Berlin. Markus Lanz diskutierte die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche und mokierte sich über ein „abgerocktes System“.

„Schon in der Grundschule werden Kinder gemobbt, weil sie nicht geimpft sind“, berichtete NRW-Landesschülervertreterin Johanna Börgermann bei „Markus Lanz “. Andere saßen in der Klasse weinend vor dem Corona-Test, weil sie fürchteten, das Ergebnis könnte positiv ausfallen und sie in Quarantäne müssten. „Es ist ein enormer Druck, der auf die Schüler ausgeübt wird“, sagt die 19-Jährige über ihren Alltag in der Schule. Nicht von den Lehrern, sondern von den Mitschülern.

So viel wusste auch Markus Lanz: Kinder und Jugendliche litten besonders unter den Folgen der Corona-Pandemie. Nicht nur, dass technische Probleme monatelang den Distanzunterricht erschwert hatten. Auch psychisch war diese Zeit für junge Menschen sehr belastend: Abiturfeiern mussten abgesagt, Partys zum 18. Geburtstag auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Ganz zu schweigen von den ganz normalen Kontaktbeschränkungen, die Kinder dazu verdammten, statt mit Gleichaltrigen nur noch mit gestressten Erwachsenen zusammen zu sein.

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

  • Karin Prien, Vorsitzende der Kultusministerkonferenz
  • Eva Hummers, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Göttingen
  • Aladin El-Mafalaani, Erziehungswissenschaftler
  • Johanna Börgermann, Vorsitzende der Landesschülervertretung NRW

Eingeladen als Schülervertreterin, hatte die 19-jährige Johanna Börgermann die Schüler-Petition #WirWerdenLaut mitinitiert. Und mit der Forderung, dass Politiker und Medien endlich mal mit den Schülern sprechen sollten und nicht nur über sie, erreicht, dass sie am Donnerstagabend im Hamburger „Lanz“-Studio saß. Mit dem Verlauf des Talks konnte sie trotzdem nicht zufrieden sein. So dringlich ihre Appelle auch klangen, was an den Schulen falsch lief, so wenig erreichte sie die Erwachsenen.

Selbst Markus Lanz wunderte sich, wie unterschiedlich die Lebenswirklichkeit junger Menschen von Politik-„Vollprofis“ wahrgenommen wurden. Zum Beispiel, wenn es um die Risikoabwägung einer Ansteckung ging: „Da sitzen drei Erwachsene, die sehr rational darangehen“, beobachtete er, „und die junge Frau, Schülerin, sagt, wir haben aber Angst“.

Tägliche Corona-Tests: "Wir züchten die Angst"

Zwar kannte Eva Hummers, Mitglied der Ständigen Impfkommission (StiKo), bereits das Problem, dass nicht-geimpften Schüler gemobbt wurden. Trotzdem sah die Ärztin keinen Grund, die Impf-Empfehlung der StiKo bei Kindern zwischen 5 und 11 Jahren zu generalisieren: „Die Rolle der Schulen als ,Virenschleuder` wurde massiv überschätzt.“ Inzwischen wüsste man, „den Kindern passiert nicht viel oder nichts.“

Vielmehr sollte man überlegen, schlug sie vor, ob das Testen an Schulen überhaupt Sinn machte. Keiner würde so oft getestet wie Schulkinder, außer vielleicht Intensivkrankenschwestern. „Aber genau damit züchten wir die Angst an. Der persönliche Nutzen für die allermeisten ist ziemlich gering“, relativierte sie.

Johanna Börgermann, die „keinen Bock auf Infektion vor dem Abitur“ hatte, widersprach: Bitte auf jeden Fall weitertesten, beharrte sie, „so lange, bis sich Schüler ohne Tests sicher fühlen können“.

Schüler fordern: Präsenzpflicht aussetzen

Stattdessen – so die Hauptforderung von #WirWerdenLaut – sollte die Präsenzpflicht an Schulen ausgesetzt werden. Ängstliche Schüler sollten die Wahl haben, sich hybrid beim Unterricht zuzuschalten, erläuterte die Schülervertreterin: „Es muss unser Anspruch sein, dass jedes Kind sich wohl fühlt, wenn er oder sie das Recht auf Bildung wahrnimmt.“

Das konnte in der Praxis nicht gehen, entgegnete Karin Prien (CDU), „jedenfalls nicht für die Kleinen.“ Präsenzpflicht müsste sein, „sonst erreichen wir auch nicht die Kinder, die dringend angewiesen sind, in der Gruppe Deutsch zu lernen“, begründete sie. Als momentane Vorsitzende der Kultusministerkonferenz wollte sie bei der nächsten Sitzung im März allerdings zum Thema machen, „inwieweit man im Frühjahr aus der asymptomatischen Testung rausgehen kann“.

In Schleswig-Holstein sah die Situation sowieso anders aus, erläuterte die SH-Bildungsministerin: 96 Prozent der Lehrer waren geimpft, 80 Prozent der Schüler über 12 Jahre auch, berichtete sie. Und auf die staunende Frage von Markus Lanz, womit das nördlichste Bundesland die hohe Impfquote erreicht hätte, bemerkte sie lakonisch: „In SH sind die Menschen eher dänisch. Sie tun, was die Regierung empfiehlt.“

Schule ist ein „abgerocktes System“

Auch der Soziologe Aladin El-Mafaalani erkannte ein historisch gewachsenes Nord-Süd-Gefälle, wenn es um die Akzeptanz von Impfkampagnen ging. Mit seinem Seitenhieb auf aktuelle Bayerische Diskussionen zur „Einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ wollte er aber auf etwas anderes hinaus: „Es gibt zwei Bereiche – Altenheime und Schulen –, die schon von der Pandemie „ziemlich auf dem Zahnfleisch“ gingen und sich als wenig flexibel erwiesen hatten. Beide waren ein „abgerocktes System“, wie er es nannte.

Der prägnante Begriff wurde dann bald zur „Lieblingsvokabel“ des Abends, nicht nur für Markus Lanz. Die Pandemie hatte – mal wieder – gezeigt, wo die System-Schwachstellen lagen: In Kitas und Grundschulen waren durch die Schließungen die Förderstrukturen weggebrochen, die Kinder aus sozial schwachen oder migrantischen Familien dringend brauchten. „Das wird noch schwerwiegende Folgen für die Zukunft haben“, sah er voraus.

„Wir brauchen mehr Sozialarbeiter und Psychologen“

Als „tragisch“ erkannte er, dass Kinder zwischen 5 und 11 Jahren zwar am wenigsten von dem Virus, aber am meisten von den Maßnahmen betroffen waren. Sie erlebten die Einschränkungen als besonders bedrückend, schon weil sie für sie „unendlich lange“ andauerten: „Für einen 50jährigen bedeutet ein Jahr Pandemie ein Fünfzigstel, für einen 5-jährigen ist es ein Fünftel seiner Lebenszeit, also 20 Prozent“, erläuterte er das unterschiedliche Zeiterleben.

Ohnehin ging die Schule schweren Zeiten entgegen. Wenn die Baby-Boomer ab 2025 in Rente gingen, fehlten auf einen Schlag mehr als 4.000 Lehrer, 2030 sogar 81.000. „Wir brauchen mehr Sozialarbeiter und Psychologen“, forderte er zusammen mit Johanna Börgermann, und schlug dazu vor, alle pädagogische Kräfte zu bündeln und zu vernetzen, also Sportvereine, Musikschule, Talentscouts in den Schulalltag einzubeziehen.

„Das ist uns alles bekannt“, bestätigte am Ende Karin Prien die düstere Prognose. „Wir brauchen mehr Prävention“, stimmte sie zu, und „jetzt dringend Programme“, um mit den psychischen Beeinträchtigungen umzugehen. Glückliches Schleswig-Holstein, in dem Schulen mit schwierigem sozialem Umfeld sowieso schon mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wurden. Nach einem nachhaltigen Konzept, das als Modell bald bundesweit übernommen werden könnte, klang das trotzdem nicht.

„Markus Lanz“ – So liefen die vergangenen Sendungen