Berlin. Der belarussische Präsident zeigte eine Karte mit der Aufspaltung der Ukraine in vier Teile. Ist die Republik Moldau das nächste Ziel?

  • Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Wladimir Putin für weltweites Entsetzen gesorgt
  • Viele Experten und Politiker äußern die Sorge, dass die Ukraine nicht als einziges Land auf seiner Liste stehen könnte
  • Nun könnte Alexander Lukaschenko Putins Angriffspläne verraten haben

Alexander Lukaschenko steht da wie ein Oberlehrer. Der belarussische Präsident hat einen Zeigestock in der Hand, mit dem er auf eine riesige Landkarte deutet. Er leitet gerade eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in der Hauptstadt Minsk. Auf der Karte ist das Territorium der Ukraine zu sehen, aufgespalten in vier Gebiete. In diese sind rote Pfeile eingezeichnet, die russische Truppenbewegungen beschreiben sollen – aus Belarus, Russland und von der Krim. Es ist eine farbliche Darstellung des russischen Mehrfrontenkrieges gegen die Ukraine.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um die Vorwegnahme einer politischen Aufspaltung der Ukraine in vier Teile“, sagte der Russland-Experte Gustav Gressel von der Berliner Denkfabrik European Council on Foreign Relations unserer Redaktion. Begründung: „Die eingezeichnete Gebiete sind nicht deckungsgleich mit den Regionen der militärischen Operationsführung.“ Es sei demnach keine reine Einteilung in Militärdistrikte.

Verrät Lukaschenko Putins Pläne? Karte folgt wohl „militärischer Logik“

Nach Einschätzung von Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik folgt die Karte der „militärischen Logik“ Russlands. „Es handelt sich wohl um vier Verwaltungsgebiete, die von Militärkommandos kontrolliert werden“, sagte Meister unserer Redaktion. Das Modell sei Russland: Dort stünden heute in einigen der mehr als 80 Verwaltungsbezirke (Oblaste) ehemalige Militärs an der Spitze. Lesen Sie auch: Superreich und überall zu Hause: Das sind Oligarchen

Hat Lukaschenko die Angriffspläne von Russlands Präsident Wladimir Putin verraten? Offiziell kommentiert der Kreml seine Strategie nicht. Die Moskauer Linie lautet: Die Ukraine solle – wie die internationale Gemeinschaft – die Unabhängigkeit der selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie die Krim-Annexion anerkennen. Darüber hinaus solle die Regierung in Kiew „entnazifiziert“, sprich: ausgetauscht werden.

Nach Informationen des ukrainischen Geheimdienstes will Putin offenbar einen alten Vertrauten zum nächsten Ukraine-Präsidenten erklären. Der nach den Maidan-Protesten 2014 geflohene ehemalige Staatschef Wiktor Janukowitsch (71) befinde sich derzeit in Minsk, um sich „auf seine neue Aufgabe als künftiger Präsident“ vorzubereiten. Das schreibt die ukrainische Zeitung „Pravda“. Demnach bereite der Kreml eine „Spezial-Operation“ vor. Diese habe zum Ziel, den aktuellen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abzusetzen und anschließend Janukowitsch wieder als Staatsoberhaupt zu installieren. Mehr dazu: Ukraine: Will Putin Janukowytsch zum Präsidenten machen?

Der frühere Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch.
Der frühere Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch. © Tim Brakemeier/dpa

Lukaschenko ist Putins ergebenster Vasall

Ukrainische Diplomaten sprechen von einem „Informationskrieg“ des russischen Präsidenten. „Putin will eine zweite Realität schaffen, um von seiner Aggression abzulenken“, heißt es.

Unterdessen bekommt der russische Vormarsch Flankenschutz durch Lukaschenko. Der belarussische Präsident ist Putins ergebenster Vasall. In einem Referendum drückte er kürzlich die permanente Stationierung russischer Truppen sowie Atomwaffen in seinem Land durch. Zudem ordnete er die Entsendung weiterer Soldaten an die Grenze zur Ukraine an. Diese sollten jedoch nicht in die Kämpfe eingreifen.

Allerdings befürwortete Lukaschenko die Stationierung zusätzlicher Kräfte an der Grenze zu Polen, um Belarus vor einem möglichen Nato-Angriff zu schützen. Außerdem habe er Putin um eine zusätzliche Lieferung russischer S-400-Luftabwehrsysteme gebeten, um sie an der Westgrenze von Belarus zu stationieren, so Lukaschenko. Im Süden von Belarus sind die Systeme bereits aufgestellt.

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Könnte die Republik Moldau als nächstes angegriffen werden?

Der Politikwissenschaftler Meister sieht derzeit weniger eine Gefahr für Polen oder das Baltikum. Ein Risiko drohe aber weiter südlich. Meister rechnet damit, dass die an die Ukraine grenzende Republik Moldau als nächstes Land von Russland angegriffen werden könnte. „Putin kämpft aus seiner Sicht in der Ukraine gegen Stellvertreter der Amerikaner. Ehemalige Sowjetrepubliken wie Moldau, die sich nach Westen orientieren, sind ihm besonders ein Dorn im Auge.“ Moldau hat seit 2014 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU.

Moldau existiert seit dem Zerfall der Sowjetunion als unabhängiger Staat. Am Ostrand des Landes befindet sich die Transnistrische Moldauische Republik, die sich zwischen 1990 und 1992 von der Republik Moldau abgetrennt hat und als Staat anerkannt werden will. Sie verfügt über eine eigene Regierung, Währung, Verwaltung und eigenes Militär. Völkerrechtlich wird die Region aber bis heute als Teil der Republik Moldau betrachtet. Auch interessant: Putins Geisteszustand: Was geht in seinem Kopf vor?

Derzeit seien in Transnistrien rund 1400 russische Soldaten stationiert, schätzt Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations. Und es werden demnächst vermutlich noch mehr. Auf Lukaschenkos Karte ist zu sehen, wie ein roter Pfeil von der umkämpften ukrainischen Hafenstadt Odessa nach Transnistrien führt.

Putin könnte Transnistrien als eigenen Staat anerkennen

In Transnistrien befänden sich etwa 7000 KGB-Offiziere, darunter auch viele Russen, unterstreicht Gressel. Dabei handele es sich um Geheimdienstoffiziere und Mitglieder paramilitärischer Einheiten. Die Russen würden sich häufig bei den Behörden in Transnistrien eine gefälschte transnistrische Geburtsurkunde beschaffen. Damit bekämen sie in der EU-assoziierten Republik Moldau einen moldawischen Pass. Mit diesem Dokument hätten sie Zugang zu EU-Ländern. Die KGB-Leute seien vor allem in Österreich (Wien) und Bulgarien (Varna) tätig. Ihre Hauptaktivitäten laut Gressel: Militär- und Wirtschaftsspionage, Geldwäsche und die Operation von Scheinfirmen.

Experten gehen davon aus, dass Russland mit Blick auf die Republik Moldau ähnlich vorgeht wie in Georgien und jetzt in der Ukraine. 2008 begann Putin einen Krieg gegen die Kaukasusrepublik Georgien. Russische Soldaten rückten in die nach Unabhängigkeit strebenden Gebiete Südossetien und Abchasien ein. Wenig später wurden diese von Moskau als unabhängige Staaten anerkannt. Es war die Blaupause für die Ukraine. Die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk im Donbass wurden zur Unabhängigkeit von Kiew ermuntert und von Russland mit Waffen und Militärpersonal ausgestattet. Putin erkannte kürzlich ihre Unabhängigkeit an.

Die Sezessionisten in Transnistrien fühlen sich dadurch ermutigt. In der vergangenen Woche reiste eine Delegation aus der Hauptstadt Tiraspol nach Moskau. Fachleute rechnen damit, dass Russland Transnistrien in naher Zukunft als Staat anerkennen wird. Was folgen könnte, ist das Modell Ukraine – allerdings in kleinerem Format. Es wäre ein neuer Unruheherd, noch näher an der EU.