Berlin. Bei “Maischberger“ diskutieren Politiker aus der Ukraine und Russland, wie sich die EU-Beitrittskandidatur auf den Krieg auswirkt.

Vor dem EU-Gipfel sind sich die Regierungschefs einig: Die Ukraine soll offiziell Beitrittskandidat werden. Bereits vorige Woche hatten Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Macron und Italiens Regierungschef Draghi in Kiew ihre Unterstützung für das Beitrittsgesuch bekundet. Ende der Woche steht die formale Abstimmung im Europäischen Rat an.

Während die EU der Ukraine Brücken in den Westen baut, gerät die ukrainische Armee im Osten immer mehr in Bedrängnis. Im Donbass konzentriert Russland aktuell seine Angriffe und verzeichnet stetig Geländegewinne. Mit den frisch eingetroffenen deutschen Panzerhaubitzen hofft der ukrainische Präsident Selenskyj, die angegriffenen Gebiete besser verteidigen zu können. Dessen Berater Rodnyansky spekulierte bei "Maischberger" bereits auf den "Fall des Regimes".

"Maischberger" – Das waren die Gäste:

  • Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister
  • Alexander Rodnyansky, Ukrainischer Präsidentenberater
  • Michail Kasjanow, ehemaliger russischer Ministerpräsident
  • Jürgen Becker, Kabarettist
  • Helene Bubrowski, FAZ-Journalistin
  • Stephan Stuchlik, ARD-Hauptstadtkorrespondent

Selenskyj-Berater: Russland erpresst Welt mit Hungerkatastrophe

Mit Waffenlieferungen, Sanktionen und "maximaler Unterstützung aus dem Westen", sagte Rodnyansky, "hoffen wir die Gegenoffensive im August beginnen" zu können. Der Präsidentenberater lobte die jüngst gelieferten Panzerhaubitzen, die Ziele in 40 Kilometer Entfernung zerstören können. Im Gegensatz zu den Hilfsleistungen der USA schränkte er aber ein: "Deutschland liefert lange nicht so viel. Wir sehen auch, dass es holprig läuft." Er pochte auf weitere Sanktionen, etwa ein völliges Gasembargo. Wie sehr die Sanktionen wirken, sei daran abzulesen, dass "Russland versucht, die Welt mit einer Hungerkatastrophe zu erpressen."

Alexander Rodnyansky, ukrainischer Präsidentenberater, Sandra Maischberger, Moderatorin, und Michail Kasjanow, ehemaliger russischer Ministerpräsident.
Alexander Rodnyansky, ukrainischer Präsidentenberater, Sandra Maischberger, Moderatorin, und Michail Kasjanow, ehemaliger russischer Ministerpräsident. © Oliver Ziebe/WDR/dpa

Michail Kasjanow, einst Putins Premierminister, bezeichnete die Sanktionen als "wichtiges Mittel", das dabei helfe, bis Jahresende eine "ukrainische Übermacht im Donbass" zu etablieren.

Kriegsmüdigkeit beobachte Rodnyansky eher im Westen als in der Ukraine. "Man darf sich doch vor einem ukrainischen Sieg nicht so sehr fürchten wie vor einer russischen Niederlage." Das ukrainische Volk wolle kämpfen bis die territoriale Integrität gesichert und der Feind vertrieben sei. "Ein nachhaltiger Frieden kann man mit diesem Regime sowieso nicht schließen." Dem schloss sich Putins einstiger Premierminister an. "Gebiete abtreten? Diese Diskussion verstehe ich nicht", sagte Kasjanow. " Ein Aggressor muss bestraft werden." Das sei die Lehre aus dem Minsker Abkommen, das 2014 den Waffenstillstand nach der Krim-Annexion durch Russland besiegelte. "Die Sanktionen damals hat Putin als Mückenstich wahrgenommen."

Ukraine-Krieg: Verhandlungen oder Guerillakrieg?

Einen Konflikt zwischen den Verbündeten befürchtete ARD-Korrespondent Stephan Stuchlik im Herbst heraufziehen. Sollte Russland im Herbst den Donbass besetzen, werde der Westen auf Verhandlungen drängen. "Die Ukrainer werden aber weiterkämpfen wollen." In den ukrainischen Medien sehe er eher Vorzeichen "auf einen Guerillakrieg". Rodnyansky betonte, solange Kriegsgefangene von Russland "verschleppt, ermordet, vergewaltigt" würden, sei das ukrainische Volk auch nicht zu Verhandlungen bereit.

Um wirkungsvoll Sanktionen verhängen zu können, müsse aber auch hierzulande der Gürtel enger geschnallt werden, stellte FAZ-Redakteurin Helene Bubrowski klar. "Solidarität fängt nicht da an, wo es nichts kostet, sondern da, wo es wehtut." Bubrowski bezeichnete die anstehende EU-Kandidatur als "leeres Versprechen" und "nettes Symbol, aber die Ukrainer denken nicht in Dimensionen von zehn bis 20 Jahren, sondern ein bis zwei Wochen." Ein "Riesengeschenk" sah Stuchlik im neuen Status. "Auch wenn es weit weg ist, darauf haben die Ukrainer gehofft."

Wie die gedrosselten russischen Gaslieferungen kompensiert werden könnten, war ebenfalls Thema. Verlängerte AKW-Laufzeiten brandmarkte Stuchlik als "verdächtig", da sich die Atomindustrie gewaltige Entschädigungssummen vorstelle. Kabarettist Jürgen Becker bezeichnete Deutschland als "Junkie an der Nadel", nun sei die Kohle vorübergehend "das Methadonprogramm, wenn wir in der Zeit die Erneuerbaren ausbauen". Nur der Bevölkerung ein Stromspargebot aufzubürden, helfe nicht, fand Bubrowski angesichts der "Gasfresser" in der Industrie.

Corona: Maskenpflicht sorgt für Streit in der Koalition

Während die Energieversorgung die Regierung vor Kopfzerbrechen stellt, herrscht laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Pandemiebekämpfung mehr Klarheit. Er kündigte zum Herbst eine Corona-Strategie mit sieben Eckpunkten an "Wir brauchen ein umfassenderes Konzept", darin enthalten seien eine Impfkampagne sowie ab September eine "tagesaktuelle" Datenübermittlung.

Streitpunkt zwischen SPD und Grünen auf der einen und FDP auf der anderen Seite ist die Maskenpflicht. Die FDP pocht noch auf die Veröffentlichung eines Ausschusspapiers, das laut Sandra Maischberger gerüchteweise die meisten Grundgesetzeinschränkungen, inklusive 2G und 3G, für überflüssig erklärte. Obwohl er die Bedenken des Koalitionspartners respektiere, nannte Lauterbach die kolportierten Kommissionsergebnisse "eine steile Einlassung".

Lauterbach bei Maischberger.
Lauterbach bei Maischberger. © Oliver Ziebe/WDR/dpa

Lauterbach kündigt Corona-Strategie an: Impfzentren wie Berufsfeuerwehr

"Wir werden in den nächsten Tagen oder Wochen ein Gesetz vorlegen", versprach Lauterbach. Neben einer Maskenpflicht seien darin Impfzentren vorgesehen, die "wie die Berufsfeuerwehr" ständig bereit seien. Zudem soll an der Teststrategie gefeilt werden. Bei den "Qualitätskontrollen, da sind noch Reserven", so Lauterbach. Als Hindernis könnte sich eine neue Regelung zur Testfinanzierung erweisen. So sieht der Haushaltsentwurf vor, dass der Bund nur noch die Hälfte der Kosten übernimmt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.