Berlin. Die Ermittlungen gegen russische Kriegsverbrecher in Butscha müssen mit aller Kraft geführt werden, meint unser Autor Christian Unger.

Es gibt schlechte Nachrichten für alle Kriegsverbrecher: Gräueltaten an Zivilisten und unschuldigen Menschen bleiben nur noch selten unentdeckt. Fast alles kommt an die Öffentlichkeit. So wie jetzt in Butscha, dem kleinen Ort nahe der ­ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Menschen, offensichtlich Zivilisten, liegen erschossen am Wegesrand, manche noch in Leichenstarre auf ihrem Fahrrad, daneben ein Sack Kartoffeln – oft das Letzte, was es in den besetzten Städten dieses russischen Angriffskriegs noch an Essen für die Menschen gibt.

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Die russische Armee begeht – darauf deutet vieles hin – in der Ukraine Kriegsverbrechen. Doch es gibt Videos, Fotos, Satellitenaufnahmen von den Tatorten. Es gibt Recherchen von Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Es gibt Zeugenaussagen. Alles wird tausendfach geteilt und archiviert in den sozialen Netzwerken wie Telegram und Twitter. Diese Spuren kann niemand mehr verwischen. Lesen Sie auch:Tatort Butscha – Wie beweist man Kriegsverbrechen?

Wer gab die Befehle für diese Verbrechen?

Ukrainische Staatsanwälte ermitteln nun gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher in den Reihen der russischen Streitkräfte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt den russischen Angriff in einer ersten Entscheidung. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Ermittlungen aufgenommen. Ähnlich wie bei den Wirtschaftssanktionen gegen Russland braucht es jetzt diesen internationalen juristischen Kraftakt.

Die internationalen Gerichte konzentrieren sich auf die Hauptverant­wortlichen von Kriegsverbrechen: Wer gab die Befehle für den Beschuss von Wohngebieten? Wurden Tötungen und Vergewaltigungen als Kriegswaffe gezielt angeordnet?

Es ist richtig, dass auch der deutsche Generalbundesanwalt Beweise für Kriegsverbrechen sammelt. Genauso macht es die Justiz in anderen europäischen Staaten – überall dort, wo Geflüchtete aus der Ukraine als Zeugen aussagen können. Das ist wichtig, um abseits der Befehlshaber einzelne Straf­taten – eine Vergewaltigung oder die Tötung eines Zivilisten durch Soldaten – vor Gericht zu bringen.

Aufarbeitung der Verbrechen ist vor allem für die Opfer wichtig

Dieses Weltrechtsprinzip ist eine große Errungenschaft des Strafrechts – es führt dazu, dass sich weltweit die Justiz solidarisch erklärt mit den Opfern von Kriegsverbrechern. Es kann in der Praxis aber auch bedeuten, dass Polizisten ihre Beweise für Verfahren international austauschen. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen ist vor allem für die Opfer wichtig. Wer Kriegsverbrechen überlebt, ist oftmals für den Rest des Lebens traumatisiert.

Nun wissen wir auch: Es wird schwer, russische Soldaten für einzelne Verbrechen vor einem deutschen Gericht zu bestrafen. Wird man Russlands Präsidenten das Befehlen oder Tolerieren dieser Verbrechen nachweisen, genießt er Immunität, solange er im Amt ist. Und auch eine Auslieferung des Staatschefs an den Westen ist derzeit kaum denkbar.

Das sind Hürden. Doch auch in der Justiz kann der Weg schon Teil einer Aufarbeitung sein. Ermittlungen allein sind ein wichtiges Signal. Es gibt militärisch keinen Nato-Bündnisfall, weil die Ukraine nicht Teil der Allianz ist. Doch es braucht mindestens einen Bündnisfall der vereinten westlichen Gerichtsbarkeit, um Gerechtigkeit für die Menschen in Butscha und anderen ukrainischen Orten zu schaffen.

Etwa für den erwachsenen Mann und den Teenager, mutmaßlich Vater und Sohn, die die ukrainischen Truppen in ihrem Transporter entdeckten, mitten auf der Straße zu dem Ort. Erschossen. Sie tragen zivile Kleidung, keine Spur von Waffen. Wie die beiden traf es offenbar Hunderte Zivilisten allein in Butscha. Ihr Leid darf nicht vergessen werden.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.