Berlin. Mit seiner TV-Rede hat Wladimir Putin der Diplomatie den Todesstoß versetzt. Der Westen sollte dies als ultimativen Weckruf begreifen.

Angesichts der Eskalation in der Ostukraine kann man nur zu einem Schluss kommen: Russlands Präsident Wladimir Putin war nie an einem politischen Kompromiss zur Lösung des Konflikts interessiert. Er versetzte am Montag dem Minsker Abkommen von 2015 den politischen Todesstoß. Seit sieben Jahren haben Deutschland und Frankreich unerbittlich versucht, die zerstrittenen Parteien Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zu bekommen. Das „Njet“ aus Moskau bedeutet: Putin ging es nicht um Diplomatie.

Mit der Anerkennung der ostukrainischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten folgt der Präsident einem altvertrauten Modell. 2008 brach Russland den Georgien-Krieg vom Zaun und verlieh den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien den Status der Unabhängigkeit. Es waren Grenzverschiebungen nach Gusto des Kreml-Imperators. Donezk und Luhansk sind seit Montag de facto Teil Russlands. Putin hatte den Boden dafür bereitet, indem er Hunderttausenden Bürgern im Donbass russische Pässe gab. Es handelt sich praktisch um eine kalte Annexion.

Ukraine-Krise: Putin betreibt eiskalte Machtpolitik

Der Präsident betreibt eine eiskalte Machtpolitik, die sich um Grenzen ebenso wenig schert wie um internationale Verträge. Entlarvend ist eine Äußerung des nationalen Sicherheitsrats in Moskau: Weder die Ukraine noch der Westen brauche den Donbass, hieß es am Montag. Eine zynische Einschätzung, denn Regionen werden so zur Verfügungsmasse. Souveränität von Staaten und Völkerrecht zählen nicht mehr. Lesen Sie auch: Ukraine: Westen droht Putin mit Guerillakrieg und Aufrüstung

Putin hat die Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Grunde genommen antizipiert. Bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. Februar in Moskau polterte er: „Was im Donbass passiert, ist Völkermord.“ Es sollte die argumentative Grundlage für die Anerkennung der „Volksrepubliken“ liefern – zumindest in Putins kruder Logik. In seiner TV-Ansprache am Montagabend unterfütterte der Kremlchef seine Haltung mit geschichtsklitternden Behauptungen. „Die Donbass-Region im Osten der Ukraine gehört zu Russland.“ Und: „Die Ukraine ist ein untrennbarer Teil unserer Geschichte.“ Damit umschreibt der Präsident, was er bereits im Juli 2021 in einem Essay dargelegt hat. Tenor: Russen, Belarussen und Ukrainer seien „ein Volk“. Die Ukraine habe kein Recht auf eine eigene Staatlichkeit.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Könnte die Ukraine Teil der Russischen Föderation werden?

Vor diesem Hintergrund ist nicht nur damit zu rechnen, dass russische Truppen im Donbass stationiert werden – wie 2008 im Fall von Abchasien und Südossetien. Putin hat vielmehr in seinem Fernseh-Auftritt eine historisch völlig abseitige Begründung für eine viel weiter gehende Besetzung der gesamten Ukraine gegeben. Der Endpunkt könnte die Einverleibung des Nachbarlandes in die Russische Föderation bedeuten.

Putin negiert damit den Prozess, der seit dem Mauerfall 1989 in Europa eingesetzt hat. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die freie Wahl der Gesellschaftsform, die freie Bündniswahl – alles nichtig. Dahinter steckt eine Politik des „Russia First“, gestützt auf Truppen, Raketen und Bomber. Wie weit der Kremlchef noch gehen wird, ist offen. Doch der Mann, der den Zusammenbruch der Sowjetunion als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hatte, könnte weitere imperiale Ambitionen haben. Im Baltikum ist die Sorge besonders groß. Auch interessant: Konflikt mit Russland: Was folgt nach dem Krieg der Worte?

Der Westen sollte dies als ultimativen Weckruf begreifen. Europäer und Amerikaner müssen wachsam sein. Jetzt geht es um die Verstärkung der militärischen Abschreckung und um die Vorbereitung harscher Sanktionen gegen Russland. Mit reiner Diplomatie ist bei Putin wenig auszurichten.

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