Berlin. Im „Tatort“ aus Berlin hatten die zwei Fälle nur scheinbar nichts miteinander zu tun. Tatsächlich war hier alles haarklein durchdacht.
Die Inhaltsangabe des Berliner „Tatort“ ließ zunächst nichts Gutes erwarten. Ein Coffeeshop, in dem ein Roboter ausschenkt, eine Bloggerin, die die Leiche findet – das klang stark nach Berlin-Klischees. Doch dann entpuppte sich der achte Fall der Kommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) als starkes, weil innovativ erzähltes Stück über die Ambivalenz von Natur und Technik. Und überließ dabei nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Zufall.
• Die Fallauswahl
Auf den ersten Blick haben die zwei Morde, die Rubin und Karow aufklären sollen, nichts miteinander zu tun. Der Coffeeshop-Betreiber, der während der Reparatur seines Kaffeeroboters stirbt, und die Versicherungsangestellte, die beim Joggen von einem Wildschwein angefallen wird und verblutet, kennen sich nicht und die Fälle brauchen einander auch nicht, um gelöst zu werden. Trotzdem gehören sie zusammen.
Denn auf erzählerischer Ebene bilden sie ein Gegensatzpaar. Tom Menke (Martin Baden) stirbt durch Technik, Carolina Gröning (Tatiana Nekrasov) durch Natur. Doch so einfach ist es nur vordergründig. Denn der Roboter hätte Menke nicht mit der Kaffeenadel den Hirnstamm durchbohrt, wäre er nicht darauf programmiert worden. Und Gröning wäre noch am Leben, hätte ihr Mann Reno (Kai Scheve) Hilfe gerufen – und damit in die Natur eingegriffen.
Dieses Spiel zwischen Technik und Natur zieht sich durch den ganzen „Tatort“. Nicht in der Lesart Böse gegen Gut, sondern in dem Bemühen, Graustufen zu zeigen. Eine Auswahl.
• Die Zeugen
Sowohl die drei Jugendlichen als auch die Naturbloggerin nutzen Technik, als sie die Leichen finden. Während die einen völlig abgestumpft ein Selfie mit dem toten Menke machen, stellt die Vloggerin schockiert ihren Livestream ab und legt sich zur toten Gröning auf den Waldboden. Zwei Extreme, die auf ihre eigene Art übertreiben und anstrengen.
• Die Hinweise
Rubin und Karow können auf eine Reihe von technischen Hilfsmitteln zurückgreifen. Angefangen vom Blutdruckmessgerät, das Menkes Frau Kathrin (Valery Tscheplanowa) zum Zeitpunkt seines Todes trug, über Reno Görings App, die die Schließzeiten seiner Bäckerei protokolliert, bis zu den Überwachungskameras, die den Tatort am Berliner Kurfürstenplatz rund um die Uhr im Blick haben.
Doch ihre Daten sind entweder nicht eindeutig (Blutdruckmessgerät), manipuliert (Protokoll-App) oder unzureichend (Überwachungskameras). Letztlich sind es die Beobachtungen von Menschen, die den Ausschlag geben.
Anwohner Albert (Horst Westphal) erinnert sich an Kathrin Menke, die nachts am Roboter arbeitete, und Carolina Görings Mutter (Gitta Schweighöfer) erzählt Rubin, dass nicht ihre Tochter an einem Gendefekt litt, sondern Reno – und sie deshalb mit einem anderen Mann gesunde Kinder hätte zeugen können.
Berliner „Tatort“: Tiere der Großstadt
Der Mensch siegt hier also klar über die Technik? Nein. Denn auch Alberts Beobachtungen sind nicht immer korrekt. Sein Gedächtnis spielt ihm Streiche. Auch wenn das, was er berichtet, von besonderer erzählerischer Schönheit ist – ungleich lebhafter als es jedes Überwachungssystem könnte.
• Karows Sprachassistentin
Der Kommissar hat zu Hause ein Gerät, das ihn mit den Worten begrüßt: „Du siehst müde aus, Robert. Darf ich dir einen Tee machen?“ Als Karow antwortet „Mach mir einen Tee, aber weißt du was? Ich bin nie müde“, entgegnet die Frauenstimme: „Das freut mich, Robert. Das freut mich wirklich.“ Dass Karow Schlafprobleme hat, merkt sie nicht.
• Rubin und das Wildschwein
Szenen mit diversen Großstadttieren gibt es viele in diesem „Tatort“. Da wäre der Fuchs, der Rubin über den Weg läuft, die Krähe, die über dem Tatort in der City wacht, oder die Katzen in Kathrin Menkes Wohnung. Doch als Rubin beim Joggen plötzlich einem
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gegenübersteht, wird klar: Auch Natur ist gefährlich.
• Der Soundtrack
Und als wären all diese Metaphern noch nicht genug, unterlegen die „Tatort“-Macher den Krimi auch noch mit 16 Klangexperimenten des deutschen Komponisten Nils Frahm. Der 35-Jährige mixt minimalistische Elektro-Klänge mit Elementen der Neoklassik. Eine Symbiose aus Technik und Natur also auch hier. Und das ist denn auch das Einzige, was man diesem „Tatort“ vorwerfen kann. Dass er es vielleicht ein bisschen übertreibt mit den Details.
• Die Moral von der Geschicht’
Der technologische Fortschritt hat schon immer eine Abwägung nötig gemacht – zwischen dem, was technisch machbar ist und dem, was ethisch und gesellschaftlich erwünscht ist. Das ist heute nicht anders.
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