Berlin. Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, will soziale Ungleichheit verringern. Wie er sein Vorhaben finanzieren will.

Carsten Schneider hat sich als Finanzexperte einen Namen gemacht, seit dem Regierungswechsel hat der gebürtige Thüringer ein Büro im Kanzleramt: Der SPD-Politiker ist Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland und gleichwertige Lebensverhältnisse. Im Interview mit unserer Redaktion macht Schneider einen Vorstoß, der Diskussionen auslösen dürfte.

Haben Ostdeutsche einen anderen Blick auf den Ukraine-Krieg als Westdeutsche?

Carsten Schneider: Nein. Es gibt überall den Wunsch nach Frieden. Die generelle Ablehnung einer deutschen militärischen Beteiligung an einem Krieg ist im Osten vielleicht etwas größer. Durch die Geschichte gibt es mehr Verständnis und eine Nähe zu den Menschen in der ehemaligen Sowjetunion. Arbeiter und Ingenieure aus der DDR und den ehemaligen Sowjetrepubliken haben dort gemeinsam an der Druschba-Pipeline gearbeitet. Mit Gorbatschow haben viele einen Aufbruch verbunden. Was das Bild von Putin angeht, mag es noch Unterschiede zwischen Ost und West gegeben haben, aber das hat sich seit Kriegsbeginn angenähert.

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Hat Putin im Osten noch Unterstützung?

Schneider: Das kann ich nicht erkennen. Die allermeisten sehen Putin als Aggressor. Wenn ich auf Veranstaltungen sage, der Typ ist irre, widerspricht mir niemand.

Wann hat Ihr eigener Lernprozess begonnen?

Schneider: Ich bin ganz selbstkritisch: Ich war immer der Meinung, dass man mit Russland irgendwie hinkommen muss. Die Ängste der Länder in Osteuropa habe ich nicht ernst genug genommen. Ich habe mich bewusst für Nord Stream 2 ausgesprochen. Dass Putin die gesamte Ukraine angreift, habe ich für unmöglich gehalten. Das war eine Fehleinschätzung.

Altkanzler Schröder bleibt fest an Putins Seite. Hat er noch einen Platz in der SPD?

Schneider: Ich bedauere sehr, dass Gerhard Schröder nicht in der Lage ist, sich wirklich ernsthaft von Wladimir Putin zu distanzieren und seine wirtschaftliche Tätigkeit für ihn niederzulegen. Gerhard Schröder diskreditiert sich und seine Leistung selbst. Von Parteiausschlüssen halte ich aber wenig.

(Gerhard Schröder und Wladimir Putin im Jahr 2005.
(Gerhard Schröder und Wladimir Putin im Jahr 2005. © AFP | Guido Bergmann

Sind Sie damit einverstanden, dass Schröders Altkanzler-Büro aus Steuermitteln finanziert wird?

Schneider: Das wird der Bundestag entscheiden. Wir brauchen Prinzipien, die für die finanzielle Ausstattung aller Büros der ehemaligen Bundespräsidenten, Bundestagspräsidenten und Bundeskanzler gelten.

Die Inflation steigt auf Rekordniveau, die Kaufkraft nimmt rapide ab. Wie groß ist die Sorge der Menschen im Osten, dass sie sich ihr Leben nicht mehr leisten können?

Schneider: Ich weiß, dass vielen mulmig zumute ist. Wer zwischen 1900 und 2400 Euro brutto verdient, für den wird es eh schon eng am Ende des Monats. Und wenn dann noch eine Nachzahlung kommt für Heizkosten, wird das viele - gerade im Osten - vor Probleme stellen. Wir haben Entlastungspakete im Volumen von 30 Milliarden Euro beschlossen, die den Menschen in dieser Krise helfen sollen. Die Maßnahmen sind allerdings befristet. Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst und wird die Preissteigerungen auch im kommenden Jahr genau beobachten. Es darf nicht passieren, dass Strom und Wärme abgestellt werden, dass Menschen ihre Wohnung verlieren.

Welche Folgen hat der geplante Einfuhrstopp für russisches Öl?

Schneider: Die ostdeutschen Länder wären von einem Öl-Embargo besonders betroffen. Die beiden Raffinerien in Leuna bei Halle und in Schwedt nahe der polnischen Grenze sind nicht mit dem westdeutschen Pipeline-Netz verbunden. Es zeigt sich, dass die Privatisierung dieser Infrastruktur ein Fehler war. Es sind Oligopolstrukturen entstanden, die nicht hinnehmbar sind für einen modernen Staat, der sich unabhängig von Energielieferungen aus Russland machen muss. Jetzt müssen wir umsteuern - etwa mit dem Bau von Flüssiggas-Terminals, für die sich Olaf Scholz trotz Kritik schon in den letzten Jahren eingesetzt hat.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nach einem Treffen mit der Belegschaft der PCK Raffinerie in Schwedt/Oder.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nach einem Treffen mit der Belegschaft der PCK Raffinerie in Schwedt/Oder. © dpa | Monika Skolimowska

Was wird aus der Öl-Raffinerie in Schwedt, die mehrheitlich in russischem Staatsbesitz ist?

Schneider: Niemand will mehr mit dem russischen Staatskonzern Rosneft zusammenarbeiten. Aber die Versorgung von Berlin, Brandenburg und ostdeutschen Regionen - einschließlich der Flughäfen BER und Halle/Leipzig - hängt an Schwedt. Wir arbeiten daran, die Rohöllieferungen aus anderen Quellen zu kompensieren, damit diese Raffinerie weiterarbeiten kann. Sobald es einen anderen Eigentümer gibt, wird es auch neue Partner für die Raffinerie geben. Darüber sind wir im Gespräch mit dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung. Das Ziel ist die Versorgungssicherheit und die Transformation des Unternehmens.

Was bedeutet das für die Beschäftigten?

Schneider: Wenn es gelingt, die Gesellschafterstruktur zu ändern, sehe ich für Schwedt mittelfristig eine gute Perspektive. Das Wirtschaftsministerium arbeitet mit dem Kanzleramt an verschiedenen Optionen, wie das gelingen kann.

Zum Öl-Embargo könnte ein Gas-Stopp kommen und die Menschen auf ganz neue Weise belasten. Sehen Sie die Gefahr, dass sich nach Pegida und den Corona-Demonstrationen die nächste Protestwelle im Osten aufbaut?

Schneider: Demonstrationen sind eine zentrale Ausdrucksweise der politischen Beteiligung. In Ostdeutschland ist das Hemd ein bisschen kürzer, da viele keine Rücklagen haben. Wenn man wenig Geld verdient und über kaum ein Vermögen verfügt, kann man finanzielle Einschränkungen nicht so leicht kompensieren. Es gibt aber einen Unterschied zur Gelbwesten-Bewegung in Frankreich: Die Erhöhung der Energiesteuern war eine bewusste Entscheidung von Präsident Macron. Wir versuchen, die Belastungen zu dämpfen, die sich aus dem Krieg ergeben.

Als Maßnahme gegen soziale Ungleichheit - gerade zwischen Ost und West - schlagen Ökonomen ein sogenanntes Grunderbe vor: 20.000 Euro vom Staat für alle 18-Jährigen. Wie denken Sie darüber?

Schneider: Ich halte das für eine sehr spannende Idee. Das sage ich jetzt als SPD-Politiker. Die Ungleichheit wächst von Generation zu Generation, was weniger am aktiven Einkommen liegt als am Vermögenszuwachs. Wer nichts hat, der kann nur schwer etwas zurücklegen und ein Vermögen aufbauen.

Wie wollen Sie diese Leistung finanzieren?

Schneider: Ein solches Grunderbe könnte über eine höhere Erbschaftssteuer der oberen zehn Prozent finanziert werden. In Deutschland werden Millionenerbschaften zu gering besteuert. Wir laufen Gefahr, dass sich eine Rentiersgesellschaft, die von Erbschaften lebt, von der normalen Arbeitsgesellschaft abkoppelt. Eigentum zu bilden ist für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr möglich, gerade in den Metropolen. Ein Grund-Erbe wäre ein interessantes Instrument, um diese Entwicklung aufzuhalten und die Startchancen ins Berufsleben etwas gerechter zu gestalten.