Berlin. Hollywoodstar Joaquin Phoenix hat den Ruf weg, ein Rebell zu sein. Doch im Interview findet er lobende Worte – für die #MeToo-Debatte.

In „Walk the Line“ spielte er die Country-Legende Johnny Cash, in „Mary Magdalena“ war er kein Geringerer als Jesus – Joaquin Phoenix ist einer der Schauspieler, die sich mit hoher Intensität in ihre Rollen stürzen. In seinem Film „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ (zurzeit im Kino) stellt er seine Wandlungsfähigkeit erneut unter Beweis.

Dass Phoenix ein ausgewiesener Journalistenschreck sein kann, zeigt er immer wieder gern: Bei der Pressekonferenz zur Berlinale schloss er erst einfach die Augen und drehte sich vor laufenden Kameras zur Wand, um gar nichts mehr zu sagen. Doch der 43-Jährige kann auch anders. Beim Gespräch in einem Berliner Hotel gibt er sich überraschend gut gelaunt und äußerst auskunftsfreudig. Nur eine Zigarette im Nichtraucherzimmer gönnt er sich – so viel Rebellion muss schon sein.

Mr. Phoenix, was war da los auf der Berlinale? Warum haben Sie sich so ignorant benommen?

Joaquin Phoenix: Oh Mann, das war keine Sternstunde. Aber auch nach all den Jahren in diesem Geschäft sind das immer noch Anlässe, bei denen ich mich unglaublich unwohl fühle. Das fängt an mit den Fotografen, die sich drängeln und rufen und klicken und blitzen. Das ist schon mal eine total schräge Situation. Ich werde in solchen Momenten wie ein nervöses Tier, hypersensibel und aufmerksam. Dann kriege ich jedes Geräusch mit und nehme jeden wahr, der zu spät kommt oder früher geht. Da kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Irgendwann fahre ich runter.

Sie spielen in Ihrem aktuellen Film einen querschnittsgelähmten Comic-Künstler. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Phoenix: Ich habe mir schon vor den Dreharbeiten auf eigene Faust einen Rollstuhl geliehen, um zu üben. Der Rollstuhl, den wir für den Film benutzt haben, war aber doppelt so schnell. Ich bin gleich am ersten Drehtag gegen eine Mauer gerast und habe das Ding geschrottet. So oder so muss ich sagen, dass es wirklich nicht bequem ist, den ganzen Tag in so einem Ding sitzen zu müssen. Ich war ganz schön verkrampft und hatte richtige Schmerzen.

Dieser gebrochene Mann entwickelt eine erstaunliche Stärke. Identifizieren Sie sich mit ihm? Wie stark fühlen Sie selbst sich?

Phoenix: Ich glaube schon, dass ich stark sein kann. Allerdings gibt es auch immer wieder Momente in meinem Leben, in dem ich mich schwach fühle. Das Leben besteht nun mal aus Höhen und Tiefen, ich kenne kaum jemanden, der immer auf die gleiche Weise damit umgeht.

Wird es mit den Jahren leichter, mit besagten Höhen und Tiefen umzugehen?

Phoenix: Früher habe ich mich ausschließlich auf die guten Momente fokussiert und alle schlechten Erfahrungen so gut es geht ignoriert. Inzwischen weiß ich, dass man damit nicht sonderlich gut fährt.

Sie sind momentan häufiger auf der Leinwand zu sehen denn je.

Phoenix: Eigentlich habe ich den Spaß an der Schauspielerei nie verloren. Der Rhythmus war in den letzten Jahren nur etwas anders als sonst. Zwei Jahre habe ich gar nicht gearbeitet – und dann landeten vier Projekte direkt nacheinander auf meinem Tisch. Hätte ich die Kon­trolle, würde ich einen Film pro Jahr drehen und dazwischen ausreichend Pause haben. Aber so läuft das halt nicht.

Ein Film pro Jahr, das klingt wenig.

Phoenix: Erstens habe ich nicht wirklich Bock darauf, meine Nase ständig auf der Leinwand zu sehen. Zweitens ist es mir einfach wichtig, genug Zeit für ein normales Leben zu haben. Wenn man sich ständig von einem Film in den nächsten stürzt, kann das ganz schön ungesund sein. Habe ich oft genug bei Kollegen gesehen.

Wie bewerten Sie die „#MeToo“-Debatte in Hollywood?

Phoenix: Wenn meine Eltern früher von der Bürgerrechtsbewegung erzählt haben, dann habe ich mich doch sehr oft gefragt, wie es wohl gewesen sein muss, solche gesellschaftlichen Veränderungen hautnah mitzuerleben. Die „#MeToo“-Debatte fühlt sich nun ein wenig vergleichbar an. Und das ist ein sehr gutes und aufregendes Gefühl!