Berlin. Die großen Ratingagenturen haben Russlands Kreditwürdigkeit deutlich heruntergestuft. Was das für die Wirtschaft des Landes bedeutet.

Die Sanktionspolitik des Westens im Zuge des Ukraine-Kriegs setzt die russische Wirtschaft und den Finanzmarkt zunehmend unter Druck. Nun zweifeln die führenden Finanz-Ratingagenturen daran, ob Russland seine Schulden künftig bedienen kann. Standard & Poor’s (S&P), Fitch und Moody’s stuften allesamt die Kreditwürdigkeit Russlands in dieser Woche herab – auf „Ramschniveau“.

„Bei der Bewertung der russischen Finanzmärkte erleben wir einen freien Wertverfall“, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), unserer Redaktion.

Ukraine-Krieg: Für Russland werden neue Schulden teurer

Die Abstufung der russischen Staatsanleihen fiel heftig aus: S&P, das schon am vergangenen Freitag die russischen Papiere abgewertet hatte, senkte die Bonitätsnote für Russland von „BB+“ auf „CCC-" – und damit um acht Stufen. „CCC-“ bedeutet eine hohe Gefahr eines Zahlungsverzugs oder gar -ausfalls. Darunter liegen nur noch die Stufen „CC“, „C“ und „D“, die vergeben werden, wenn es bereits einen Zahlungsverzug oder einen -ausfall gibt.

Fitch stufte seine Note um sechs Stufen von „BBB“ auf „B“ herab. Auch Moody’s hatte zur Wochenmitte die Kreditwürdigkeit um sechs Stufen abgesenkt, von „B3“ auf „Baa3“.

Mit einer schlechteren Kreditwürdigkeit wird es in der Regel für Länder teurer, sich zu verschulden. Auf Staatsanleihen muss der Staat in der Regel höhere Zinsen zahlen, um trotz des Risikoaufschlags attraktiv für Investoren zu bleiben.

Russland hat eine geringe Schuldenquote

Bisher allerdings ist Russland nur bedingt auf frisches Kapital angewiesen. Die Schuldenquote ist mit 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gering. Zum Vergleich: Deutschlands Schuldenquote liegt bei rund 70 Prozent. Und: „Im Normalfall hat Russland einen Leistungsüberschuss von vier bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts“, sagte Ulrich Leuchtmann, Devisenmarkt-Analyst der Commerzbank, unserer Redaktion. Bedeutet: Russland exportiert mehr, als es importiert.

Wäre es andersherum, müsste die Volkswirtschaft Schulden machen, so aber spülen etwa die wichtigen Energieexporte regelmäßig Geld in die Kasse. Größter Posten ist dabei nicht das Gas, sondern Öl: Im vergangenen Jahr exportierte Russland laut Leuchtmann Ölprodukte im Wert von 70 Milliarden Dollar und Rohöl im Wert von 110 Milliarden Dollar. Durch Gasexporte wurden demnach 60 Milliarden Dollar eingenommen. „Vor allem ein Boykott von russischem Öl würde Russland schmerzhaft treffen“, sagt Leuchtmann. Bei einem Gasboykott hingegen wäre es für Russland schwieriger, andere Abnehmer zu finden. „Die Leitungen nach China wären nicht darauf ausgelegt, um einen europäischen Boykott abzufedern und der Bau neuer Leitungen dauert Jahre“, sagte Leuchtmann.

Sanktionen hinterlassen bereits Spuren

Doch auch die jetzigen Sanktionen hinterlassen bereits sichtbare Spuren in Russlands Wirtschaft. Viele Firmen ziehen sich aus Russland zurück. Der Rubel stürzte zu Wochenbeginn ab. Normalerweise könnte Russland in so einem Fall seine Fremdwährungen umtauschen, um den Fall abzufedern. Doch die geschätzten 630 Milliarden Dollar (rund 577 Milliarden Euro) an Devisen wurden im Zuge der Sanktionen eingefroren.

Russland reagierte drastisch. Der Leitzins wurde auf 20 Prozent angehoben und damit mehr als verdoppelt. Die russischen Unternehmen wurden von der Regierung verpflichtet, 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen zu einem von der russischen Zentralbank vorgegebenen Kurs zu verkaufen. Ausländische Investoren dürfen russische Wertpapiere in Russland nicht mehr verkaufen und erhalten auch keine Dividenden mehr ausbezahlt. „Es gibt de facto außerhalb Russlands keinen Markt mehr für russische Wertpapiere“, sagt Leuchtmann.

Moskauer Börse ist seit einer Woche geschlossen

Die Moskauer Börse ist seit einer Woche dicht und wird voraussichtlich mindestens bis zum Dienstag kommender Woche geschlossen bleiben. Der auch bei Kleinanlegern beliebte MSCI-World-Index entfernte am Donnerstag russische Aktien aus seinem Index, die Londoner Börse setzte am Donnerstag den Handel mit russischen Titeln aus, nachdem diese stark gefallen waren.

Die Gazprom-Aktie etwa verlor binnen eines Monats 98 Prozent an Wert. „Für westliche Staaten und Unternehmen könnte es angesichts der minimalen Kurse sogar eine Chance sein, russische Unternehmen zu übernehmen und sich so eigenen Einfluss zu sichern“, sagt IW-Chef Hüther. Allerdings bestehe dabei das Risiko einer Verstaatlichung.

IW-Chef Hüther erwartet Hyperinflation in Russland

Der Ökonom sieht Russland in einer misslichen Lage: „In Russland droht nun ein weiterer Wertverfall des Rubels und eine Hyperinflation. Gleichzeitig kann Russland wenig dagegen unternehmen“, sagt Hüther.

Durch die herabgestufte Bonität würde Russland frisches Geld nur noch zu schlechten Konditionen bekommen. „Es bleibt Russland also nur noch die Möglichkeit, sich bei den eigenen Bürgern zu verschulden, um die Auslandsschulden bedienen zu können – das würde Steuer- und Zinserhöhungen nach sich ziehen.“

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Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.