Berlin. Der ukrainische Botschafter in Berlin warnt im Interview: Putins Schritte seien eine „offene Kriegserklärung – auch an Deutschland“.

  • Seit 2014 ist Andrij Melnyk Botschafter der Ukraine in Deutschland
  • Im Interview ruft er die Bundesrepublik dazu auf, Waffen an sein Land zu liefern
  • Zudem warnt er vor Folgen des Konflikts, die auch Deutschland treffen könnten

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ruft die Bundesregierung in drastischen Worten dazu auf, Defensivwaffen an sein Land zu liefern. Die Anerkennung der „Volksrepubliken“ durch Moskau sei „eine offene Kriegserklärung nicht nur an die Ukraine“. Auch der deutsche Wohlstand könnte Putin zum Opfer fallen.

Welche nächsten Schritte Russlands befürchtet die Ukraine?

Andrij Melnyk: Die russische Anerkennung der beiden Fake-Republiken und ihrer Marionettenregime sowie der kaltblütige Befehl Putins, seine Truppen – jetzt auch offiziell – auf das ukrainische Staatsgebiet zu schicken, ist eine offene Kriegserklärung. Nicht nur an die Ukraine, sondern auch an Deutschland, an die ganze freie Welt.

Der Kreml hat einen regelrechten Vernichtungskrieg gegen die Ukraine gestartet. Putin will eine Endlösung der ukrainischen Frage erreichen. Das heißt im Klartext, dass er unsere Staatlichkeit auslöschen und die Ukraine als Nation auch physisch vernichten will. Die Ukrainer müssen daher für das Schlimmste bereit sein.

Rechnen Sie mit einer russischen Besetzung der gesamten Ukraine?

Melnyk: Der von Putin abgesegnete und noch in der Nacht erfolgte Einmarsch in die ukrainischen Gebiete von Donezk und Luhansk war nur der erste Schritt auf dem perfiden Kriegspfad des Kreml, um die ukrainische Selbstständigkeit mit russischen Soldatenstiefeln blutig zu zertrampeln. Putin hat nicht nur den gesamten Donbass im Visier, sondern die ganze Ukraine, die er militärisch okkupieren und zerstören will. Da haben wir Ukrainer keine Illusionen und hoffen, dass die Ampel-Regierung endlich ihre Blauäugigkeit und Naivität über Bord wirft.

Trotz aller strategischen Fehler der letzten Jahre und Monate, die Deutschland im viel zu nachsichtigen Umgang mit Moskau begangen hat, ist es noch nicht zu spät diesen Beschwichtigungskurs sofort zu korrigieren.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk.
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. © dpa

Wie will sich die Ukraine gegen einen russischen Großangriff verteidigen?

Melnyk: Die Ukrainer haben keine Angst vor Putins Schergen. Der Kampfgeist unserer Truppen sowie die Entschlossenheit der ganzen Gesellschaft sind überwältigend. Wir sind eine stolze europäische freiheitsliebende Nation. Wir sind über 40 Millionen Menschen, die auf ihrem Boden ihre Heimat bis zum letzten Tropfen Blut verteidigen werden. Nur: Wir sind zwar besser gerüstet als 2014, brauchen aber sofort neueste Defensivwaffen - auch und gerade - aus Deutschland, um das Blutbad im Herzen Europas abzuwenden.

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Besteht die Gefahr, dass sich der gegenwärtige Konflikt zu einem Weltkrieg in Europa auswächst?

Melnyk: Die Gefahr eines neuen Weltkriegs in Europa ist sehr real und sogar zum Greifen nah, weil Herr Putin keine Staatsgrenzen mehr anerkennt. Er verfolgt nur seine wahnsinnigen Interessen auf brutalste Weise – bis jetzt fast ohne Widerstand des Westens. Keiner bleibt von den verheerenden Kriegsfolgen verschont. Auch die Deutschen dürfen sich nicht mehr sicher fühlen und auf den Lorbeeren des wirtschaftlichen Wohlstands ausruhen.

Die Kreml-Propagandisten haben längst unverhohlen auch den Deutschen angedroht: „Wir können euch den Sieg von 1945 wiederholen.” Daher sollte man dieses Kriegsgeheul auch in Berlin endlich ernst nehmen. Sollte die Bundesrepublik uns Ukrainer im Stich lassen, anstatt uns mit aller Kraft mit mutigen Taten beizustehen, wird auch die deutsche Prosperität als nächstes Putin zum Opfer fallen.

Ein russischer Panzer feuert während einer militärischen Übung in der Region Leningrad.
Ein russischer Panzer feuert während einer militärischen Übung in der Region Leningrad. © dpa | Uncredited

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Was erwartet die Ukraine jetzt von Amerika, Europa und Deutschland?

Melnyk: Mit der Kriegserklärung Putins wurde auch Deutschland und seine langjährige Vermittlungsdiplomatie blamiert und gedemütigt. Das war auch ein schmerzhafter Schlag ins deutsche Gesicht. Daher muss die Ampel-Regierung jetzt ohne Zögern handeln.

Erstens müsste die Ampel noch heute mit allen Partnern in der EU die viel versprochenen höllischen Russland-Sanktionen verhängen. Bitte keine halben Sachen mehr, keine symbolischen Sanktiönchen gegen einzelne betroffene Personen, sondern das gesamte Spektrum von schmerzhaften Strafmaßnahmen, die die russische Kriegsmaschinerie in die Knie zwingen werden. Einschließlich des endgültigen Stopps von Nord Stream 2, Abschaltung vom Swift-Zahlungssystem, Importembargo von strategischen Rohstoffen wie Öl, Gas, Kohle oder Metalle, Einfrieren von Auslandsvermögen des russischen Staates und von Oligarchen.

Zweitens erwarten wir von Deutschland, dass ein milliardenschweres Hilfspaket auf den Weg gebracht wird, um die wirtschaftliche Stabilität und Resilienz der Ukraine zu bewahren. Und drittens verlangen wir mehr denn je deutsche Verteidigungswaffen. Die Ampel-Regierung muss ihre künstlichen Ausreden beiseiteschieben und ein gewaltiges Lend-Lease-Programm beschließen, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu erhöhen. Die Ukraine darf nicht als Opferlamm des Pseudo-Pazifismus vor laufenden Kameras geschlachtet werden.