Washington. Joe Biden will beim G7-Gipfel sowie beim Nato-Treffen unter anderem dafür werben, bei der Unterstützung der Ukraine nicht nachzulassen.

Der Lack des US-Präsidenten, der durch Berechenbarkeit, Verlässlichkeit die schweren Wunden heilen will, die der Berserker Donald Trump Europa geschlagen hat, ist ab, wenn Joe Biden ab diesem Wochenende beim G7-Gipfel in Elmau und später bei der Nato in Madrid Flagge zeigt.

Jüngste Umfragen des renommierten Pew-Instituts, das regelmäßig misst, wie die Menschen in anderen Ländern den amerikanischen Präsidenten sehen, warteten vor wenigen Tagen mit bedenklichen Zahlen auf.

US-Präsident: Vertrauen in Biden sinkt

Danach ist Biden in punkto Vertrauen zwischen 2021 und 2022 in etlichen Staaten abgestürzt. In Italien von 75 Prozent auf 45 Prozent. In Frankreich von 74 Prozent auf 53 Prozent. In Deutschland von 78 Prozent auf 64 Prozent. Die Werte sind selbstredend x-fach besser als die von Trump am Ende seiner Präsidentschaft 2020.

Aber, so sagen Analysten in Washington, "die Zweifel an der Durchschlagskraft" Bidens im eigenen Land, wo Inflation, Benzinpreise und Lieferketten-Probleme gerade fast alle anderen Themen an den Rand schieben, "werde immer deutlicher".

Biden könnte Vorreiter-Rolle verlieren

Dazu kommt die latente Sorge in Europa, dass Biden nach einem laut Umfragen immer wahrscheinlicher werdenden Sieg der Republikaner bei den Kongresswahlen in fünf Monaten auch außenpolitisch nachhaltig geknebelt sein könnte. Mit der Vorreiter-Rolle, die der 79-Jährige allseits bewundert in der Frühphase des Russland-Krieges gegen die Ukraine ausfüllte, wäre es dann womöglich schnell vorbei.

Genau das könnte die Sollbruchstelle bei der Visite in den bayerischen Alpen werden, wo Biden am Sonntagmorgen gegen 10 Uhr mit Gastgeber und Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem offiziellen Beginn des Treffens der Staats- und Regierungschefs der sieben großen Industrie-Nationen (neben Deutschland und den USA sind das Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada) zu einem persönlichen Meinungsaustausch zusammenkommen wird.

Ukraine: Biden will Unterstützung stärken

Ging es im März darum, Amerika glaubhaft in eine koordinierende Antreiber-Rolle gegen Putins Angriffskrieg zu bringen und mit kräftigem Beispiel voranzugehen (Militärhilfen, die bis heute längst die 50 Milliarden Dollar-Grenze überschritten haben), so steht unter dem weiß-blauen Himmel von Elmau "die Konsolidierung und der Ausbau des erreichten Schulterschlusses gegen Russland" im Mittelpunkt.

Biden, so sagten Regierungssprecher vor dem Abflug der Präsidentenmaschine Airforce One am Samstag in Washington, wird seinen Kolleginnen und Kollegen eindringlich bedeuten, dass der Westen auch unter widriger werdenden Rahmenbedingungen (Energieengpässe, Inflation, Nahrungsmittelknappheit etc.) in der materiellen Unterstützung der Ukraine, deren Präsident Wolodymyr Selenskyj virtuell zugeschaltet wird, nicht nachlassen dürfen. Auch, um China und anderen Autokratien nicht den Eindruck zu vermitteln, man beuge sich der russischen Aggression.

Russland: Signal der Geschlossenheit gegen Moskau

Eine Haltung, die den energiereichen USA trotz empfindlicher gestiegener Tankstellenpreise leichter fällt als vielen EU-Staaten, wo - Siehe Deutschland – die Regierenden ihre Völker auf einen harten Winter vorbereiten, weil es wegen dünner werdenden Gas-Lieferungen aus Moskau ans Eingemachte gehen könnte.

Bidens Bemühen, vom G7-Gipfel wie auch vom Treffen der Nato-Mitgliedsstaaten in Spanien ein lupenreines Signal der Geschlossenheit gegen Moskau ausgehen zu lassen, steht gleichwohl vor mehreren Hindernissen.

Sanktionen gegen Putin: Zweifel an Wirkung

Gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland ins westliche Verteidigungsbündnis stänkert nach wie vor Türkeis Präsident Erdogan. Zudem sind zwei Schlüssel-Alliierte – Boris Johnson in Großbritannien und Emmanuel Macron in Frankreich – durch Wahlen und andere Turbulenzen innenpolitisch beschädigt und in ihrem Handlungsspielraum eingeengt.

Washingtons dringender Wunsch, dass Europa künftig mehr geopolitische Verantwortung übernimmt und in Sachen Ukraine auch finanziell langfristig mehr schultert, steht hier unter einem ungünstigen Stern.

Dazu kommt der mit Zahlen belegbare Zweifel, ob das bisherige Sanktions-Regime gegen Putin wirklich gefruchtet hat. Jüngste Statistiken zeigen, dass Russland durch Öl-Exporte vor allem in Richtung Indien und China in diesem Jahr an die 300 Milliarden Euro einnehmen wird; ein Drittel mehr als 2021.

Russisches Öl: Biden will Preisobergrenze

Alina Polyakova, Chefin der Denkfabrik "Center for European Policy Analysis" in Washington, sagt: "Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Sanktionen Putins Fähigkeiten zur Kriegsführung nicht beeinträchtigen, stattdessen aber verstärkende Effekte auf Energiepreise und die allgemeine Inflation haben." Biden will dem in Elmau mit dem Vorschlag einer laut Experten nur sehr kompliziert durchsetzbaren weltweiten Preisobergrenze für russisches Öl beikommen.

Einen Vertrauensvorschuss erhofft sich das Weiße Haus durch Bidens bisherige Arbeitsweise Europa gegenüber. "Er kam ins Amt mit dem erklärten Zweck, unsere Partnerschaften weltweit wiederzubeleben und zu stärken", sagt Regierungssprecher John Kirby, "und genau das hat er getan." Eine Einschätzung, die etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausdrücklich unterstreicht. "Es ist eine außergewöhnliche Zeit, und sie ist bisher gut bestanden worden, weil die transatlantische Partnerschaft noch mal neu revitalisiert wurde."

Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de