Berlin. SPD-Parteichef Martin Schulz schlägt die Ministerin Andrea Nahles als Oppositionsführerin vor. Sie soll die Partei neu aufstellen.

Kanzlerkandidat Martin Schulz bleibt trotz der historischen SPD-Wahlniederlage Parteichef – doch eine zentrale Rolle bei der Neuaufstellung der Sozialdemokraten gibt er in andere Hände. Noch-Arbeitsministerin Andrea Nahles soll die Partei im Bundestag in die Opposition führen und damit in Berlin die starke Frau der SPD werden.

Schulz ließ sich seinen Personalvorschlag am Montag von den Führungsgremien der

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absegnen, er skizzierte auch gleich das Ausmaß seines Verzichts: Im Sinne „vernünftiger Arbeitsteilung“ werde er selbst „raus ins Land“ gehen, um dort die Partei zu stärken. Nahles soll währenddessen im Bundestag die Rolle der Oppositionsführerin ausfüllen, mit scharfer Abgrenzung zur Kanzlerin, aber auch zur

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. Schulz sprach von einem „sehr engen Kooperationsverhältnis“ mit Nahles. Er bekräftigte dabei auch, dass die SPD auf jeden Fall in die Opposition gehen werde.

Gemurre auf dem rechten Flügel der Fraktion

Die Vorsitzendenwahl in der auf 153 Abgeordnete geschrumpften Fraktion soll am Mittwoch stattfinden; am Montag wurden zwar auf dem rechten Fraktionsflügel Bedenken gegen Nahles laut, die ursprünglich dem linken Flügel entstammt. Doch Schulz hat seine Autorität mit der Personalie verbunden, eine Mehrheit für Nahles gilt auch deshalb als sicher; der bisherige Fraktionschef Thomas Oppermann kündigte schweren Herzens seinen Verzicht auf eine abermalige Kandidatur an, nachdem die Lage für ihn aussichtslos geworden war.

Der 63-jährige Oppermann zieht sich in die dritte Reihe zurück, in der bald auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (58) seinen Platz finden muss. Die 47-jährige Nahles würde nach ihrer Wahl umgehend ihr Amt als Arbeitsministerin niederlegen, sagte Schulz. Sie soll als jüngeres und weibliches Gesicht die Neuaufstellung der SPD einleiten und damit auch den Druck mildern, unter dem der 61-jährige Schulz als gescheiterter Kanzlerkandidat intern steht.

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    Gründe der Niederlage in „Tiefenbohrung“ ermitteln

    Erste Akzente setzte sie bereits am Montag in der Vorstandssitzung: Es gehe darum, die Gründe für die schwere Niederlage in einer „Tiefenbohrung“ zu ermitteln, sagte sie. Notwendig sei ein programmatischer und organisatorischer Neuanfang. Ein „Weiter so“ könne es nicht geben.

    Nahles versprach in den Parteigremien eine enge Zusammenarbeit und deutlich mehr „Teamplay in der Führung.“ Doch bei allem Kooperationswillen zeichnet sich ab, dass mittelfristig die Fäden für die neue SPD bei ihr zusammenlaufen. Schulz bekräftigte zwar, er wolle beim Parteitag im Dezember erneut als Vorsitzender kandidieren, bis dahin soll das Wahldebakel in mehreren Vorstandsklausuren und acht Regionalkonferenzen diskutiert werden.

    Nahles könnte nach Parteivorsitz greifen

    Doch heißt es von Kritikern in der Partei, die Vorsitzendenfrage sei noch nicht endgültig beantwortet, erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober könne offen darüber diskutiert werden. Denkbar sei, dass Schulz noch für eine Übergangszeit Vorsitzender bleibe. Spätestens 2019 dürfte dann aber ein größerer Wechsel anstehen, heißt es aus Vorstandskreisen.

    Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
    Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
    Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
    Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
    Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
    Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
    Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
    Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
    Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
    Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
    Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
    Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
    Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
    Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
    Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
    Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
    Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
    Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
    Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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    Nahles hätte dann als Fraktionschefin eine Schlüsselposition, um nach dem Parteivorsitz zu greifen; allerdings gelten auch Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, als Kandidaten für das Vorsitzendenamt. Nahles wird nachgesagt, dass sie bereits seit Längerem die SPD-Kanzlerkandidatur im Jahr 2021 erwägt, was in der Partei unter der Parole „Andrea 21“ erörtert wird. Ob sie als Kandidatin bei den Bürgern ankäme, ist unter Demoskopen umstritten.

    Sozialreformen in hohem Tempo durchgesetzt

    An Ehrgeiz indes fehlt es ihr nicht. Sie ist machtbewusst, durchsetzungsfähig und in der SPD hervorragend vernetzt. Als Nahles vor fünf Jahren bei einem Internet-Chat in der Parteizen­trale gefragt wurde, ob sie „auch mal Kanzlerin werden“ wolle, antwortete die damalige SPD-Generalsekretärin spontan: „Ja klar, die Betonung liegt aber auf irgendwann mal.“

    Schon die nun endende Leitung des Arbeitsministeriums galt Nahles als Traumjob. Vier Jahre hat sie mit hohem Tempo die Sozialreformen der großen Koalition durchgesetzt. Ihre Arbeit, ihr Verhandlungsgeschick haben ihr auch in der Union Respekt eingebracht. „Gestalten, etwas ändern, verbessern“ – dafür sei sie in die Politik gegangen, schwärmte Nahles über das Ministeramt.

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      Kampf um Aufmerksamkeit in Opposition

      Die Sozialdemokratin war erkennbar um seriöse Politik bemüht, ihr Herzensthema war die neue Arbeitswelt in Zeiten der Digitalisierung. Dagegen hat sie längere Zeit etwa üppige Rentenversprechen abgelehnt. Erst im Vorwahlkampf konzipierte sie auf Bitte von Schulz ein milliardenteures Programm zur Stabilisierung des Rentenniveaus.

      Das Ministeramt diente Nahles auch dazu, ihr öffentliches Image aufzupolieren: Ihre Zeit als Juso-Vorsitzende liegt 20 Jahre zurück, doch hartnäckig hält sich das Klischee der kratzbürstigen, mitunter schrillen Linken. Als Arbeitsministerin hat Nahles zielstrebig versucht, sich als verantwortungsbewusste Fachpolitikerin zu profilieren.

      Die neue Rolle als Oppositionschefin ist deshalb eigentlich ein Rückschritt für sie. Der Kampf um Aufmerksamkeit auf der Oppositionsbank an der Seite von AfD und Linkspartei wird hart. Eine Kostprobe aus der Abteilung Attacke gab die SPD-Frau in der letzten Bundestagssitzung Anfang September, als sie die Kanzlerin auch persönlich anging. Bitter bilanzierte Nahles, im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit habe Merkel sie als Ministerin „am langen Arm verhungern lassen“.