Berlin . Russische Truppen belagern Mariupol seit Wochen und bomben die Stadt aus. Die Stadt ist für Russland ein strategisch wichtiges Ziel.

Wochenlange Belagerung, Einkesselung von Zivilisten, ausgebombte Häuser und zerstörte Kliniken: Russlands Angriffe auf Mariupol zählen wohl zu den schrecklichsten Kampfhandlungen im Ukraine-Krieg. Nicht umsonst vermuten immer mehr internationale Beobachter, dass das russische Militär hier Kriegsverbrechen begeht.

Dass die Stadt am Meer so heftig angegriffen wird, ist kein Zufall. Es lässt sich mit einem Blick auf Taktik, Geografie und Geschichte erklären.

Russische Belagerung: Warum wird Mariupol angegriffen?

Mariupol ist ein wichtiger Industriestandort der Ukraine. Über die Stadt wird ein großer Teil des Getreides aus der Ostukraine und dort hergestellter Stahl exportiert. Doch auch für das Inland ist die hiesige Produktion von Bedeutung: Die beiden Stahlwerke der Stadt decken einen großen Teil des ukrainischen Stahlbedarfs. Mariupol ist also mit Blick auf Ressourcen – und auch zukünftige Handelsmöglichkeiten der Ukraine – von großer strategischer Bedeutung.

Gleichzeitig ist die Offensive gegen Mariupol auch dazu da, um das vom Kreml verbreitete Narrativ der "Entnazifizierung" der Ukraine zu untermauern. Putin rechtfertigt den Krieg damit, dass die Ukraine von Nazis regiert werden würde. Dabei wird häufig auf das Asow-Regiment verwiesen, wie beispielsweise beim Angriff auf die Geburtsklinik von Mariupol.

Ein zerstörter Panzer, der wahrscheinlich den russischen/pro-russischen Kräften gehört, inmitten von Trümmern im Norden der belagerten Hafenstadt Mariupol.
Ein zerstörter Panzer, der wahrscheinlich den russischen/pro-russischen Kräften gehört, inmitten von Trümmern im Norden der belagerten Hafenstadt Mariupol. © dpa

Asow-Regiment: Wer kämpft in Mariupol?

Mariupol ist Sitz der berüchtigten Kampftruppe, in der auch nach Meinung westlicher Experten Rechtsradikale kämpfen. Die USA hatten eine Lieferung von Waffen an das Asow-Bataillon nicht erlaubt. Allerdings ist die Einheit längst Teil der ukrainischen Nationalgarde. Kiew gibt an, die Einheit nicht zu unterstützen, dies lässt sich in der derzeitigen Lage allerdings nicht überprüfen.

Die Asow-Gruppe verteidigt die Stadt. Russland greift Mariupol seit Wochen mit Bomben an und belagert die Stadt einer großen Truppenstärke. Fluchtkorridore für Zivilistinnen und Zivilisten scheitern immer wieder.

Ukraine-Krieg: Wo liegt Mariupol?

Die Flucht aus Mariupol ist auch wegen der Lage der Stadt schwierig: Sie liegt im Südosten der Ukraine. Sie ist die letzte große Hafenstadt am Asowschen Meer unter ukrainischer Kontrolle. Mariupol liegt in der Oblast (Verwaltungsbezirk) Donezk und hatte vor dem russischen Einmarsch rund 430.000 Einwohner, etwa zu gleichen Teilen Ukrainer wie Russen. Die Stadt hat seit 2014 mehrere Angriffe der prorussischen Separatisten abgewehrt und gilt als Symbol des ukrainischen Widerstands.

Ukraine: Warum ist der Standort Mariupol so wichtig?

Für Putin dürfte deshalb nicht nur entscheidend sein, dass er mit dem Kampf gegen das Asow-Regiment seine Propaganda unterfüttern kann und durch die Angriffe die ukrainische Industrie stark schädigt. Die Offensive hat noch ein weiteres Ziel: Mit einer Eroberung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol will Russland nach eigenen Angaben eine sichere Landverbindung auf die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim schaffen.

Das Satellitenfoto zeigt brennende und zerstörte Wohnhäuser in Mariupol.
Das Satellitenfoto zeigt brennende und zerstörte Wohnhäuser in Mariupol. © dpa

Sobald das russische Militär die wichtige Fernstraße M14 unter Kontrolle habe, sei die Krim wieder zuverlässig über einen Transportkorridor mit den ostukrainischen Separatistengebieten Donzek und Luhansk verbunden, sagte der stellvertretende Beauftragte von Präsident Wladimir Putin für den Föderationskreis Südrussland, Kirill Stepanow, am Mittwoch der Staatsagentur Ria Nowosti.

Russland will sicheren Zugang zur Krim über Mariupol schaffen

Die M14 führt vom südwestukrainischen Odessa, das bereits Ziel russischer Angriffe war, über das umkämpfte Mykolajiw und das von russischen Truppen besetzte Cherson nach Mariupol und von dort über die russische Grenze in die Großstadt Rostow am Don. Die Ukraine hatte nach der russischen Annexion der Krim 2014 die Eisenbahnlinien auf die Halbinsel geschlossen.

"Wir sind zuversichtlich, dass alle Transport- und Eisenbahnlinien zwischen der Krim und dem von Nationalisten befreiten Gebiet Cherson in naher Zukunft vollständig wiederhergestellt sein werden", sagte Stepanow.

Mariupol ist also definitiv kein willkürlich gewähltes Ziel für den brutalen Angriffskrieg. Der Verlust der Stadt wäre für die Ukraine schwer, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich. Für die russischen Truppen könnte es dagegen eine erste ernstzunehmende Erfolgsmeldung sein. (mit dpa)

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.