Washington. Der US-Präsident Obama wollte das vor 15 Jahren eröffnete Gefangenenlager schließen – sein Nachfolger Donald Trump will es ausbauen.

Saifullah Paracha ging es am frühen Morgen des 9. November wie den anderen Häftlingen, die im Terror-Gefangenenlager Guantanamo Bay das Recht auf Fernsehen und Gemeinschaftsvollzug haben. Die Nachricht vom Wahlsieg Donald Trumps sorgte nach Angaben seines Anwaltes David Remes für „Entsetzen“.

Paracha, mit 69 Jahren der Älteste unter den Inhaftierten, hatte mitverfolgt, wie der New Yorker Milliardär gegen den Plan von Amtsinhaber Obama zu Felde zog, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von der Regierung Bush auf dem US-Marinestützpunkt in Kuba etablierte Hochsicherheitsgefängnis aufzugeben. Vielmehr, so Trump, soll der Gebäudekomplex im Südosten der Karibik-Insel künftig mit „weiteren miesen Kerlen aufgefüllt werden“; etwa Kämpfern des Terrornetzwerks „Islamischer Staat“ (IS).

Seit 2008 kein neuer Häftling

Für den Pakistaner Paracha und gut 25 Mithäftlinge könnte das im schlimmsten Fall lebenslänglich bedeuten. Entsprechend nervös sehen sie dem 15. Jahrestag der Eröffnung von „Gitmo“ entgehen. Am 11. Januar 2002 wurden die ersten 20 in Afghanistan oder Pakistan aufgegriffenen Terrorverdächtigen nach Guantanamo gebracht. In einem heute von Schlingpflanzen überwucherten Areal wurden die in orangefarbenen Overalls steckenden Männer mit Fußfesseln bei sengender Hitze in Verließe gesperrt, die wie Tierkäfige anmuteten.

Später wurden Berichte über Schlafentzug, Psychoterror und Folter aktenkundig. „Camp X-Ray“ mit seinen Holzwachtürmen und Stacheldrahtzäunen sollte bis Sommer 2003 fast 780 Insassen bekommen. Erst danach kamen die modernen Gefängniskomplexe 1 bis 7. Als Obama die Regierungsverantwortung von Bush 2009 übernahm, war die Zahl der Inhaftierten bereits auf 242 gesunken.

Hunderte unschuldige Muslime

Hunderte festgenommene Männer, fast ausnahmslos Muslime, hatten sich schnell als unschuldig erwiesen. Seit 2008 ist kein neuer Häftling mehr dazu gekommen. Obama gab damals das Versprechen ab, Guantanamo binnen eines Jahres zu schließen. Weil es „nicht unseren Werten entspricht“. Weil es „Dschihadisten und Extremisten rund um die Welt inspiriert“. Weil es „unverantwortlich teuer ist“. Acht Jahre später sieht seine Bilanz ernüchternd aus.

Die erbitterte Blockade der Republikaner, die die Schließung mit allen gesetzlichen Tricks verbaut haben, ist aufgegangen. Guantanamo lebt. Maximal kann Obama bis zu seinem Ausscheiden am 20. Januar die Knast-Belegschaft von derzeit 55 nur noch weiter schrumpfen lassen. Dazu sollen rund 20 Gefangene, die nach intensiven Überprüfungen seit Jahren als unschuldig und ungefährlich gelten, in aufnahmebereite Länder abgeschoben werden. Bisher haben 30 Staaten Guantanamo-Häftlinge akzeptiert.

Zwei Häftlinge in Deutschland

In Europa hat die kleine Slowakei (fünf Millionen Einwohner) mit acht Inhaftierten mit Abstand am meisten aufgenommen. Vergleich: Deutschland – zwei. Geht Obamas Plan auf, spielen Aufnahme-Länder wie Italien, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate mit, blieben bei Amtsübergabe an Trump zehn Inhaftierte übrig. Darunter Scheich Khalid Mohammed, einst Vertrauter von Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden und mutmaßlicher Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001.

Wer einmal in Guantanamo inhaftiert wurde, kommt oft lange nicht mehr raus.
Wer einmal in Guantanamo inhaftiert wurde, kommt oft lange nicht mehr raus. © dpa | Maren Hennemuth

Sie stehen seit mehr als fünf Jahren ohne greifbares Resultat vor einem sich in die Länge ziehenden Militär-Tribunal in Guantanamo. Der eigentliche Prozess hat noch gar nicht begonnen. Dazu kommen etwa 25-30 Männer, die aus Sicht der US-Regierung als zu gefährlich gelten, um jemals freizukommen. Die aber laut Verteidigungsministerium auch nicht vor ein Gericht gestellt werden können, weil dann für Amerika unschöne Details über Folter öffentlich würden.

15 Jahre ohne Anklage

Diese sogenannten „for ever“-Häftlinge, die wie die meisten anderen seit bis zu 15 Jahren ohne Anklage festgehalten werden, sind für Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International regelmäßig der Beleg für das „schreiende Unrecht“, das sich Amerika in Guantanamo leiste. Ein Unrecht, das in die Milliarden geht. Den zurzeit 55 Gefangenen stehen rund 1700 Soldaten als Wach- und Schutzpersonal gegenüber.

Kostenpunkt: zuletzt rund 450 Millionen Dollar im Jahr. Jeder Insasse schlägt nach Regierungsangaben mit durchschnittlich acht Millionen Dollar zu Buche. In bekannten Hochsicherheitsgefängnissen wie Florence/Colorado, in die Obama die verbliebenen Guantanamo-Häftlinge verlegen lassen wollte, liegt der Betrag bei 80.000 Dollar pro Person. Insgesamt hat „Gitmo“ den Steuerzahler bis heute nach Recherchen der Expertin des „Miami Herald“, Carol Rosenberg, fast sechs Milliarden Dollar gekostet.

Kontakte zu Osama Bin Laden

Eine Tatsache, die den kostenbewussten Trump eigentlich auf den Plan rufen müsste. Bei „Gitmo“ schweigt er. Wissend, dass sein designierter Verteidigungsminister James Mattis das Gefangenenlager unterstützt. Trumps neuer Heimatschutzminister John Kelly war sogar dort Kommandant. Saifullah Paracha, ein Geschäftsmann aus Karachi, der 2003 vom FBI in Thailand festgenommen wurde und nach Guantanamo kam, soll Kontakte zu Osama Bin Laden unterhalten haben.

Er beteuert bis heute seine Unschuld. Ende November entschied die zuständige Einspruchsbehörde, dass es Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung gibt. Demnächst soll es eine Entscheidung geben. Paracha würde zurück nach Amerika gehen und dort seine letzten Lebensjahre verbringen. In Queens hat er in den 70er-Jahren gelebt und gearbeitet. Das ist der New Yorker Stadtteil, aus dem auch Donald Trump stammt.