Berlin/Brüssel/Washington. Mehrere Nato-Partner verlegen Truppen an die Ostflanke. Die USA ziehen wegen des Konflikts mit Russland Botschaftspersonal aus Kiew ab.

Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, schaltet der Westen jetzt in Alarmbereitschaft: Mit einem Manöver, zusätzlichen Truppen in Osteuropa und verstärkter Waffenhilfe für die Ukraine machen die Nato-Staaten mobil – zugleich beginnen erste Staaten mit dem Abzug ihres Botschaftspersonals in Kiew, was ein Indiz für die wachsende Sorge vor einem Krieg in der Ukraine ist.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte am Montag an, mehrere Staaten der Allianz würden Truppen in Bereitschaft versetzen oder zusätzliche Flugzeuge und Schiffe in Osteuropa stationieren, um die Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland zu verstärken. Er bestätigte zugleich Überlegungen der USA, „ihre militärische Präsenz im östlichen Bündnisgebiet der Nato zu erhöhen“.

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Stationierung von bis zu 5000 zusätzlichen US-Soldaten

Nach amerikanischen Medienberichten erwägt US-Präsident Joe Biden die Stationierung von bis zu 5000 zusätzlichen US-Soldaten, Kriegsschiffen und Flugzeugen im Baltikum, in Rumänien und Polen. Bisher sind in den genannten Ländern laut Pentagon rund 10.000 US- und Nato-Soldaten am Boden.

Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, könne die Truppenzahl verzehnfacht werden, sagen Pentagon-Offizielle. Die US-Luftwaffe lässt seit Ende Dezember Aufklärungsflugzeuge über die Ukraine fliegen. Die Jets vom Typ RC-135 Rivet Joint haben modernste Elektronik an Bord und sind in der Lage, die Kommunikation von russischem Militär am Boden abzuhören.

Flugzeugträger, Fregatten, Kampfbomber

Nach Stoltenbergs Angaben wird Dänemark eine Fregatte in die Ostsee entsenden und vier F-16-Kampfbomber in Litauen stationieren. Spanien schicke Schiffe für den gemeinsamen Marineeinsatz im Schwarzen Meer und bereite die Entsendung von Kampfjets nach Bulgarien vor. Frankreich sei bereit, Truppen unter Nato-Kommando nach Rumänien zu schicken.

Die Niederlande setzen demnach ein Schiff und Soldaten in Bereitschaft, wollen mit zwei Kampfjets die Luftüberwachung in Bulgarien verstärken. Am Montag begann die Nato zudem im Mittelmeer ein Marinemanöver, an dem unter anderem der US-Flugzeugträger Harry Truman teilnimmt.

Übung mit Schiffen verschiedener Nato-Partnern (Archivfoto von 2015). Am Montag begann die Allianz im Mittelmeer ein Marine-Manöver. Auch im Schwarzen Meer soll ein gemeinsamer Einsatz stattfinden.
Übung mit Schiffen verschiedener Nato-Partnern (Archivfoto von 2015). Am Montag begann die Allianz im Mittelmeer ein Marine-Manöver. Auch im Schwarzen Meer soll ein gemeinsamer Einsatz stattfinden. © shutterstock | Shutterstock

Das US-Außenministerium warnt vor Russland-Reisen

Angesichts dieser Entwicklung beginnen mehrere westliche Staaten, ihr Botschaftspersonal auf einen Abzug vorzubereiten. Das US-Außenministerium wies Familienmitglieder von Botschaftsangehörigen in Kiew an, das Land zu verlassen. Zudem warnte das US-Außenministerium nachdrücklich vor Reisen nach Russland.

Großbritannien zieht ebenfalls bereits Botschaftspersonal ab. Deutschland plane einen solchen Schritt derzeit nicht, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel, zu dem auch der US-Chefdiplomat Antony Blinken per Video zugeschaltet war.

Allerdings erklärte das Auswärtige Amt in Berlin, Familienangehörigen von Botschaftsmitarbeitern werde eine freiwillige Ausreise finanziert. Das gelte auch für deutsche Organisationen wie das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, erklärte ein Sprecher.

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Ukrainische Seite erstaunt über USA und Deutschland

Die Ukraine wies derartige Maßnahmen zurück. „Die ukrainische Seite ist erstaunt über die Entscheidungen des State Departments und des Auswärtigen Amtes. Wir glauben, dass diese Schritte voreilig sind und die ukrainische Öffentlichkeit unnötig verunsichern können“, sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, unserer Redaktion. Die EU sieht derzeit keinen Anlass für eine Reduzierung der Botschaften.

Um den Rahmen möglicher Sanktionen zu erweitern, erwägen die USA, Russland von substanziell wichtigen Importen in strategisch wichtigen Industrien wie Luftfahrt, künstliche Intelligenz und Computertechnologie abzuschneiden. Auch Smartphones, Tablet-Computer und Videospielkonsolen könnten von wirtschaftlichen Restriktionen betroffen sein, schreibt die „Washington Post“.

Nato-Staaten beteiligen sich an Waffenhilfe für Ukraine

Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, mahnte eine baldige Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 in Deutschland an. „Wir haben mehrmals ausdrücklich betont, dass Nord Stream 2 ein rein privatwirtschaftliches, kommerzielles Projekt ist, das nicht mit Politik in Verbindung gebracht werden sollte. Eine grundsätzlich ähnliche Position vertritt auch die neue Bundesregierung“, sagte Netschajew unserer Redaktion. „Wir hoffen sehr, dass wir das Projekt endlich zum Abschluss bringen können.“

Eine zunehmende Zahl von Nato-Staaten beteiligt sich auch an Waffenhilfe für die Ukraine. Die USA haben kurzfristig rund 90 Tonnen Material nach Kiew­ geflogen. Insgesamt kündigte Washington kurzfristig Militärhilfe im Umfang von 200 Millionen Dollar an, wozu auch Transporthubschrauber gehören. Großbritannien fliegt rund 2000 Panzerabwehrwaffen nach Kiew. Estland will ebenfalls Waffen für die Panzerabwehr liefern, Lettland und Litauen wollen Luftabwehrwaffen schicken.

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Kritik von russische Diplomaten

Russische Diplomaten quittierten das mit scharfer Kritik. „Dass die Ukraine mit Waffen der westlichen Staaten vollgepumpt und somit militärisch weiter erschlossen wird, ist für die Regelung dieses innerukrainischen Konflikts absolut schädlich und kontraproduktiv. Diese Maßnahmen der Nato-Länder zeigen dazu noch, dass Russlands Forderungen nach eindeutigen und völkerrechtlich verankerten Sicherheitsgarantien dringend nachgegangen werden muss“, so Netschajew.

Die Bundesregierung prüft eine von Estland beantragte Genehmigung für eine Waffenlieferung an die Ukraine. Diese ist erforderlich, weil die Haubitzen aus DDR-Altbeständen mit Auflagen zunächst an Finnland verkauft und dann später von dort an Estland weitergegeben worden waren.

Es gehe „in diesem Fall nicht um deutsche Waffenlieferungen, sondern um Waffenlieferungen aus Estland“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.

Keine Genehmigung für letale Kriegswaffen

Die Bundesregierung habe ihre Haltung gegenüber Waffenlieferungen in die Ukraine nicht verändert: „keine Genehmigung für die Lieferung von letalen Kriegswaffen. Und sie sieht natürlich, dass Verbündete eine andere Position haben und das auch anders handhaben“, so Hoffmann.

Die Ukraine rügte die Haltung der Bundesregierung. „Die ukrainische Regierung wird nicht aufhören, die Ampel-Koalition und die Opposition dazu zu drängen, die bestehende ungerechte und gar nicht nachvollziehbare Verweigerung Deutschlands endlich zu brechen und uns dringend mit Verteidigungswaffen zu versorgen“, betonte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk.

„Auch die befremdliche Blockadehaltung Berlins für Lieferungen über unsere Verbündeten aus den baltischen Staaten oder die Nato muss von der Bundesregierung aufgegeben werden.“