Berlin/Pretoria. Der Bundeskanzler handelt bei den Waffenlieferungen ausgesprochen vorsichtig – und setzt sich mit seinem Kurs einem Verdacht aus.

In diesen Tagen prasselt die Kritik von allen Seiten auf den Kanzler ein. Bei der Gretchenfrage der deutschen Politik – wie hältst du’s mit den Waffenlieferungen an die Ukraine? – regt sich Widerstand gegen den Kurs von Olaf Scholz (SPD). Nicht nur in der Opposition, auch in der Ampelkoalition.

Besonders scharf äußerte sich der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. „Ich befürchte, dass der Bundeskanzler nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Gewinnt in dem Sinne, dass die russischen Truppen aus dem Land getrieben werden.“ Kiesewetter begründete dies damit, dass die deutsche Rüstungsindustrie bereits am 28. Februar angeboten habe, Leopard-Kampfpanzer und Marder-Schützenpanzer zügig zur Verfügung zu stellen. Bis heute gebe es aber keinen Auftrag.

CDU-Politiker Kiesewetter kritisiert Scholz: „Ich denke, er spielt auf Zeit“

Auf die Frage, warum der Kanzler dies nicht mache, antwortete Kiesewetter: „Ich denke, er spielt auf Zeit.“ Auch CDU-Chef Friedrich Merz schoss einen verbalen Torpedo Richtung Scholz: „Wenn sich alle so verhalten würden wie die Bundesrepublik Deutschland, dann hätte die russische Armee Kiew längst eingenommen.“

Auch in den Regierungsparteien brodelt Unmut auf. „Allein bei der Bundeswehr gilt: Von 380 Mardern liefern wir 0. Von 800 Füchsen liefern wir 0. Von 300 Leoparden liefern wir 0. Und ja, von 120 Haubitzen liefern wir 7“, formulierte der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber in einem provokanten Tweet. Er bezog sich dabei auf die Schützenpanzer, Kampfpanzer und Transportpanzer der Bundeswehr.

Ukrainischer Botschafter Melnyk: „Das Kanzleramt ist der Bremser“

Selbst der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, der Grünenpolitiker Anton Hofreiter, warf der Regierungsspitze kürzlich mangelndes Tempo bei den Waffenlieferungen vor: „Das Problem ist im Kanzleramt.“

Ein bisschen klang Hofreiter wie der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, der die Bundesregierung seit Wochen rügt, sein Land nicht genügend und nicht schnell genug mit schweren Waffen zu versorgen. „Auf der Arbeitsebene verschiedener Ministerien – auch des Verteidigungsministeriums – sowie im Bundestag wird auf das Kanzleramt als Bremser verwiesen“, sagte er unserer Redaktion im Interview.

Ukrainischer Botschafter Melnyk im Interview mit FUNKE

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    Schwere Waffen für die Ukraine: Das hatte der Bundestag am 27. April beschlossen

    Dabei liegt der Beschluss, dass Deutschland schwere Waffen in die Ukraine schickt, bereits vor. Am 27. April hatte der Bundestag mit großer Mehrheit einem Antrag von Ampel und Union zugestimmt. Diese hatten gefordert, die „Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern“.

    Das Ringtauschverfahren funktioniert so: Osteuropäische Staaten entsenden schwere Waffen – auch Kampfpanzer - aus sowjetischer Produktion in die Ukraine. Im Gegenzug erhalten sie von Deutschland oder anderen Nato-Partnern westliches Material als Ersatz.

    Die Slowenen liefern T-72-Kampfpanzer nach Kiew - und dafür Panzer der Bundeswehr

    Mit Slowenien hat die Bundesregierung bereits einen Ringtausch vereinbart. Der Nato-Verbündete soll dabei den noch in der Sowjetunion entwickelten T-72-Kampfpanzer an Kiew liefern. Diesen Typ können ukrainische Soldaten anders als bei westlichem Gerät ohne Ausbildung einsetzen.

    Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

    Dafür sollte die slowenische Armee den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs aus Deutschland bekommen. Bis heute ist der Deal allerdings offenbar nicht unter Dach und Fach.

    Auch Tschechien und Polen sollen sowjetisches Gerät in die Ukraine schicken

    Ein weiteres Ringtausch-Projekt gibt es mit Tschechien: Prag soll 20 sowjetische T-72-Kampfpanzer an die Ukraine abgeben und dafür von Deutschland 14 Leopard-2-A4-Kampfpanzer sowie einen Bergepanzer auf Leopard-2-Basis erhalten.

    Mit Blick auf den Liefertermin blieb das Verteidigungsministerium allerdings vage: „Noch dieses Jahr“ sollten die Leopard-Panzer an Tschechien gehen, hieß es lediglich. Auch mit Polen ist Deutschland seit April im Gespräch. Details sind aber noch offen.

    Scholz: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“

    Risiko-Abwägung und das Vermeiden einer Eskalation sind für Kanzler Scholz zentrale Punkte. „Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden“, betonte Scholz in einem „Spiegel“-Interview. „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

    Auf seiner Afrika-Reise versuchte der Kanzler, der Kritik in Berlin etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria verurteilte Scholz nach Gesprächen mit Präsident Cyril Ramaphosa erneut den „Angriffskrieg“ Russlands auf die Ukraine. „Wir alle sind uns einig, dass die Grenzen, die wir haben, nicht verschoben werden dürfen.“

    Bundeskanzler Scholz auf seiner Afrika-Reise (rechts).
    Bundeskanzler Scholz auf seiner Afrika-Reise (rechts). © dpa | Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Bundeswehr-Stützpunkt in Niger. Michael Kappeler

    „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen“

    Nun müsse alles getan werden, damit „die Kriegshandlungen“ eingestellt würden. Es brauche eine Entwicklung, „die die Souveränität und die Integrität der Ukraine ermöglicht. Darum geht’s“, so Scholz.

    Der Kanzler hatte zuletzt stets betont, dass ein russischer „Diktatfrieden“ nicht akzeptabel sei und allein die Ukraine bestimmen müsse, wann ein für sie hinnehmbarer Zustand erreicht sei. „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen“, hatte Scholz in der vergangenen Woche in einer Regierungserklärung im Bundestag gesagt.

    Auffällig: Die Möglichkeit oder gar das Ziel einer militärischen Niederlage der Nuklearmacht Russlands nannte der Kanzler nicht.

    Nach massiver Kritik gab es grünes Licht für Gepard-Flugabwehrpanzer

    Entlang seiner vorsichtigen Linie verfolgte der Kanzler lange Zeit eine Politik der angezogenen Handbremse. Zwei Monate lang zögerte die Bundesregierung, der Ukraine auch schwere Waffen zu liefern. Grund war die Befürchtung, von Moskau selbst als Kriegspartei gesehen zu werden.

    Nach massiver Kritik und Druck aus dem In- und Ausland gab es dann Ende April grünes Licht für die Lieferung von 30 ausgemusterten Gepard-Flugabwehrpanzern über die Industrie. Sie kommen vom Münchner Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann, müssen jedoch erst noch instandgesetzt werden.

    Ukrainische Soldaten sollen von der Industrie in Deutschland ausgebildet werden

    Die ersten 15 Exemplare sollen laut Bundesverteidigungsministerium Mitte Juli an die Ukraine gehen, die restlichen 15 bis Ende August. Ukrainische Soldaten sollen von der Industrie in Deutschland ausgebildet werden. Problem ist aber die Munition.

    Bisher stehen rund 59.000 Schuss bereit, was wegen der hohen Schussrate der Flugabwehrkanonen vielfach als zu wenig angesehen wurde. In Kiew hatte man sich zuvor beschwert, dass die Bundesregierung zwar die Entsendung der Gepard-Panzer avisiert hatte, aber ohne für die notwendige Munition zu sorgen.

    Seit Beginn des Krieges lieferte Deutschland Waffen im Wert von rund 200 Millionen Euro

    Darüber hinaus kündigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Abgabe von sieben Panzerhaubitzen 2000 aus Bundeswehr-Beständen an. Am 11. Mai begann in Deutschland auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten an den auf einem Panzerfahrgestell montierten Haubitzen. Das Training soll nach rund 40 Tagen im Juni abgeschlossen werden.

    Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
    Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). © Michael Kappeler/dpa

    Seit Beginn des Krieges hat die Bundesregierung Waffen im Volumen von rund 200 Millionen Euro in die Ukraine geschickt. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Panzerabwehrraketen, Panzerfäuste und Munition. Nach Angaben von Regierungskreisen in Kiew liegen die letzten Lieferungen allerdings rund drei Wochen zurück. Demnach kamen zuletzt am 3. Mai 1600 Panzerabwehrrichtminen vom Typ DM22 und 3000 Panzerabwehrminen vom Typ DM31 an.

    Staatssekretärin Siemtje Möller verweist auf Nato-Vereinbarung: keine westlichen Kampfpanzer

    Beim Ruf aus der Ukraine nach weiteren schweren Waffen stellt man sich in Berlin indessen taub. Siemtje Möller (SPD), Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, verweist auf eine Nato-Vereinbarung. Demnach habe man im Bündnis festgehalten, „dass keine Schützen- oder Kampfpanzer westlichen Modells geliefert werden. Und dazu gibt es auch bisher keine Veränderung der Position aller westlichen Nationen“.

    Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD), der Scholz politisch nahe steht wie kaum ein anderer, lieferte kürzlich drei Maximen der Bundesregierung für den Ukraine-Krieg. Erstens: „Deutschland darf nicht Kriegspartei werden“, sagte Schmidt bei einem Auftritt in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Zweitens: „Sanktionen müssen Russland mehr schaden als uns.“ Drittens: „Die militärische Unterstützung der Ukraine darf unsere Bündnisverteidigung nicht beeinträchtigen.“

    Rüstungsfirma Rheinmetall: Wir können 88 Leopard-Kampfpanzer liefern

    Bei Letzterem gibt die deutsche Rüstungsindustrie Entwarnung. Das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall hatte der Ukraine im April die Lieferung von 100 Marder- Schützenpanzern vom Typ 1A3 sowie 88 Leopard-Kampfpanzern vom Typ 1A5 aus eigenen Beständen angeboten.

    Panzer vom Typ „Marder“.
    Panzer vom Typ „Marder“. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

    Kostenpunkt laut Regierungskreisen in Kiew: jeweils ein niedriger dreistelliger Millionenbetrag in Euro. Die Ausbildung ukrainischer Militärs inklusive. Liefertermin für die ersten Marder wäre sechs bis 16 Wochen, für die ersten Leopard-Panzer sechs bis acht Monate. Ein Bescheid vom Bundessicherheitsrat liegt jedoch bislang nicht vor.

    Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk äußerte sich enttäuscht. „Diese Verzögerungstaktik der Ampel ist besonders bitter“, sagte er unserer Redaktion. „Es geht wohl ausschließlich um fehlenden politischen Willen der Bundesregierung, was sehr bedauerlich ist.“

    Dieser Artikel erschien zuerst bei waz.de.