Brüssel. Einigung auf dem EU-Gipfel zum Ukraine-Krieg: Das Öl-Embargo steht. Welche Probleme Deutschland jetzt drohen, was noch im Paket steckt.

Das europäische Ölembargo gegen Russland ist beschlossen, allerdings in abgespeckter Version: Deutschland und fast alle anderen EU-Staaten werden spätestens zum Jahresende ihre Öleinfuhren aus Russland beenden.

Bei einem Sondergipfel in Brüssel stimmten die EU-Staats- und Regierungschefs entsprechenden Plänen für ein neues Sanktionspaket grundsätzlich zu - als Strafe für den russischen Angriff auf die Ukraine und die von russischen Truppen verübten Kriegsverbrechen.

Damit ist der Weg auch für andere Strafmaßnahmen der EU frei: Sie sollen unter anderem Putins mutmaßliche Geliebte Alina Kabajewa treffen und die große russische Sberbank.

Öl-Embargo beschlossen: Pipelines ausgenommen

Der Beschluss kam nach einem verzweifelten Appell des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und nach stundenlangen Verhandlungen in der Nacht zu Dienstag zustande, ein Kompromiss ebnete den Weg: Vom Öl-Embargo sollen vorübergehend russische Öl-Lieferungen per Pipeline, also über den Landweg, ausgenommen sein.

Damit kommt die Europäische Union Forderungen Ungarns, Tschechiens und der Slowakei nach, die als Binnenländer ohne Seehäfen große Probleme sehen, russische Öllieferungen durch andere Bezugsquellen zu ersetzen. Sie sollen nun von der Ausnahme profitieren. Wie lange sie gilt, soll erst später entschieden werden.

Kanzler Scholz: Bis Jahresende nicht mehr abhängig von russischem Öl

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von „einschneidenden Sanktionen“ gegen Russland und sagte, die Bundesregierung sei auf die Situation „sehr gut vorbereitet“. Die Regierung habe Wege beschritten, „die uns die Lage versetzen, bis Ende des Jahres auch aus den Ölimporten und der Abhängigkeit von Russland herauszukommen.“

Nach Angaben von Diplomaten in Brüssel will Deutschland ebenso wie Polen den Öl-Importstopp der EU auf jeden Fall bis Jahresende umsetzen: Beide Länder würden im Prinzip die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen können, weil auch sie über die Druschba-Pipeline auf dem Landweg Rohöl aus Russland beziehen – ebenso wie Ungarn, die Slowakei, Slowenien und Tschechien.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, begrüßen sich beim EU-Sondergipfel in Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, begrüßen sich beim EU-Sondergipfel in Brüssel. © dpa | Olivier Matthys

Öl-Embargo der EU: Folgen für Deutschland

In Deutschland wird die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt über die Druschba-Pipeline mit Rohöl aus Russland versorgt: Damit kommen noch etwa zwölf Prozent der deutschen Ölimporte aus Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sucht jetzt nach Wegen, bis Jahresende alternative Öllieferungen nach Schwedt zu organisieren.

podcast-image

Habeck hat aber schon eingeräumt, dass es möglicherweise vorübergehend zu Versorgungsproblemen in Teilen Ostdeutschlands kommen kann. Es könne „für eine begrenzte Zeit zu wenig Öl und damit zu wenig Benzin verfügbar sein“. Deutschland und Polen betonen nun jedoch, dass sie auf jeden Fall die Leitungen für russisches Öl schließen werden.

Diesen Verzicht eingerechnet, werden nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen etwa 90 Prozent der russischen Ölimporte in die EU zum Jahresende gestoppt; ohne den Verzicht liegt der Anteil bei etwa zwei Drittel. Als Folge des Embargos dürfte es zu Preissprüngen in Deutschland kommen, hat Minister Habeck vor kurzem erklärt. Allerdings ist die genaue Wirkung unklar, weil auf dem internationalen Ölmarkt viele Faktoren die Preisentwicklung bestimmen.

Embargo auf Öl: Rohölimporte sollen in sechs Monaten auslaufen

Der politische Grundsatzbeschluss des EU-Gipfels setzt die Sanktionen aber noch nicht in Kraft. Zunächst müssen die EU-Mitgliedstaaten jetzt weitere Details des Ölembargos klären, bevor der Rat der Mitgliedstaaten die Sanktionen formell beschließt. Das könnte aber innerhalb weniger Tage passieren, erklärten EU-Diplomaten.

Das neue Sanktionspaket einschließlich des Ölembargos hatte die EU-Kommission bereits vor knapp vier Wochen vorgeschlagen: Russische Rohölimporte in die Union werden nach einer Übergangszeit von sechs Monaten verboten, die Einfuhr von Ölprodukten aus Russland nach acht Monaten.

Vor allem Ungarn, in vorsichtigerer Form auch Tschechien, die Slowakei und Slowenien hatten trotz eines Angebots zu einer für zwei Jahre befristeten Ausnahme Widerstand angemeldet.

Der ungarische Premier Viktor Orban sagte, der Kompromissvorschlag, über Pipelines geliefertes Rohöl zunächst auszunehmen, sei eine „gute Lösung für Ungarn“. Orban hatte aber auf weiteren Zugeständnissen bestanden, darunter Garantien für den Fall von Lieferausfällen und EU-Gelder für den Ausbau der Energie-Infrastruktur; wie weit sich Orban hier durchsetzen konnte, blieb zunächst unklar und wird wohl erst im Lauf der weiteren Detail-Beratungen im Rat der Mitgliedstaaten klar werden.

Vor dem Gebäude des Europäischen Rates in Brüssel, in dem die EU-Staats- und Regierungschefs ihren Sondergipfel abhalten, fordern Demonstranten ein Embargo gegen russisches Öl.
Vor dem Gebäude des Europäischen Rates in Brüssel, in dem die EU-Staats- und Regierungschefs ihren Sondergipfel abhalten, fordern Demonstranten ein Embargo gegen russisches Öl. © dpa | Olivier Matthys

Ausnahmen bei Öl-Embargo: Nachteile für Mitgliedsstaaten

Allerdings fürchten mehrere Mitgliedsländer – darunter die Niederlande und Italien – Wettbewerbsnachteile und Schäden für den Binnenmarkt, wenn einige EU-Staaten nun weiter billigeres russisches Öl einsetzen könnten, andere nicht.

Auch dieses Problem soll nun im Rat der Mitgliedstaaten weiter beraten werden, eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Die französische Ratspräsidentschaft kündigte an, auf EU-Ebene so bald wie möglich über einen kompletten Importstopp ohne Ausnahmen verhandeln zu wollen.

Sanktionspaket der EU: Putins mutmaßliche Geliebte im Visier

Zu dem Sanktionspaket, das nun zügig offiziell beschlossen werden kann, gehören auch Strafmaßnahmen gegen die mutmaßliche Geliebte von Russlands Präsident Wladimir Putin, Alina Kabajewa. Die EU-Kommission umschreibt in ihrem Sanktions-Entwurf das Verhältnis mit den Worten, Kabajewa sei mit Putin „eng verbunden“.

Begründet werden die Sanktionen aber mit Kabajewas Führungsposition in der Nationalen Mediengruppe (NMG) – einer Holding, die Anteile an wichtigen russischen Medien besitzt. Die EU wirft der 39-Jährigen früheren Olympiasiegerin vor, über diese Medien Regierungspropaganda zu verbreiten und den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu unterstützen.

Deshalb wird nun ein Einreiseverbot in die EU ausgesprochen, Vermögen auf Konten in der EU wird eingefroren. Brüssel hat bereits Sanktionen gegen Putin und seine zwei Töchter verhängt, die er mit seiner früheren Ehefrau Ljudmila hat.

Die Erdölleitung aus Russland auf dem Gelände der PCK-Raffinerie in Schwedt:
Die Erdölleitung aus Russland auf dem Gelände der PCK-Raffinerie in Schwedt: "Freundschaft - Druschba" steht auf einem der Rohre. © dpa | Patrick Pleul

EU-Sanktionen: Patriach Kyrill ebenfalls betroffen

Auf der neuen Sanktionsliste steht zudem das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine gut geheißen hat. Einreise- und Vermögenssperren in der EU werden auch für die Familie von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sowie für 58 hochrangige Offizieren und andere Einzelpersonen verhängt, die in der ukrainischen Stadt Butscha Kriegsverbrechen begangen haben sollen.

Die Sberbank, die größte russische Bank, soll aus dem internationalen Finanznetzwerk Swift ausgeschlossen werden. Zudem sollen Russlands staatlicher Fernseh-Nachrichtensender Russia 24 (Rossija 24) sowie die ebenfalls staatlichen Sender RTR Planeta und TV Centre in der EU verboten werden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Selenskyi: Russland verdient noch eine Milliarde Euro täglich mit Energielieferungen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi hatte zu Beginn des Gipfels in einer Videobotschaft an die Staats- und Regierungschefs appelliert, ihren Streit um das Öl-Embargo zu beenden. Solche internen Streitereien führten nur dazu, dass Russland den Druck auf Europa erhöhe.

Für die Ukraine sei es dringend notwendig, dass die Sanktionen gegen Russland verschärft werden, dies werde dem Land sehr helfen. „Warum kann Russland noch beinahe eine Milliarde Euro täglich durch Energielieferungen verdienen?“, fragte Selenskyi. Russland müsse den Preis für seine Aggression zu spüren bekommen.

EU-Sanktionen: Kommunikation sorgt für Missstimmung

Inzwischen gibt es aus den Mitgliedsstaaten massive Kritik am Vorgehen der Kommission, die mit dem Entwurf für das Sanktionspaket Anfang Mai an die Öffentlichkeit gegangen war. Orban sagte, dass Verhalten der Kommission sei unverantwortlich gewesen, weil sie Sanktionen angekündigt habe, ohne sich mit den Mitgliedsländern ausreichend abzustimmen. Ähnlich äußerte sich der tschechische Premier Petr Fiala.

Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer sagte, normalerweise verhandele man mit den Gesprächspartnern, bevor man das Ergebnis verkünde. Auch Diplomaten anderer europäischer Länder beklagten, die Kommission habe sich zu sehr von Sanktions-Forderungen etwa aus Polen und dem Baltikum treiben lassen, ohne die Folgen der Maßnahmen ausreichend geprüft zu haben.

Der EU-Gipfel erklärte auch die Bereitschaft, der Ukraine bis zu neun Milliarden Euro als Finanzhilfe bereitzustellen. Die Gelder sollen teils als Zuschuss, teils als Darlehen überwiesen werden, Details müssen noch geklärt werden.