Berlin. Wie zwingt man Putin zu Verhandlungen? Lanz diskutierte auch, wie westliche Politik im Ukraine-Krieg moralisch richtig handeln kann.

Also war doch alles anders gemeint als es verstanden wurde? Der Politologe Wolfgang Merkel, einer der 28 prominenten Unterzeichner des "offenen Briefes" von Alice Schwarzer, widersprach bei "Markus Lanz" heftig: "Keiner spricht von Kapitulation. Wenn wir aber annehmen, dass die Opferzahlen in die Hunderttausende gehen, ist die Frage legitim, ob das für die Zivilbevölkerung zumutbar ist."

Wie zwingt man Putin an den Verhandlungstisch? Unter dem Eindruck, dass dieser Diskurs in den Medien bisher "zu eindimensional" geführt worden sei, hätten die Briefschreiber für jene 45 Prozent der Deutschen sprechen wollen, die Angst hätten, dass sich der Ukraine-Krieg zu einem atomaren Konflikt ausweiten könnte.

"Der Diskurs sollte pluralisiert werden", begründete Wolfgang Merkel bei "Markus Lanz" die Emma-Initiative, mit der der Bundeskanzler aufgefordert wurde, "weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen" an die Ukraine zu liefern. "Es wurde nicht gesagt, dass keine Waffen geliefert werden sollen", relativierte er. "Nur müssen wir von Fall zu Fall diskutieren, was wir liefern."

"Markus Lanz" – Das waren die Gäste:

  • Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister (SPD)
  • Golineh Atai, Journalistin und Russlandexpertin
  • Wolfgang Merkel, Politologe und Unterzeichner des offenen Briefes an Olaf Scholz
  • Matthias Horx, Zukunftsforscher

Ukraine-Krieg: Heil zur Waffenlieferung

Als wenn das nicht ohnehin passieren würde. Hubertus Heil (SPD) jedenfalls, gerade zurückgekehrt von der zweitägigen Regierungsklausur in Schloss Meseberg, wurde bei "Markus Lanz" nicht müde zu betonen, wie entschlossen und zugleich besonnen die Bundesregierung handele.

"Wir liefern Waffen zur Selbstverteidigung", erklärte er. In Abstimmung mit den Nato-Partnern täten alle das "Menschenmögliche", um eine Eskalation zu verhindern. Aber eines wollte er doch klarstellen: "Niemand darf das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes infrage stellen." Auch für ihn sei das Wichtigste, dass es einen Waffenstillstand gebe, "aber keinen Diktatfrieden von Putin".

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Alice Schwarzer: Offener Brief als Streitthema

Wie unterschiedlich doch mit dem "großen Unbehagen" (Lanz) umgegangen wurde: Sowohl bei "Maybrit Illner" wie auch bei "Markus Lanz" war an diesem Donnerstag der eine Woche alte "offene Brief" Schwerpunktthema. Während Maybrit Illner ihre Gäste sehr sachlich befragte und ausreden ließ, wollte Markus Lanz lieber streitlustig mitdiskutieren.

Am liebsten aber gerierte sich der Moderator als Moralapostel, der hinter jeder Alternative den nächsten Skandal witterte: "Wussten Sie", fragte er zum Beispiel in die Runde, "dass wir den ärmeren südostasiatischen Staaten gerade das Gas wegkaufen? Das Getreide auch, dann aber Afrika. Indem wir mit dicken Geldkoffern die Lieferanten überredeten, ihre Schiffe Richtung Westen umzuleiten, trotz bestehender Verträge mit anderen." Das hatte Markus Lanz am Abend zuvor vom Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, gelernt.

Blöd nur, dass der Bundesarbeitsminister – ebenso wie alle anderen in dieser Runde – den Mittwochs-Talk nicht gesehen hatte. Die Frage, ob so etwas moralisch richtig ist, erwischte Hubertus Heil kalt: "Man versucht, in dieser Welt moralisch das Richtige zu tun, aber man muss sich auch den Realitäten stellen", antwortete er eher lau. Die westlichen Regierungen hätten die Verantwortung, die Energieversorgung sicherzustellen. Der Ausstieg aus den fossilen Energien werde noch dauern.

Ukraine-Krieg: Russlands imperialer Blick

Golineh Atai konnte mit der Frage ebenso wenig anfangen und regte an, "ganzheitlich" zu handeln. Die Russland-Expertin, die als Korrespondentin von 2013 bis 2018 für die ARD aus Moskau berichtet hatte, sah vor allem die "Sonderbeziehung" zwischen Deutschland und Russland kritisch, die Putin in der Vergangenheit oft ausgenutzt habe. Selbst die Annexion der Krim habe kaum Folgen auf die Beziehungen gehabt, wie sie beobachtete: "Wir Korrespondenten dachten nur: In welcher Realität leben die denn?", weil kein Regierungsgast das Abrutschen in das autokratische System erkannt habe.

Den Briefschreibern um Wolfgang Merkel warf sie vor, sie nutzten für ihre Argumentation einen "typischen Topos der Putin-Propaganda": "Wir haben uns Russlands imperialen Blick zu eigen gemacht", bedauerte sie und forderte, dass wir mit der Ukraine reden sollten und nicht länger über sie.

Nur Matthias Horx blieb entspannt. Statt im "moralischen Dilemma" zu versinken, analysierte er es: "Ein Krieg ist ein Paradox, wir können nur Fehler machen", erklärte er. Dass die Deutschen in der Frage der Waffenlieferungen so gespalten sind, ist für ihn kein Zufall. Wie aber können wir verhindern, dass wir entweder in das "Angst-Loch" oder in das "Moral-Loch" fielen? "Wir müssen die Debatte auf eine andere Stufe heben", jenseits der moralischen Empörung, forderte der Zukunftsforscher.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.