Berlin. Die Hackergruppe “Anonymous“ hat Webseiten russischer Stellen lahmgelegt. Experten zweifeln, ob Putin das ärgert. Und sehen Risiken.

Die Botschaft der Hacker ist eindeutig. "Herr Putin", sagt eine computergenerierte Stimme in dem Video. "Wir fordern Sie auf, die Rechte der Menschen in der Ukraine wieder herzustellen, und als gewählter Offizieller zurückzutreten." In der Videobotschaft ist eine Person mit einem Kapuzenpullover zu sehen, im Hintergrund schwirren Zahlen und Daten durch den Cyberraum. Die Person trägt eine Maske, ein fein gesetzter Schnurrbart, ein schelmischer Ausdruck. Es ist das Erkennungszeichen der Hackergruppe "Anonymous".

Die Hacker beziehen Positionen gegen Russlands Herrscher Wladimir Putin und seinen Einmarsch in der Ukraine. Die Gruppe veröffentlicht ein Video, das sie selbst als Kriegserklärung beschreiben. Als Cyberkrieg gegen die russische Regierung.

In den ersten Kriegstagen sind Internetseiten der russischen Verwaltung mehrfach über Stunden nicht zu erreichen, auch die Regierungsseiten und die Webseite des Kremls sind betroffen. Genauso Putins zentrales Kommunikationsorgan, das Nachrichtenportal von RT, früher "Russia Today". Auch die Hackergruppe selbst bekennt sich zu den Übergriffen – und wirbt damit in den sozialen Netzwerken.

Unter "Anonymous" sammeln sich weltweit verschiedene Gruppen und Akteure

Welche erfolgreichen Angriffe auf das Hacker-Kollektiv Anonymous zurückgehen, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Eine angebliche Kontrollübernahme des russischen Staatsfernsehens stellte sich als Gerücht heraus.

Doch Analysten, die Schadsoftware und Cyberangriffe im Netz observieren, berichten von entsprechenden Webseiten, die außer Betrieb waren. Darunter auch Portale russischer Banken. Nun bekannte sich die Gruppe zudem zu einem Hackerangriff auf die russische Raumfahrtbehörde. Tatsächlich war die Webseite am Mittwochmittag nicht zu erreichen. Ob auch Kontrolle über die Kommunikation mit russischen Spionage-Satelliten gestört wurde, lässt sich nicht überprüfen.

Zuletzt kam dann noch ein Aufruf, der so eine Art digitaler Massenprotest gegen Putin sein soll: Menschen sollen Google-Rezensionen für Restaurants und Geschäfte in Russland schreiben. Statt das Essen zu bewerten, sollen sie Informationen über die russische Invasion in der Ukraine teilen. Am besten auf Russisch. Das Ziel: Mit Tausenden kleinen Kommentaren auf Google die Propaganda von Russlands staatlich kontrollierten und zensierten Medien zu umgehen.

"Anonymous": Das ist über die Hacker bekannt

Wer genau hinter "Anonymous" steckt, ist nicht bekannt. Das liegt vor allem daran, dass es sich nicht um eine feste Gruppe handelt. Eine Anfrage unserer Redaktion an eine Anonymous-Gruppe blieb unbeantwortet. Unter "Anonymous" sammeln sich weltweit verschiedene Gruppen und Akteure, ein loses und vor allem kryptiertes Netzwerk. Sie definieren gemeinsame Aktionen und Angriffsziele - und schauen dann, wer sich anschließt und mitmacht.

"Anonymous" ist prominenter Teil einer Bewegung, die als "Hacktivismus" beschrieben wird – eine Mischung aus Aktivismus und Hacking. Aber wie sehr schadet das Kollektiv dem russischen Herrscher Putin wirklich? Und welches Risiko einer Eskalation steckt in den Aktionen?

"Anonymous" fällt schon seit Jahren mit Hacking-Zielen auf, gehört zu den größten Gruppen weltweit. Sie sollen hinter Angriffen auf Kreditkarten-Firmen wie Mastercard stecken, als die Konten der "Whistleblower"-Plattform Wikileaks eingefroren hatten. Auch den Technik-Konzern Sony nahm die Gruppe ins Visier.

Ziele: Sony, der "Islamische Staat" – und Antisemiten wie Attila Hildmann

Auch politische Akteure wurden Ziel von Kampagnen von "Anonymous", etwa die Terrororganisation "Islamischer Staat" oder der Rechtsextremist Attila Hildmann.

In der Regel fiel "Anonymous" mit sogenannten "DDoS"-Attacken auf. Mit Hilfe von massenhaften Aufrufen einzelner Webseiten oder digitaler Dienstleistungen werden die Server lahmgelegt, weil sie überfrachtet sind.

Solche Cyberangriffe gelten in der Hacker-Szene als verhältnismäßig technisch einfache Operationen. Teilweise kann man diese "DDoS"-Angriffe sogar im Internet bei Cyberkriminellen kaufen. Teilweise werden diese Angriffe mit gekaperten Computer-Netzwerken.

Nun ist es kein Unternehmen, keine Organisation, gegen die "Anonymous" ins Visier nimmt, sondern eine Regierung, ein Staat. Bereits vor Tagen hatte die ukrainische Regierung im Krieg mit Russland weltweit Hackergruppen um Hilfe gebeten und dazu aufgerufen, sich für ihr Heimatland einzusetzen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

In Hackerforen tauchte demnach eine Anfrage auf, die wohl im Auftrag der Regierung eingestellt wurde. "Ukrainische Cybercommunity! Es ist an der Zeit, sich an der Cyberverteidigung unseres Landes zu beteiligen", hieß es in dem Posting. Yegor Aushev, Mitgründer eines Cybersicherheitsunternehmens in Kiew, erklärte gegenüber Reuters, er habe den Beitrag auf Anfrage eines hochrangigen Beamten des Verteidigungsministeriums verfasst.

Hackerangriff: Fachleute sehen das riskante Spiel kritisch

Wie riskant ist dieses Spiel im Cyberraum? In deutschen Sicherheitsbehörden herrscht vor allem eine Sorge: Auch die Hackerangriffe nehmen an Intensität gegen Russland zu, vielleicht auch gesteuert von mächtigeren und technisch schärfer gerüsteten Hackergruppen. Die russische Reaktion auf einen Cyberangriff gegen die Armee, der tatsächlich die Kriegsinfrastruktur schwächt, wäre brisant.

Noch riskanter: Wenn Russland diesen Hackerangriff Gruppen im Westen, etwa Europa, und nicht der Ukraine zuordnet. Allerdings: Ein solcher Cyberangriff ist nur für wenige zu leisten, braucht nach Ansicht von Fachleuten Wochen, wenn nicht Monate, der Vorbereitung. Und entsprechende Serverleistungen, die private Akteure selten aufbringen können.

Im Ernstfall, auch das fällt hier und da in Regierungskreisen als Stichwort, könne ein Nato-Bündnisfall zur Verteidigung auch ausgerufen werden, wenn Russland einen massiven Cyberangriff gegen einen Nato-Staat führt. Allerdings: Derzeit ist das kein naheliegendes Szenario. Trotz aller Dynamik.

Und ohnehin sehen Fachleute die Aktionen von Hackergruppen wie "Anonymous" auch kritisch. „Was jetzt durch Gruppen wie Anonymous gestartet wird, sind begrüßenswerte symbolhafte Aktionen und politische Statements", sagt Manuel Atug, IT-Sicherheitsexperte und Sprecher der unabhängigen Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Klar ist, die Gruppe wird Putin nicht stoppen können. Der Krieg wird auf den Straßen entschieden, nicht im Netz."

In den sozialen Netzwerken werden die Aktionen gefeiert

Ähnlich sieht es der Cybersecurity-Experte und Berater Timo Kob: "Weil Webseiten etwa des Kremls nicht zu erreichen sind, wird Putin diesen Krieg nicht beenden", sagt Kob unserer Redaktion. "Anonymous hatte bisher nicht die Qualität für komplexe und aufwendige Cyberattacken gezeigt, die etwa die russische Infrastruktur lahmlegen könnten oder dem Militär ernsthaften Schaden zufügen könnten."

Auf sozialen Medien wie Twitter wird "Anonymous" für die Aktionen gegen Putin gefeiert. Erfolgreich war zumindest eine Mobilisierung im Netz gegen die russische Invasion. Auch Stimmungen können Kriegsgeschehen beeinflussen. Sofern sie durchdringen zu den Menschen in der Ukraine.

So könnten Hacker den Menschen wirklich helfen

Cyberexperte Atug hat eine Idee, wie Hacker aus seiner Sicht den Menschen in der Ukraine noch besser helfen könnten: "Wer kann, sollte sich die IT ukrainischer Kraftwerke oder Kliniken anschauen, und vorsichtig nachprüfen, ob es Schwachstellen in den Netzwerken der Unternehmen gibt." Diese Schwachstellen könnten Hacker bei den ukrainischen Behörden melden, damit dies behoben werden könne.

Die Idee: So würde verhindert, dass im Kriegsgebiet auch noch die Versorgung mit Wasser oder Strom ausfällt. In den vergangenen Wochen und Monaten hatten russland-assoziierte Hackergruppen mehrere Cyberangriffe gegen ukrainische Infrastruktur, Firmen und Organisationen sowie die Regierungsbehörden gestartet.

IT-Experte Atug erzählt, es hätten sich bei ihm sogar schon Hacker gemeldet, die Schwachstellen in der ukrainischen IT-Infrastruktur entdeckt hätten.

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