Washington. Der Bezirks-Staatsanwalt von San Francisco, Chesa Boudin, muss sein Amt aufgeben. Was das für Demokraten im Rest des Landes bedeutet.

Ein einzelner "Rückruf" (recall), so nennt man die per Wahl exekutierte vorzeitige Abberufung eines Offiziellen in den USA, macht noch keine Katastrophe. Aber was sich da gerade in San Francisco, einer Hochburg des traditionell links-liberalen Westküsten-Bundesstaates Kalifornien, mit Chesa Boudin ereignet hat, löst in der Regierungspartei des demokratischen Präsidenten Joe Biden Schockwellen bis nach Washington aus.

Der 41-jährige Parade-Linke wurde in dieser Woche brutal aus dem Amt des Bezirks-Staatsanwalts der Millionen-Metropole gejagt. Weil seine gegen den Strich gebürstete Kriminalitätsbekämpfung – weniger Wegsperren bei kleineren Delikten, mehr Milde und soziale Prävention – der für progressive Politikansätze grundsätzlich sehr empfänglichen Wählerklientel in der Bay Area zu weit ging.

Staatsanwalt wollte Kriminalität senken

Dahinter steht die Tatsache, dass die enorme soziale Ungleichheit in der für Normalverdiener kaum mehr erschwinglichen Stadt Tausende Obdachlose, Zeltlager und Open-Air-Drogenmärkte produziert hat. Und damit jede Menge Beschaffungskriminalität vom Autoeinbruch bis zum Geld-her-oder-ich-schieße Überfall am helllichten Tag.

Boudin dagegen war auf der Position, die einst die heutige Vizepräsidentin Kamala Harris ausfüllte, angetreten, die Gefängnispopulation in "SF" zu senken und bei geringfügigeren Straftaten Nachsicht und Sozialprogramme statt Knast wirken zu lassen.

Was spätestens dann zum Ritt auf der Rasierklinge wurde, als ein Mehrfachtäter, den die Justiz immer wieder davonkommen ließ, im Suff ein Auto stahl und zwei Menschen zu Tode fuhr.

Republikaner nutzen Fehltritte aus

London Breed, der demokratischen Bürgermeisterin von San Francisco, platzte der Kragen: "Es ist Zeit, dass die Herrschaft der Kriminellen ein Ende hat. Das geschieht, wenn unsere Polizei aggressiver vorgeht und wir weniger von dem Scheiß hinnehmen, der unsere Stadt kaputt gemacht hat."

Die oppositionellen Republikaner machten sich die Fehltritte schnell zunutze. Mit drastisch übertriebenen Statistiken – alles in allem ist San Francisco etwa bei Gewaltverbrechen im Vergleich noch immer einer der sichersten Großstädte in den USA – wurde mit Hilfe von Medien, die das Lied von der "gesetzlosen Stadt" intonierten, das Gefühl verstärkt, Gangster, Drogenkranke und Obdachlose hätten am Golden Gate einen Freifahrtschein.

Da knüpft sich automatisch die Frage an: Wenn schon das linke San Francisco Versagen in der Inneren Sicherheit so knallhart bestraft wie im Falle Boudin, wie übel werden dann erst demokratische Amtsträger in weniger liberalen Gegenden des Landes bei nächster Gelegenheit untergehen?

Joe Biden sieht "klares Signal"

Das Bauchgrimmen in der linken Wählerschaft ist auch 700 Kilometer südlich zu spüren. In Los Angeles war die renommierte Kongress-Abgeordnete Karen Bass, eine Schwarze, als Bürgermeister-Kandidatin bei den Demokraten beinahe gesetzt, als ihr bei den Vorwahlen ein Law-and-Order Milliardär reingrätschte, der gerade erst von den Republikanern rübergemacht hatte. Rick Caruso hat im November nun alle Chancen, die Partei-Etablierte zu verdrängen. Sein Credo: Mehr Polizei auf die Straße – Verbrecher hinter Gitter.

Im Weißen Haus ist die Botschaft aus Kalifornien angekommen.
Präsident Joe Biden spricht von einem "klaren Signal", dass Kriminalität und subjektives Sicherheitsempfinden im November bei den Zwischenwahlen im Kongress weit oben auf der Agenda der Wähler stehen werden. Rufe wie "Defund the Police" (etwa: Nehmt der Polizei das Geld weg!), wie sie im Gefolge des Polizeimordes an dem Schwarzen George Floyd allerorten in seiner Partei laut wurden, werden voraussichtlich sehr bald verstummen.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.