem Sozialdemokraten Schulz ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zu. So gesehen, stellt er den totalen Widerpart zum sprunghaften und unberechenbaren Sigmar Gabriel dar. Schulz verstellt sich nicht. Doch hängt ihm auch das Image des Langweilers an, er verkörpert für manche das Bild vom bräsigen Brüsseler Bürokratie-Apparat.

    Schulz’ Erfolgsaussichten als Kanzlerkandidat werden auch davon abhängen, ob er dieses Image abschütteln kann – eine schwierige Gratwanderung für einen, der die europäische Idee lebt wie kaum ein zweiter Politiker.

    • Der Wahlkämpfer. Martin Schulz ist ein guter, aber kein begnadeter Redner. Er kann sicher einen SPD-Parteitag mitreißen, ob er aber jene Wähler neu begeistern kann, die der SPD in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben, muss sich erst zeigen. Anders als etwa Gerhard Schröder, der bislang letzte Wahlsieger der SPD im Bund, wird Schulz es nicht leicht haben, Wähler in der Mitte für die Sozialdemokratie zu gewinnen. In der Mitte ist die Kanzlerin schwer zu schlagen.

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      Und der Überdruss an Merkel nach zwölf Jahren Kanzlerschaft entlädt sich derzeit eher Richtung AfD oder Nichtwähler als Richtung SPD. Gleichwohl: Merkels Amtsbonus wiegt immer noch schwer.

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