Davos/Berlin. In seiner Video-Rede beim Wirtschaftsforum in Davos verlangt der ukrainische Staatschef „maximal wirksame Sanktionen“ gegen Moskau.

Blasses Gesicht, olivgrünes T-Shirt, die Ellbogen auf einen weißen Tisch gestützt: Mit müden Augen, doch leidenschaftlich im Ton ruft der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Weltgemeinschaft auf, den Druck auf Russland zu erhöhen. Er ist am Montag per Video zur Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) im Schweizer Skiort Davos zugeschaltet. In seiner Auftaktrede fordert Selenskyj „maximal wirksame Sanktionen“ gegen Moskau. Nötig sei etwa ein Embargo auf Rohöl, die Zusammenarbeit mit dem russischen IT-Sektor solle eingestellt werden. „Der Handel mit dem Aggressorland muss unterbunden werden“, so der ukrainische Staatschef.

Immer wieder wird Selenskyj von Beifall unterbrochen. Rund 2500 Konzernchefs, Spitzenpolitiker und Wissenschaftler haben sich nach gut zweijähriger Zwangspause wegen Corona in den Schweizer Alpen versammelt. Die Pandemie ist eines der großen Themen: gestörte Lieferketten, Konjunktureinbrüche, Inflationsängste sorgen für Gesprächsstoff. Russische Teilnehmer, sonst bekannt für ihre Partys in Davos, wurden dieses Jahr ausgeschlossen. Wesentlich kleiner ist die chinesische Delegation. Stark umworben ist der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad bin Khalifa Al Thani. Der kleine Staat am Persischen Golf, der Ende 2022 die Fußball-Weltmeisterschaft austrägt, verfügt mit über die größten Gasreserven weltweit.

Weltwirtschaftsforum: Selenskyj erhebt in Davos schwere Vorwürfe gegen den Westen

Nach Ansicht von Selenskyj hat der Westen zu spät auf den russischen Einmarsch am 24. Februar reagiert. „Wenn gleich die nötigen Waffen geliefert, Sanktionen verhängt und die Unterstützung für Russland eingestellt worden wären, hätten Zehntausende Leben erhalten werden können“, betont der Präsident. „Wenn der Aggressor verliert, schwindet seine Motivation, einen Krieg anzuzetteln.“ Er spricht von den „Lehren der Geschichte von 1938“ und zielt damit auf die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain gegenüber Adolf Hitler an.

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Selenskyj widmet einen Großteil seiner Rede dem Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg. Er schlägt vor, das ausländische „Eigentum des Aggressors“ in eine Stiftung zu leiten und später an die Ukraine zu verteilen. Er lobt Großbritannien und Dänemark, die „Partnerschaften mit Regionen in der Ukraine zum Wiederaufbau des Landes“ ins Leben gerufen hätten. Die Ukraine brauche rund fünf Milliarden Dollar pro Monat.

Internationale Organisationen müssten geändert werden, sagt Selenskyj – wohl auch mit Verweis auf seine Enttäuschung über die mangelnden Perspektiven zum Beitritt in Nato und EU. Gegen Ende spricht er von einer notwendigen „Kriegspräventions-Struktur“. Auch interessant: Ukraine will in die EU: Was sich für uns ändern würde

Davos: Habeck sieht vier große Krisen

Darüber hinaus geht es am ersten Tag des Weltwirtschaftsforums, das am kommenden Donnerstag endet, um Fragen der internationalen Energieversorgung. Und auch ein Davos-Dauerbrenner, die Balance zwischen wirtschaftlichem Profit und sozialer Gerechtigkeit, spielt eine Rolle. Lesen Sie mehr: Ukraine-Krieg: Warum der Rubelkurs trotz Sanktionen hoch ist

Vier miteinander verbundene Krisen sieht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), wie er bei seinem Auftritt in Davos sagt: die hohe Inflation in vielen Ländern, eine Energiekrise, Lebensmittelknappheit und die Klimakrise. „Wir können die Probleme nicht lösen, wenn wir uns nur auf eins der Probleme konzentrieren“, warnt Habeck. „Wenn aber keins der Probleme gelöst wird, dann sorge ich mich wirklich davor, dass wir uns in eine globale Rezession hineinbewegen.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Eine solche Rezession hätte gravierende Auswirkungen nicht nur auf den Klimaschutz, sondern auf die globale Stabilität insgesamt, so Habeck weiter. Wenn jedes Land sich nur noch um sich selbst kümmere, verschärfe das jedoch die Krise. „Wir müssen die Märkte offen halten“, so der Wirtschaftsminister: Zugleich aber müssten sich die Regeln der Märkte ändern. Es gehe nicht um De-Globalisierung, sondern um mehr Zusammenarbeit und Solidarität.

Was man über das Weltwirtschaftsforum wissen muss

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    Zum Start der WEF-Tagung verlangt die Entwicklungsorganisation Oxfam angesichts wachsender Ungleichheit eine stärkere Besteuerung von Unternehmen und sehr hohen Vermögen. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Konzerne und die dahinter stehenden Milliardärinnen und Milliardäre Rekordgewinne einfahren, während Millionen Menschen Mahlzeiten ausfallen lassen müssen, die Heizung abdrehen, mit ihren Rechnungen im Rückstand sind und sich fragen, was sie als nächstes tun können, um zu überleben“, sagt Oxfam-Referent Manuel Schmitt. Das Vermögen von Milliardären sei um 42 Prozent gewachsen.

    Dieser Text erschien zuerst auf waz.de.