Peking/Pjöngjang. Nordkorea hat Freitag den ersten Todesfall nach einer Corona-Infektion gemeldet. Warum das Virus in dem Land zur Tragödie werden kann.

Die Lage in Nordkorea spitzt sich zu: Nur einen Tag nach Bestätigung des ersten Corona-Falls seit Beginn der Pandemie wird der erste Covid-Tote gemeldet. Sechs Menschen seien an Fieber gestorben, bei einem sei die hochansteckende Omikron-Variante BA.2 gefunden worden. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA sind offenbar bereits rund 350.000 Menschen mit einem „unbekannten Fieber“ infiziert, dass sich „seit Ende April explosionsartig im ganzen Land ausgebreitet“, hieß es.

Tags zuvor hatte Machthaber Kim Jong Un einen landesweiten Lockdown angeordnet, sämtliche Städte und Landkreise sollten abgeriegelt werden, verfügte er.

Und erstmals trug der Machthaber selbst eine Schutzmaske im Gesicht. Für die Bevölkerung ist dies eine eindringliche Botschaft, wie ernst die Lage sein muss.

563d672c-d1fa-11ec-a832-e05ffab82ac6
© dpa | Uncredited

Bislang beruhte die epidemiologische Strategie des bitterarmen Landes ausschließlich auf einer vollständigen Isolation. Die Grenzen ins Ausland wurden derart abgeriegelt, dass auch der Handel mit China nahezu zum Erliegen kam. Erst im Januar nahm der Zugverkehr wieder langsam Fahrt auf, doch wurde bereits drei Monate später nach einem Infektionsausbruch in der chinesischen Grenzstadt Dandong wieder vollständig gestoppt.

Nordkorea: Corona trifft auf geschwächte Menschen und ein rudimentäres Gesundheitssystem

Die Paranoia der Staatsführung gegenüber dem Coronavirus ist gut begründet: In Nordkorea trifft der Erreger auf eine Bevölkerung von rund 26 Millionen, die laut Schätzungen der Vereinten Nationen zu rund 40 Prozent unterernährt ist. Zudem ist das Gesundheitssystem derart rudimentär, dass in ländlichen Gebieten selbst fundamentale Geräte sowie Antibiotika Mangelware sind.

„Insgesamt sind dies schreckliche Neuigkeiten für die nordkoreanische Bevölkerung, und wir könnten kurz vor der schlimmsten Covid-Krise der Welt stehen“, meint Chad O´Carroll, Chefredakteur des Fachmediums „NK News“ auf seinem Twitter-Account. Kurzfristig könne das Land im Grunde nichts anderes unternehmen, als auf einen vollständigen Lockdown zu setzen. Zumindest das kann der Staat effektiv umsetzen, schließlich verfügte Nordkorea bereits vor der Pandemie über einen extrem eng gestrickten Überwachungsstaat, der sämtliche Bewegungen der Bevölkerung kontrolliert.

Doch auch der Lockdown selbst könnte die drohende Katastrophe anfeuern. Zum einen werfen die Maßnahmen ganz praktische Fragen auf: Der Staat verfügt über keine nennenswerten Testkapazitäten, seit Beginn der Pandemie wurden laut offiziellen Angaben nur etwas mehr als 64.000 Menschen einem PCR-Test unterzogen. Angesichts einer solchen epidemiologischen Unwissenheit lässt sich wohl kaum genau bestimmen, zu welchem Zeitpunkt das Infektionsgeschehen effektiv eingedämmt wurde.

Wenn jetzt nicht gesät wird, droht im Winter eine Hungersnot

Zudem befindet sich das Land noch bis einschließlich Juni in der traditionellen Aussaat. Wenn diese aufgrund der Ausgangssperren eingeschränkt wird, hätte dies angesichts der fragilen Nahrungsmittelversorgung eine unmittelbare Hungersnot im Winter zur Folge.

Und auch bei der drohenden humanitären Krise ist ganz offen, ob das Land internationale Hilfslieferungen überhaupt hereinlassen wird. Denn sämtliche Importe werden vom Regime als Gefahr wahrgenommen, Covid-Erreger einzuführen. Bislang müssen schließlich alle Waren über Cargo-Züge an der Grenze eine „dreimonatige Quarantäne“ unterziehen.

Viele Forscher, wie etwa der Nordkorea-Experte Christopher Green von der Universität Leiden, halten die jetzige Ankündigung des Regimes nur für einen Teil der Wahrheit. Wahrscheinlich kursiere das Coronavirus schon seit längerem in dem abgeschotteten Land. Viel eher äußere sich Kim Jong Un erst jetzt, weil er ein taktisches Kalkül verfolge. Doch worauf der Machthaber genau abzielt, darüber herrscht bislang große Ungewissheit.

Nordkorea: Das Geld steckt im Militärprogramm

Fakt ist: Kim hat wiederholt abgelehnt, Vakzine über die internationale Covax-Initiative anzunehmen. Damals lautete die offizielle Begründung, dass man nicht die verfügbaren Totimpfstoffe wolle, sondern auf mRNA-Impfstoffe warten werde. Doch diese benötigen eine ausgeklügelte Tiefkühlkette, die das bitterarme Nordkorea gar nicht sicherstellen kann.

Die vielleicht größte Tragödie ist das politische Versagen der Staatsführung. Denn diese hat auch während der Pandemie die spärlichen Ressourcen des Landes weiterhin vor allem in sein Militärprogramm gesteckt. Allein in diesem Jahr führte Kim Jong Un bislang 16 Waffentests durch. Die letzten Raketen ließ der Diktator erst am Donnerstag zünden – just zur Ankündigung des Corona-Lockdowns.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.