Berlin. Die Außenministerin will ausloten, wie viel Verhandlungsspielraum im Ukraine-Konflikt besteht. Auch Nord Stream 2 bleibt Streitthema.

Für Annalena Baerbock ist es die schwierigste Reise ihrer politischen Laufbahn. In den nächsten zwei Tagen begibt sich die Außenministerin in die Zentren des Ukraine-Konflikts. An diesem Montag führt die Grünen-Politikerin in Kiew Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba.

Am Dienstag kommt es zu einem mit Spannung erwarteten Treffen mit dem russischen Chefdiplomaten Sergej Lawrow in Moskau. Angesichts der massiven russischen Truppenkonzentration nahe der ukrainischen Grenze steigt weltweit die Sorge vor einer Invasion Moskaus. Die USA erklärten, Russland arbeite ihren Erkenntnissen zufolge daran, einen Vorwand für einen Einmarsch in die Ukraine zu schaffen.

„Wir haben Informationen, die darauf hinweisen, dass Russland bereits eine Gruppe von Agenten aufgestellt hat, um einen Einsatz unter falscher Flagge in der Ostukraine durchzuführen“, sagte Regierungssprecherin Jen Psaki.

Drohkulisse: Russische T-72B3-Panzer während einer Militärübung nahe der Stadt Rostow am Don.
Drohkulisse: Russische T-72B3-Panzer während einer Militärübung nahe der Stadt Rostow am Don. © dpa | Uncredited

Nach der Cyberattacke auf ukrainische Regierungswebseiten übte Kiew scharfe Kritik an Moskau. „Alle Beweise deuten darauf hin, dass Russland hinter dem Cyberangriff steckt“, erklärte das ukrainische Ministerium für digitale Transformation. Der Kreml wies dies zurück.

Baerbocks Antrittsbesuch in Kiew fällt auf den 30. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine. Die Ministerin will sich für eine Fortsetzung der stockenden Gespräche im Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland einsetzen. In den kommenden Wochen sollen sich die außenpolitischen Berater der vier Staats- und Regierungschefs treffen.

Ukraine: Baerbock will auch ins Konfliktgebiet reisen

Zudem kündigten Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian an, in den nächsten Tagen gemeinsam in das Konfliktgebiet in der Ostukraine zu reisen. Darüber hinaus hat sich Baerbock vorgenommen, die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine in Energiefragen voranzutreiben.

Dabei geht es zum einen um die Verlängerung des Gastransitvertrags zwischen Russland und der Ukraine um bis zu zehn Jahre. Zum anderen hatte Deutschland in einer Vereinbarung mit den USA zugesagt, die Ukraine bei der Förderung erneuerbarer Energien mit einem Grünen Fonds zu unterstützen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). © dpa | Michael Kappeler

Die Frage ist allerdings, ob das Kiew reicht. „Wir erwarten von der neuen Bundesregierung einen festen und deutlichen Kurs gegenüber den russischen Drohungen und Einschüchterungsversuchen - zusammen mit der Ukraine und unseren Partnern und Alliierten“, sagte Außenminister Kuleba der „Bild am Sonntag“. Der staatliche ukrainische Energiekonzern Naftogaz warnte erneut vor dem Startschuss für die deutsch-russischen GaspipelineNord Stream 2. „Ich bin mir sicher: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, dann wird kein russisches Gas durch die Ukraine nach Europa fließen“, so Naftogaz-Chef Jurij Witrenko.

Baerbock hatte Russland mit „schweren Konsequenzen“ gedroht, sollte Moskau in der Ukraine einmarschieren. Sie räumte ein, dass Nord Stream 2 „geopolitische Implikationen“ habe. Wesentlich vorsichtiger hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geäußert. Die ausstehende Entscheidung über die Inbetriebnahme der Pipeline durch die Bundesnetzagentur sei unpolitisch. Es handele sich um ein privatwirtschaftliches Projekt.

Wird Deutschland Waffen in die Ukraine liefern?

Die vom ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, erhobene Forderung nach Waffenlieferungen durch die Bundesregierung stieß in Berlin zum Teil auf positive Resonanz. Der Unions-Außenexperte Johann Wadephul sprach sich dafür aus, der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz will dies zumindest in Erwägung ziehen.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), hält eine Diskussion über die Lieferung von „Schutzgeräten wie Helme und Schutzwesten“ für „denkbar“. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, keine Waffen in Konfliktgebiete zu liefern. Die Außenministerin hatte diese Haltung kürzlich bekräftigt.

Auch bei Baerbocks Besuch in Moskau soll es um die bilaterale Kooperation beim Thema erneuerbare Energie gehen. Dabei spielen Energiespeicher ebenso eine Rolle wie die Herstellung von Wasserstoff. Überschattet wird die Reise von der hoch angespannten Lage vor der ukrainischen Grenze, wo Russland mehr als 100.000 Soldaten stationiert hat.

Moskau verlangt vom Westen, die Osterweiterung der Nato zu stoppen und die Soldaten der alten Bündnismitglieder aus Osteuropa zurückzuziehen. „Wir wissen nicht, wie der zweite und dritte Schritt der Russen aussieht“, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Baerbocks Gespräch mit Lawrow soll auch hierüber Aufschluss bringen.