Berlin . Markus Söder rebelliert gegen die Corona-Impfpflicht im medizinischen Sektor. Was treibt ihn an? Und: Wird er sich damit durchsetzen?

Zum 16. März soll die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen in Kraft treten. Die Umsetzung bereitet vielen Bundesländern Probleme. Bayern will die Impfpflicht de facto aussetzen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist nicht der einzige Kritiker, aber rabiater als andere. Was sie eint: Sie wollen Zeit gewinnen. Auch das Bundesverfassungsgericht will sich noch einschalten.

Alle waren dafür, der Bund, die Länderchefs, selbstredend auch Markus Söder (CSU). Bis heute ist er für die Impfpflicht. Eigentlich. Dann stimmten die Kommunalpolitiker von der CSU ihn um. "Es führt nur zu Problemen", erkannte der Bayer. Jetzt will er die Pflicht verschieben. Kommt er damit durch? Was treibt ihn an? Ist er dabei, sich zu isolieren?

Virologe Hendrik Streeck: Er zeigt Verständnis für Söder

Zwar überwiegt die Kritik am bayerischen Sonderweg, aber der Kreis der Markus-Söder-Versteher wird größer. Sowohl der Virologe Hendrik Streeck als auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, können nachvollziehen, warum Bayerns Ministerpräsident die einrichtungsbezogene Impfpflicht aussetzen will.

Für die Impfpflicht sprach viel, vor allem der Schutz der vulnerablen Gruppen. Deswegen sollten die Altenpfleger vorangehen. Dass drei Millionen Senioren noch ungeimpft sind und sich selbst nicht schützen wollten, blieb eine ironische Fußnote. Ebenso, dass der erste Realitätstest der Impfpflicht ausgerechnet bei einem Mangelberuf anstehen soll.

Markus Söder: Seine Probleme sind real

"Man hat ein Personalproblem in einigen Bereichen“, wo zu wenig geimpft sei, erläuterte Streeck. Söders Rendezvous mit der Realität waren die Rückmeldungen aus der Kommunalpolitik. Und er war von Anfang an sicher, dass auch andere Bundesländer solche Probleme haben würden.

Sachsen will anders als geplant am Freitag keinen Leitfaden zur Umsetzung der Impfpflicht in Kliniken und Pflegeinrichtungen vorlegen. In Sachsen ist jede dritte Pflegekraft ungeimpft.

Impfpflicht: Auch andere Länder zögern

In Mecklenburg-Vorpommern baten die Gesundheitsämter um eine Übergangsfrist. Die Stimmung ist angespannt, weil sich alle Länder noch die Warnungen vor Personalausfällen in der kritischen Infrastruktur erinnern – noch hat die Omikron-Welle ihren Scheitelpunkt nicht erreicht.

Sollen ungeimpfte Pflegekräfte freigestellt oder entlassen werden, während man gleichzeitig wegen Omikron weitere Personalausfälle von geimpften, aber infizierten Pflegern verkraften muss? Hier setzt die Kritik des DGB an: Die arbeitsrechtlichen Konsequenzen seien "nicht eindeutig" geklärt.

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Bei der Impfpflicht gebe es "erhebliche Webfehler". Es könne nicht sein, dass Betriebe letztlich zu Erfüllungsgehilfen des Staates würden – mit der Konsequenz, dass Beschäftigte am Ende kein Lohn erhalten und entlassen werden und in den Betrieben Konflikte entstünden. "Das halten wir in der Tat für den falschen Weg", so DGB-Chef Hoffmann, "das geht gar nicht". Er könne Söders "Umorientierung" verstehen.

Der Saarländer Tobias Hans (CDU) hat Verständnis für Söders Kritik.
Der Saarländer Tobias Hans (CDU) hat Verständnis für Söders Kritik.

Die "Rebellen" wollen vor allem Zeit gewinnen

Probleme sehen auch Söders Amtskollegen Hendrik Wüst (CDU, Nordrhein-Westfalen) und Tobias Hans (CDU, Saarland). Mal wollen sie "unzumutbare Härten" (Hans) vermeiden, mal eine "praxisorientierte" Umsetzung (Wüst) anmahnen.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) forderte die Bundesregierung auf, Vorgaben zur Umsetzung zu übermitteln. Sonst halte er diese Impfpflicht für derzeit nicht vernünftig umsetzbar. Sachsen forderte "vertretbare Umsetzungsregelungen".

Pflegekräfte: Im grenznahen Bereich sind Fachkräfte besonders mobil

Das ist nichts anders als Söders "großzügigste Übergangsregelung", aber nicht so konfrontativ, keine Missachtung der Verfassungsordnung. Viele von Söders Kollegen stellen das Gesetz nicht unverhohlen infrage, wollen es aber auch nicht in aller Konsequenz umsetzen. Sachsen will das nächste Bund-Länder-Treffen am 16. Februar abwarten, das Saarland die für den 16. März terminierte Impfpflicht später im Frühjahr in eine allgemeine Impfpflicht aufgehen lassen.

Sachsen, Bayern und Saarland haben das Sonderproblem, dass sie stark auf Arbeitskräfte aus dem benachbarten Ausland angewiesen sind, auf Berufspendler aus Polen, Tschechien und Frankreich. Es kann zu einem "Verschiebebahnhof von Pflegekräften" (Hans) kommen, einmal zwischen den Bundesländern und womöglich auch über Staatsgrenzen hinweg.

Österreich meldet die gleiche Probleme

Für Söder ist nicht zuletzt der Blick nach Österreich lehrreich, wo am Samstag eine allgemeine Impfpflicht in Kraft trat – und eine Diskussion, die ihm bekannt vorkommt.

Denn auch in der Alpenrepublik kritisieren die Regionen, dass der Bund die Verantwortung auf sie abwälze, und klagen über "unkoordiniertes Vorgehen". Und noch eine Erfahrung im Nachbarland gibt Söder zu denken: Die Pflicht führte nicht zu einem Anstieg der Impfwilligen.

Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe könnte den CSU-Skeptiker bestärken

Söder weiß auch, dass beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile über 74 Verfassungsbeschwerden von 300 Klägern vorliegen – und nicht zuletzt 59 Eilanträge. Die Karlsruher Richter werden noch vor Mitte März entscheiden, ob sie die Impfpflicht einstweilen aussetzen. Darauf wartet der CSU-Mann.