Berlin . Die Feuerkraft der russischen Artillerie ist groß, westliche Waffenhilfe verläuft schleppend. Ist die Ukraine am Ende der Fahnenstange?

108. Tag des "heldenhaften Widerstands des ukrainischen Volkes" – so beginnt das Morgenbriefing des Generalstabs in Kiew. Die Heldenprosa muss sein. Doch steht sie im Kontrast zum hin- und her schwankenden Kriegsglück. Die Lage im Ukraine-Krieg wird für die Verteidiger brenzliger. Präsident Wolodymyr Selenskyj klingt mit jeder Erklärung besorgter.

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Mit Blick auf die Gefechte in Luhansk und Donezk sprechen Experten von einer "tödlichen Zermürbungsphase". Wie sehr sie den ukrainischen Truppen unter Oberbefehlshaber General Walerij Saluschnyj zusetzt, zeigt eine ungeschminkte Analyse von Verteidigungsminister Olexij Resnikow, die er ins Netz stellte. In dieser Erklärung fallen vor allem drei Punkte auf:

  • Die hohen Opferzahlen, pro Tag bis zu 100 getötete und 500 verwundete Soldaten.
  • Die materielle Überlegenheit Russlands: mehr Waffen und Munition.
  • Dringend benötigte westliche Rüstungshilfe verläuft schleppend.

"Die Situation an der Front ist schwierig", räumt Resnikow ein. Die Ukrainer hätten Mühe, ihre Artillerieeinheiten zu versorgen, twittert der Militärblogger Jomini of the West. Zur wachsenden Überlegenheit der Russen im Donbass zitiert das amerikanische "Institute for the Study of War" den Vizechef des ukrainischen Nachrichtendienstes GUR, Vadym Skibitsky, wonach auf jedes ukrainische Artilleriegeschütz zehn bis 15 russische kämen. Die Eroberung der Ost-Ukraine hat für Kremlchef Wladimir Putin höchste Priorität; sie scheint sein Minimalziel zu sein.

Nach Skibitskys Angaben haben die ukrainischen Streitkräfte ihre Artilleriemunition "fast vollständig erschöpft". Gerade im derzeitigen Stellungskrieg bräuchten sie "dringend Nachschub". Ist das Ende der Fahnenstange erreicht?

Die Klage ist glaubhaft, weil die Ukrainer bisher im Wesentlichen Munition aus der Sowjetzeit aufgebraucht haben. Im Klartext: aus russischen Beständen. Sie müssen also neue Versorgungsketten aufbauen und sind auf westliche Lieferungen angewiesen.

Ukraine im Krieg: Es fehlen schwere Waffen und Munition

"Ich kann nicht sagen, dass ich mit dem Tempo und der Menge der Waffenlieferungen zufrieden bin. Absolut nicht", erzählt der Verteidigungsminister und bedankt sich bei den USA, Großbritannien, Polen "und unsere baltischen Freunde".

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Im ukrainischen Fernsehen wird die "wachsende Ungleichheit bei der Unterstützung " beklagt. Deutschland, Frankreich, Italien hätten viel Unterstützung versprochen, aber noch wenig geliefert. Stimmen die Klagen?

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft führt ein Ranking der Militärhilfen. Deutschland ist in keinem Bereich unter den Top-3. Stellt man die Ausgaben für die Waffenhilfen in Relation zur Wirtschaftskraft, zum Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Lieferanten, rangieren Staaten wie Estland, Lettland, Litauen, Polen, USA, Großbritannien, Kanada, die Slowakei oder Norwegen weit vor der Bundesrepublik.

Ukraine im Krieg – sind die Ressourcen bald erschöpft?

Hinzu kommt, dass westliche Waffensysteme wie die hochmoderne Panzerhaubitze 2000 Ausbildung und Training voraussetzen und folgerichtig nicht sofort zum Einsatz kommen können. Nach Resnikows Angaben befinden sich "mehr als 1.500" Soldatinnen in Ausbildung, nicht zuletzt in Deutschland.

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"Bereits Anfang März war uns bewusst, dass während des intensiven Krieges mit Russland unsere Ressourcen erschöpft und unsere vorhandenen Reserven mit denen des Feindes nicht zu vergleichen waren", erzählt Resnikow. Sich ausschließlich auf sowjetische Waffen zu verlassen, sei "definitiv eine verlorene Strategie".

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Aktuell bringen die ukrainischen Truppen mobile polnische Artillerieeinheiten AHS Krab in Stellung, dazu die amerikanischen Haubitzen M777 und FH70 und aus Frankreich die fahrenden Haubitzen CAESAR. Aber sie brauchen ungleich mehr Waffen, wie Resnikow auflistet: Mehrfach-Raketenwerfer (MLRS), schwere Panzer, Kampfjets und Flugabwehrsysteme. Der wohl größte Engpass – die Munition.

Der Gepard, der auf sich warten lässt

Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Gepard-Flugabwehrpanzer der Rüstungsschmiede Krauss-Maffei-Wegmann. Schon Ende April hatte die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) grünes Licht für die Lieferung der von der Bundeswehr nicht mehr benutzten Panzer gegeben, frühestens im Juli könnten die ersten übergeben werden. Ist man noch Im Plan? Auf Anfrage unsere Redaktion bat der Hersteller um Verständnis, "dass wir zum jetzigen Zeitpunkt hierzu keine Auskünfte geben können". Vor allem eine Frage scheint noch ungeklärt: mit welcher Munition?

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de