Berlin. Russlands Vorgehen in Der Ukraine-Krise war absehbar. Für Präsident Putin sind Russen und Ukrainer “ein Volk“. Wie er wirklich denkt.

  • Der Westen befürchtet einen militärischen Einmarsch Russlands in der Ukraine
  • Dass Wladimir Putin etwas Derartiges plant, dürfte keinen überraschen
  • Warum Russlands Präsident es auf die Ukraine abgesehen hat

Niemand darf darüber überrascht sein, dass Wladimir Putin die Ukraine bedroht und über einen militärischen Einmarsch spekuliert wird. Schon im Frühsommer 2021 schrieb der russische Präsident in einem Aufsatz auf der Webseite des Kreml, "ich bin überzeugt, dass eine echte Souveränität der Ukraine nur in Partnerschaft mit Russland möglich ist." Im Umkehrschluss heißt das: Jede andere Souveränität ist unecht.

Die Verwandtschaft zwischen Russen und Ukrainern sei "von Generation zu Generation" weiter gegeben worden und werde auch in Zukunft gestärkt. "Denn wir sind ein Volk", schreibt er fast am Ende, ein Schlüsselsatz. Das Werk las sich schon damals als Rechtfertigung territorialer Ansprüche und wurde auch in vielen westlichen Hauptstädten übersetzt und analysiert, auch in Berlin.

Putin im Ukraine-Konflikt: Wiedervereinigung mit verlorener Territorien?

Nur ließ sich nicht zweifelsfrei ableiten, was daraus folgen könnte: Die Einverleibung des Donbass? Die Anerkennung der russisch kontrollierten Separatistengebiete? Die Wiedervereinigung mit verlorenen Territorien? Immerhin ist an einer Stelle vom "dreieinigen Volk" die Rede: Russen, Ukrainer, Weißrussen.

Den früheren Geheimdienst-Mann kannte man bisher als Machtpolitiker, nicht als Denker, Theoretiker oder gar Historiker. Im Oktober wird er 70 Jahre; ein Alter, in dem schon mal Gedanken über die politische Hinterlassenschaft aufkommen. Die (Lebens)Zeit läuft ihm davon. Was bleibt von der Ära Putin? Was will er auf jeden Fall noch erledigen? Schon in der Vergangenheit hatte er häufiger erklärt, dass Russen und Ukrainer ein Volk seien, "es ist meine Überzeugung."

Der Aufsatz ist der Versuch, seinem Machtstreben mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit zu geben. Glaubwürdig ist nach einer gängigen Definition, wer sagt, was er denkt und tut, was er sagt. Putins Denken war im Westen bekannt – es ist das mögliche Tun, das gerade die Nato umtreibt und nicht nur in der Ukraine die Angst vor einem Krieg aufkommen lässt.

Ein ukrainischer Soldat justiert ein von Kugeln durchlöchertes Bild des russischen Präsidenten Putin.
Ein ukrainischer Soldat justiert ein von Kugeln durchlöchertes Bild des russischen Präsidenten Putin. © dpa

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Machtmensch Putin: "Eigene Fehler" führten zur Unabhängigkeit der Ukraine

Dass die Ukraine überhaupt zur Unabhängigkeit gelangte – Putin spricht von einer "Mauer" zwischen Teilen des "historischen und geistigen Raums" –, führt er auf "unserer eigenen Fehler" und auf Kräfte zurück, "die schon immer danach gestrebt haben, unsere Einheit zu untergraben. Die Formel, die seit jeher gilt: teile und herrsche." Da spricht der Machtmensch.

Mit eigenen Fehlern meint er erster Linie die Gründungsväter der Sowjetunion. Der Text der Erklärung über die Union und später die Verfassung der UdSSR von 1924 enthielten das Recht der Republiken, sich frei von der Union zu trennen. "Damit wurde die gefährlichste "Zeitbombe" in das Fundament unserer Staatlichkeit gelegt." Die moderne Ukraine sei also "ganz und gar ein Produkt der Sowjetära".

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Und diese Bombe explodierte dann auch: Ab 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion. Damit kann sich Putin bis heute nicht abfinden. Die Integration der "westrussischen Gebiete" (wie die Ukraine) in einen gemeinsamen Staatsraum sei nicht nur politisch gewollt, sondern basiere auf Gemeinsamkeiten: Geschichte, Glaube, Kultur und sprachliche Nähe.

Die Bolschewiki hätten bei der Gründung der Sowjetunion Grenzen "willkürlich zerschnitten" und üppige territoriale "Geschenke" verteilt. Warum, spiele keine Rolle. Eines ist klar, notiert Putin: "Russland wurde in der Tat ausgeraubt."

Die Führer der modernen Ukraine und ihre "externen Gönner" zögen es vor, diese Tatsachen zu verschweigen. "Es ist klar, warum. Da dies zur Schwächung Russlands geführt hat, kommt es unseren Bösewichtern gelegen." Wer die Bösewichter sind, sagt er nicht. Die Nato? Die EU? Die Amerikaner? Der Westen?

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Ukraine-Konflikt: Putin spricht von "gefährlichem geopolitischen Spiel"

Jedenfalls schreibt er, die USA und die EU-Länder hätten die Ukraine schon lange systematisch und beharrlich dazu gedrängt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland zu begrenzen. Schritt für Schritt sei die Ukraine in ein gefährliches geopolitisches Spiel hineingezogen worden.

Das ziele darauf ab, sie "zu einer Barriere zwischen Europa und Russland, zu einem Brückenkopf gegen Russland zu machen". Es werde ein "Anti-Russland" gefordert, "das wir niemals akzeptieren werden."

Soweit Putins Denken. Es führte dazu, dass Russland über 100.000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine verlegte. Putin wird sein Ziel - ohne Erfolg - so schnell nicht aufgeben. Er ist ein Überzeugungstäter.