Berlin . Die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) wurde zum Weckruf: Die Bundeswehr soll massiv aufgerüstet werden. Eine Analyse.

Über ihre Schwächen reden Soldaten ungern. Weithin unbekannt ist, dass die Bundeswehr nicht einmal einen Vorrat an Munition für 90 Tage hat. Das sagt viel über die Durchhaltefähigkeit in einem Krieg aus.

Der Truppe kann geholfen werden. Aufgeschreckt durch die russische Ukraine-Invasion hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine massive Aufrüstung angekündigt.

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr – Sofort

Umgehend soll ein "Sondervermögen Bundeswehr" aufgebaut werden: 100 Milliarden Euro als Soforthilfe. Viel wichtiger ist, dass Scholz die Vorgabe einhalten will, künftig für die Verteidigung mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auszugeben. Eine Dauerforderung der USA wird jetzt erfüllt.

2022 beträgt das Verteidigungsbudget 50,3 Milliarden Euro, nur etwa 1,5 Prozent des BIP. Für die Waffenindustrie brechen goldene Zeiten an.

Munition für 90 Tage würde bis zur 20 Milliarden kosten

Scholz ist anfällig für martialische Begriffe. Als Finanzminister kündigte er einen Rettungsschirm für die Wirtschaft in der Pandemie als „Bazooka“ an, eine Panzerfaust. Nie passte der Begriff besser als bei seiner Aufrüstungsrede am Sonntag im Bundestag. Denn sie wird zu Beschaffungen im großen Stil führen.

Die Beschaffung von Munition für drei Monate wäre nicht die allerschlechteste Investition. Sie allein würde dem Vernehmen bis zu 20 Milliarden Euro kosten.

Die Planungen für die Modernisierung der Streitkräfte laufen. Einige Prioritäten konnte man aus der Regierungserklärung des Kanzlers heraushören:

  • Die Luftwaffe soll ihre alternden Tornados ausmustern. Bei der Suche nach einem Nachfolger galt der Kampfjet F-18 als Favorit. Auch die F-35 von Lockheed Martin ist im Rennen. Die USA wären die Profiteure. Sie stellen diese Flugzeuge her, mit denen amerikanischen Atombomben im Rahmen der nuklearen Teilhabe transportiert werden. In einem Fliegerhorst in der rheinland-pfälzischen Gemeinde Büchel sind US-Atomwaffen gelagert, die im Konfliktfall vom Luftwaffengeschwader 33 ins Zielgebiet geflogen und abgeworfen werden.
  • Auch die Entwicklung des Eurofighters zu einem Flugzeug für den elektronischen Kampf soll forciert werden.
  • Die Drohnen der Bundeswehr sollen bewaffnet werden – jahrelang hatte die Partei des Kanzlers das zu verhindern gewusst.

Der Begriff Paradigmenwechsel wird in der Politik inflationär benutzt. Aber diese Rede kündigt tatschlich einen Wechsel von grundlegenden Positionen an. „Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes. Um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen“, sagte Scholz. Dies sei eine „große nationale Kraftanstrengung“.

Modernisierung stellt Strukturreformen voraus

Das Ziel ist nach seinen Worten eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr. „Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan.“

Der "Spiegel" berichtet über ein Planungspapier, das einer Einkaufsliste gleicht. Dort findet sich unter anderem das System "Twister" zur Abwehr von Hyperschallwaffen, ein neuer Kampfpanzer und die Euro-Drohe. Weiterhin stehen auf der Wunschliste Artilleriesysteme, schwere Transporthubschrauber, die Neuentwicklung einer Fregatte und von U-Boot-Technik sowie eine Modernisierung des Patriot-Luftabwehrsystems.

Anders als Scholz ist sein Parteifreund Wolfgang Hellmich ein Fachmann. Der Wehrexperte der SPD, der in den letzten vier Jahren den Verteidigungsausschuss leitete, mahnt: Steigende Ausgaben allein nützten nichts, "wenn die Beschaffung dringend benötigten Materials für die Truppe zu lange dauert und vor Ort nicht ankommt."

Selbst, wenn die Produktion auf Hochtouren getrieben und das jahrelang Missmanagement bei der Beschaffung beendet wird, dürfte es Jahre dauern, bis das Ergebnis militärisch spürbar wird. Denn die Truppe steht ziemlich "blank" da, wie der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, zuletzt beklagt hatte.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl hört und weiß aus Besuchen bei Einsatzkontingenten, was alles fehlt, angefangen mit Schutzwesten. Auch gab es Fälle, in denen im Einsatzland andere Fahrzeuge zur Verfügung standen als die, für die die Soldaten ausgebildet worden waren. "Das Gerät im Einsatz ist teilweise alt. Bei manchen Fahrzeugen liegt die Einsatzbereitschaft bei nur 50 Prozent. Das darf nicht sein."

Defizite bei der Einsatzbereitschaft gibt es in vielen Bereichen, bei den Hubschraubern, in der Marine. Am deutlichsten zeigen sich die Versäumnisse bei den Panzern.

Es war einmal eine Panzerarmee

"Es gab einmal 4600 Kampfpanzer in der Bundeswehr“, erinnert der Militärexperte Hans-Peter Bartels. Früher. Zuletzt waren dem Heer rund 250 Fahrzeuge des Typs Leopard geblieben.

Die Aufstockung ist längst im Gange – und politisch nichts anderes als eine Rückbesinnung auf alte Stärken. Die Zahl der Panzer hat man verzichtet, weil nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ein Landkrieg nicht mehr wahrscheinlich erschien. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Bundesregierung eines Besseren belehrt.

Das Stockholmer "International Peace Research Institute" (SIPRI) bezifferte die russischen Militärausgaben für 2020 auf 61,7 Milliarden Dollar. Das wären umgerechnet etwa 55 Milliarden Euro.

Wehrreform: Fällig. Aber auf Eis gelegt

Am Vergleich der Etats erkennt man, dass die Russen nicht viel mehr ausgeben als Deutschland. Bloß: Sie sind schlagkräftiger. Eine Modernisierung setzt Strukturreformen voraus. Erst 2021 hatte Generalinspekteur Eberhard Zorn eine Wehrreform angekündigt. Als eine ihrer ersten Maßnahmen hat die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Pläne auf Eis gelegt.

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Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.