Washington. Der Jahrhundert-Schauspieler-Regisseur-Produzent Clint Eastwood feiert seinen 90. Geburtstag. Was sein Werk so unvergesslich macht.

Amerika hat nur zwei eigenständige Kunstformen hervorgebracht. Den Western. Und Jazz. Gut, dass Clint Eastwood den wuchtigen Satz selber gesagt hat. Weil über seinen von Pasta-Pistolero-Streifen wie „Für eine Handvoll Dollar” (von Sergio Leone) bis zum rabenschwarzen Anti-Schießprügel-Festival „Erbarmungslos” (von ihm) reichenden Meilensteine zur ersten Disziplin bereits alles gesagt ist, kann man sich heute auf die zweite Kategorie konzentrieren. Jazz. Und Blues. Und Country. Und Pop. Besser: die Musik an sich.

Ohne sie lässt sich Clint Eastwood und sein Werk als Jahrhundert-Schauspieler-Regisseur-Produzent nicht verstehen. Findet allen voran Meryl Streep, die mit ihm 1995 im Taschentuch-Killer „Die Brücken am Fluss” brillierte. Darin gestattet sich Eastwood im Alter von 65 Jahren nicht nur seinen ersten Liebesfilm. Sondern minutenlang textfreie Passagen, in denen seine persönlichen Stars Dinah Washington oder Johnny Hartmann auf Schellack für atemberaubende Niederflur-Erotik sorgen. Seither sagt La Streep, der Meister, der an diesem Sonntag (31. Mai) 90 Jahre alt wird, komponiere seine Filme wie Bach weiland seine Fugen.

Musikalisches Fundament für seine Filme

Und das kam so. In der Kindheit, es waren die Jahre der Großen Depression, hatten die Eastwoods nicht viel. Aber immer ein Klavier. Auf dem probierte sich Klein-Clint aus, bis ihm die Mutter Platten des 1943 gestorbenen Piano-Stars Fats Waller zur Nachahmung empfahl. Eastwood übte wie besessen, zog bald mit kleinen Teenager-Bands für symbolische Gagen durch die Klubs Kaliforniens und lernte den aufsteigenden Star Dave Brubeck („Take Five“) kennen.

Dann kam der Militärdienst und gab allem eine neue Note. Eastwood bog nach der Rückkehr in Richtung Schauspielerei ab. Ohne jemals das musikalische Fundament zu vergessen, auf dem er seine Statur gewann.

Clint Eastwood 1973 in „Dirty Harry“ als Harry Callahan.
Clint Eastwood 1973 in „Dirty Harry“ als Harry Callahan. © imago images/Prod.DB | Warner Bros - Malpaso

Schon seit erster eigener Film „Play Misty For Me” (Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten) handelte von einem DJ, der Nacht für Nacht den Musikwunsch einer Frau zu erfüllen hat: Erroll Garners wunderbar diesige Ballade „Misty”. Hier ist die Jahreszahl bemerkenswert: 1971. Zeitgleich gab Eastwood den wortkargen, reaktionären, schießwütigen und zur sadistischen Selbstjustiz neigenden Polizisten Harry Callahan in „Dirty Harry”, der es so gar nicht mit der Feinfühligkeit hatte.

Eastwood steht vor und hinter der Kamera

1982 spielte der Vater von acht Kindern aus sechs verschiedenen Beziehungen in „Honkytonk Man“ wieder unter eigener Regie einen dem legendären Hank Williams nachempfundenen Country-&-Western-Barden. Und sang dabei (ohne Playback) Nashville-tauglich zur selbst gezupften Gitarre; bezaubernd.

Zwei Jahre drauf sah man Eastwood in „Der Bulle und der Schnüffler“ mit wie Schießscharten zusammengekniffenen Augen am Jazz-Klavier. Ähnlich 1993, als Wolfgang Petersen den reaktivierten Sicherheitsbeamten Frank Harrigan (Eastwood) in „In the Line of Fire” am Bar-Piano „As Time Goes By” klimpern ließ.

Kultstatus als Regisseur von „Bird“

Kultstatus in der Szene erwarb sich der in Kalifornien geborene Sohn eines Stahlarbeiters vor 32 Jahren als Regisseur von „Bird”. Die Hommage an die viel zu kurze Lebensgeschichte (34 Jahre) des selbstzerstörerischen Saxophon-Genies Charlie Parker, verkörpert von Forest Whitaker, war von so viel tiefer Liebe und Sachkunde zur Musik getränkt, dass echte Jazz-Heroen wie Wytnon Marsalis sich noch jahrelang verbeugten.

Auch weil Eastwood als Schauspieler den phänomenalen Minimalismus seines Cool-Jazz-Saxophon-Idols Lester Young regelmäßig auf die Leinwand brachte. Wie hieß es noch so unnachahmlich am Ende von „Erbarmungslos“, der Eastwood Mitte der 90er vier Oscars einbrachte, als Bill Munny (Eastwood) einen voll besetzten Salon zusammenballert und der Sheriff kurz vor dem Exitus stammelt: „Ich seh’ dich in der Hölle.” Antwort Munny: „Ja.”

Spielt angeblich noch heute in seiner eigenen Kneipe

Vor fast 25 Jahren bedankte sich Amerikas Jazz-Elite in der New Yorker Carnegie Hall samt Philharmonikern mit „Eastwood After Hours” für das musikalische Engagement des Mannes, der angelegentlich noch heute in seiner eigenen Kneipe im kalifornischen Carmel in die Tasten greift.

Am Ende des erlesenen Abends stand der hagere Superstar auf, setzte sich ans Klavier und sagte ganz leise: „Ladies und Gentlemen, mein Name ist Clint Eastwood, und ich liebe Jazz.”