Berlin . Nach dem Rückzug russischer Truppen wurden in dem Kiewer Vorort Butscha zahlreiche Tote entdeckt. Von einem „Massaker“ ist die Rede.

  • Die Bilder aus dem ukrainischen Butscha sorgen weltweit für Entsetzen
  • In der im Nordwesten von Kiew gelegenen Stadt liegen viele Leichen von Zivilisten auf der Straße
  • Die Bilder des Massakers sind verstörend: Politiker finden deutliche Worte für Wladimir Putin

Die Kamera filmt aus einem Pick-up des ukrainischen Militärs. Das Video zeigt verstörende Bilder aus dem Ort Butscha nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Alle paar Meter liegen Menschen leblos am Boden, Männer in Blue-Jeans und braunen Jacken. Auch Kinder sind dabei. Bei vielen Erwachsenen sind die Hände hinter dem Rücken mit Kabelbindern verbunden. Der Militärwagen muss stellenweise Slalom fahren, um den Leichen auszuweichen. In einigen Straßen türmen sich ausgebrannte Autos. Daneben rußgeschwärzte Häuser ohne jeden Bewohner.

Bis vor wenigen Tagen war Butscha zwischen russischen Truppen und ukrainischen Kräften schwer umkämpft. Nach dem Abzug der russischen Verbände aus der Umgebung von Kiew ist das Ausmaß der Gräueltaten an der Zivilbevölkerung deutlich geworden. „Neues Srebrenica“, schreibt das ukrainische Verteidigungsministerium auf Twitter – in Anspielung auf das Massaker im Jugoslawienkrieg von 1995, bei dem mehr als 8000 Bosniaken von Serben ermordet wurden. „Die ukrainische Stadt Butscha war für mehrere Wochen in der Hand von Tieren“, heißt es weiter in dem Tweet. Das russische Verteidigungsministerium spricht von einer Fälschung.

Butscha: Zivilisten in Massengrab beerdigt

Fünfeinhalb Wochen nach Beginn des Einmarsches Russlands in die Ukraine liegen in Butscha Dutzende Tote im Freien. Nach Angaben von Bürgermeister Anatoly Fedoruk mussten 280 Menschen in Massengräbern beigesetzt werden, da die drei städtischen Friedhöfe noch in Reichweite des russischen Militärs lagen.

Ein zerstörtes Auto auf einer Landstraße in Butscha. Fast 300 Zivilisten wurden entlang der Straße in Butscha, einer Pendlerstadt außerhalb der Hauptstadt, getötet.
Ein zerstörtes Auto auf einer Landstraße in Butscha. Fast 300 Zivilisten wurden entlang der Straße in Butscha, einer Pendlerstadt außerhalb der Hauptstadt, getötet. © dpa

Der britische Sender BBC berichtete in einem Film aus Butscha, dass Bewohner von jungen russischen Wehrpflichtigen auf der Flucht um Hilfe angefleht worden seien. „Dies ist ein Friedhof der russischen Hoffnungen, Kiew einzunehmen“, sagte ein BBC-Reporter zu Aufnahmen verkohlter Panzer und anderer Militärfahrzeuge.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einem „absichtlichen Massaker“ und forderte weitere Sanktionen. Konkret forderte er von den sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächten ein Öl-, Gas- und Kohle-Embargo gegen Russland, einen Ausschluss aller russischen Banken aus dem Kommunikationsnetzwerk Swift sowie eine Schließung aller Häfen für russische Schiffe und Waren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland einen „Völkermord“ in der Ukraine vor.

Der Kiewer Bürgermeister, Vitali Klitschko, verurteilte die Taten scharf. „Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen“, sagte Klitschko am Sonntag der „Bild“-Zeitung. Zugleich machte er Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich dafür verantwortlich. „Es sind grausame Kriegsverbrechen, die Putin dort zu verantworten hat. Zivilisten, die mit verbundenen Händen erschossen wurden.“

Ukraine-Krieg: Entsetzen über Gräueltaten

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beschuldigte die russische Armee der Kriegsverbrechen wie Hinrichtungen und Plünderungen. In einem Bericht, der am Sonntag in Warschau veröffentlicht wurde, werden Fälle in der Umgebung der Städte Kiew, Charkiw und Tschernihiw genannt. „Vergewaltigung, Mord und andere gewaltsame Akte gegen Menschen in der Gewalt russischer Truppen sollten als Kriegsverbrechen untersucht werden“, erklärte der Europa-Direktor Hugh Williamson.

Ein ukrainischer Soldat steht in Butscha auf einer zerstörten Brücke.
Ein ukrainischer Soldat steht in Butscha auf einer zerstörten Brücke. © Rodrigo Abd/AP/dpa

National und international machte sich Entsetzen breit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlangte eine Aufklärung von „Verbrechen des russischen Militärs“. Internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz müssten Zugang zu diesen Gebieten erhalten sowie die Täter und ihre Auftraggeber „konsequent zur Rechenschaft gezogen werden“.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich dafür aus, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. „Wir werden die Sanktionen gegen Russland verschärfen und die Ukraine noch stärker bei ihrer Verteidigung unterstützen“, kündigte sie an. „Dieses furchtbare Kriegsverbrechen kann nicht unbeantwortet bleiben“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) der „Bild“.

Ein ukrainischer Soldat geht entlang einer zerstörten Straße in Butscha.
Ein ukrainischer Soldat geht entlang einer zerstörten Straße in Butscha. © Mykhaylo Palinchak/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) brachte einen Stopp russischer Gaslieferungen ins Gespräch. „Es muss eine Reaktion geben. Solche Verbrechen dürfen nicht unbeantwortet bleiben“, sagte sie laut Vorabmeldung in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von Horrorszenen. Zugleich versicherte sie: „Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen.“ Auch EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte die „Gräueltaten“ in Butscha. Der Vorsitzende der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Manfred Weber, forderte eine drastische Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. „Es ist höchste Zeit, Kohle- und Öl-Lieferungen aus Russland zu beenden und die Waffenlieferungen für die Ukraine zu verstärken“, sagte der Vize-CSU-Chef unserer Redaktion.

US-Außenminister Antony Blinken sprach angesichts der schockierenden Aufnahmen von „einem Schlag in die Magengrube“. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich tief betroffen. „Es ist eine Brutalität gegen Zivilisten, wie wir sie in Europa seit Jahrzehnten nicht gesehen haben“, sagte Stoltenberg dem TV-Sender CNN.

Auch die Millionenstadt Odessa wurde angegriffen. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, von Schiffen und Flugzeugen aus seien eine Ölraffinerie und Treibstofflager beschossen worden.

(mit afp/dpa/jtb/bef)

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

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