Paris/Berlin. Stimmen die Linkswähler aus Frust über Macron für Rechtsaußen, sitzt Marine Le Pen im Élysée-Palast. Es wäre ein Erdbeben für Europa.

  • Rechtspopulistin Marine Le Pen hat ganz andere Pläne für Frankreich und Europa als Amtsinhaber Macron
  • Sie dürfte mehr nach Osteuropa als Richtung Deutschland schauen
  • In Frankreich hat sich über die Jahre viel Frust angestaut
  • Bei der Stichwahl am Sonntag wird nun entscheidend sein: Wen wählen die Linkswähler?

Gewinnt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auch die Stichwahl – oder zieht Marine Le Pen am 24. April an ihm vorbei? Eine rechtsextreme Kandidatin im Élysée-Palast: Es wäre ein Erdbeben für Europa, die transatlantischen Beziehungen, die Welt.

Im Nachbarland hat sich viel Frust aufgestaut. Die Kandidatinnen der Traditionsparteien Sozialisten und konservative Republikaner – sie stellten jahrzehntelang den Präsidenten – gingen völlig unter. Beide zusammen erreichten nicht einmal zehn Prozent. Mehr als die Hälfte der Französinnen und Franzosen wählten Rechts- oder Linkspopulisten.

Schnittmengen der links- und der rechtspopulistischen Wähler sind besonders groß

Die entscheidende Frage für den zweiten Wahlgang lautet: Wo machen die Linkswähler ihr Kreuz? Ihr Spitzenmann Jean-Luc Mélenchon hat fast 22 Prozent der Stimmen eingefahren. Zwar sagte der wortgewaltige Linkspolitiker in der Wahlnacht des ersten Durchgangs am Sonntag klipp und klar: „Ihr solltet keine einzige Stimme Madame Le Pen geben. Ich kenne eure Wut. Gebt euch nicht der Gefahr hin, dass sie euch Fehler begehen lässt, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.“

Aber auf wie viel Resonanz stößt dieser Appell? Das Problem ist, dass die Schnittmengen der links- und der rechtspopulistischen Wähler besonders groß sind. Es handelt sich vor allem um diejenigen, die sich abgehängt und vernachlässigt fühlen. Viele Geringverdiener sind darunter, die nur mit Ach und Krach über die Runden kommen. Hier ist die Angst vor hoher Inflation und schwindender Kaufkraft im Zuge des Ukraine-Krieges besonders groß.

Gelbwesten-Bewegung veränderte französische Politik

Sie leben abseits der urbanen Zentren. Auf dem flachen Land wurden Poststellen, Bus- und Zuglinien abgebaut. Fabriken machten dicht, Arbeitsplätze fielen weg oder wanderten nach China. In diesen Regionen wird Le Pen als Heilsbringerin gefeiert.

Im Dezember 2018 demonstrierten Anhänger der „Gelbwesten“ vor der Place de l’Opéra in Paris gegen die Öko-Steuer auf Benzin.
Im Dezember 2018 demonstrierten Anhänger der „Gelbwesten“ vor der Place de l’Opéra in Paris gegen die Öko-Steuer auf Benzin. © Getty Images | Jeff J Mitchell

Aber auch für Mélenchon ist die Zustimmung sehr hoch. Es ist die gleiche Klientel, die bei der „Gelbwesten“-Bewegung 2018/19 sehr stark vertreten war. Damals hatte Macron eine Öko-Steuer auf Benzin eingeführt und sie später wieder gekippt. In der Provinz, wo es kaum öffentlichen Nahverkehr gibt und gut bezahlte Jobs rar sind, kochte die Stimmung.

Populismus: Le Pens Rezept ist simpel

Le Pen wie Mélenchon haben ein simples Rezept: Sie wollen den Mindestlohn erhöhen und die Preise für Strom, Gas und Benzin senken. Ganz anders Macron. Der hatte vor Kurzem angekündigt, das Renteneintrittsalter von 62 auf 65 Jahre zu erhöhen. Zudem will er Empfänger sozialer Grundleistungen sanktionieren, sollten diese sich nicht zu verpflichtenden Fortbildungen mit einer Mindeststundendauer von 20 Stunden pro Woche bereit erklären.

Darüber hinaus hat Macron mit einem Image-Problem zu kämpfen: Der Staatschef gilt als abgehoben und arrogant. Er versuchte, sich als Kriegs-Präsident und Krisenmanager zu profilieren und betrieb einen Wahlkampf auf Sparflamme.

2017 galt Emmanuel Macron für viele noch als Hoffnungsträger

2017 war das anders. Damals konnte Macron bei vielen Linkswählern noch punkten. Er galt als ehemaliger Sozialist, der eine eigene Partei gründete und dem verhassten politischen System den Marsch blies – ein Hoffnungsträger. Doch mit der Erleichterung beim Kündigungsschutz konnte Macron zwar die Arbeitslosenrate senken und das Wirtschaftswachstum anfachen. Aber bei Linkswählern machte er sich viele Feinde. Im Unterschied zu 2017 werden sich viele bei der Stichwahl am 24. April aus Frust enthalten oder Le Pen wählen.

Emmanuel Macron spricht nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Paris zu seinen Unterstützern.
Emmanuel Macron spricht nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Paris zu seinen Unterstützern. © dpa

Die rechtspopulistische Kandidatin hat ihr Feindbild bereits parat. Sie bezeichnet Macron als Kandidat der Vermögenden. „Von Ihrer Wahl hängt ab, wie viel Platz Sie dem Geld in unserer Gesellschaft beimessen wollen“, betonte Le Pen.

Frankreich-Wahl: Ein Sieg Le Pens wäre für die EU ein Schock

Die anstehende Weichenstellung im zweiten Wahlgang dürfte international mit Spannung und auch Sorge beobachtet werden. Sollte Le Pen gewinnen, wäre das für die EU nach dem Brexit und dem Wahlerfolg Donald Trumps 2016 in den USA ein weiterer Schock.

Während Macron überzeugter Pro-Europäer ist und für eine Vertiefung der Union eintritt, steht Le Pen für eine nationalistische Politik des „Frankreich first“. Bei der Job-Vergabe und bei Sozialleistungen sollen Franzosen bevorzugt werden. Für Einwanderung soll es eine Obergrenze geben.

Marine Le Pen bei der Stimmabgabe im nordfranzösischen Henin-Beaumont.
Marine Le Pen bei der Stimmabgabe im nordfranzösischen Henin-Beaumont. © dpa

Konfrontationen zwischen Paris und Brüssel wären programmiert

Paris könnte zum Bremser wichtiger Reformvorhaben der EU werden. Zwar hat Le Pen Extrempositionen wie den Austritt Frankreichs aus der EU und der Eurozone geräumt. Aber Konfrontationen mit Brüssel wären mit ihr als Präsidentin programmiert. Schließlich stellt Le Pen die Autorität europäischer Gerichte infrage, und sie will eine Besserstellung von Franzosen gegenüber Ausländern durchsetzen.

Bei einem Sieg der 53-Jährigen könnten zudem die geschlossene Front Europas gegen Russland und die Unterstützung der Ukraine in Gefahr geraten. Ein solches Szenario löst auch in den USA Sorgen aus. Die Politikerin kündigte bereits an, nach einem Ende des Kriegs könne Russland in absehbarer Zeit wieder ein Partner Europas werden.

Marine Le Pen würde eher nach Osteuropa schauen als nach Berlin

Für Deutschland wiederum geht es um die Zugkraft des Tandems Paris und Berlin. In der aktuellen Besetzung mit Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) arbeiten die beiden Länder eng zusammen. Unter Le Pen als Präsidentin dürfte Deutschland den Rang als Partner der Wahl verlieren - Frankreich würde sich wohl eher dem Lager der Euroskeptiker wie Ungarn und Polen zuwenden.

Macron stapelt vor der Stichwahl schon mal tief und gibt sich demütig. „Vertun wir uns nicht, nichts ist entschieden.“ Und: „Wenn die Rechtsextreme in all ihren Formen so viel Rückhalt im Land hat, kann man nicht davon sprechen, dass die Dinge gut laufen.“ Das klingt nach Reparaturbedarf. Macron gegen Le Pen: Es steht viel auf dem Spiel. Für Frankreich, Europa und die Welt.

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Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.