Washington. Die neue Außenministerin auf Blitztrip nach Washington. Mit ihrem Amtskollegen Antony Blinken droht sie Russland mit harten Sanktionen.

Antony Blinken beginnt zurückhaltend, aber freundlich. „Die Partnerschaft zwischen unseren beiden Ländern ist unentbehrlich“, sagt der US-Außenminister am Mittwochabend auf der gemeinsamen Pressekonferenz nach dem Treffen mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock Blinken lobt das transatlantische Verhältnis. Das graumelierte Haar gibt ihm die Patina eines Staatsmanns. Er spricht leise, überlegt.

Seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock, dunkelblaues Kleid, steht lächelnd daneben. Der Ton des amerikanischen Chefdiplomaten passt zu dem feierlichen Ambiente. An den Seiten des Thomas Jefferson Room im State Department in Washington stehen karminrote Säulen. An den mit Blattgoldornamenten hängen üppige Kristalllüster.

Es dauert nicht lange, da kommt Blinken auf Russland zu sprechen. Der massive Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine bereite dem Westen Sorge. Russland versuche, das Nachbarland zu „erpressen“, die Rhetorik Moskaus werde schärfer. Kremlchef Wladimir Putin hatte die Lage zusätzlich aufgeheizt, indem er kürzlich „rote Linien“ gezogen hat: keine weitere Osterweiterung der Nato, kein Beitritt der Ukraine zum Bündnis, keine Waffenlieferungen an die ehemalige Sowjetrepublik.

Die Miene des Amerikaners wird ernst. Die deutsche Außenministerin, die am Mittwoch zu einem eintägigen Blitztrip nach Washington geflogen ist, hört zu. Sie hat die gefalteten Hände auf das Pult gelegt. Sollte Russland militärisch in der Ukraine intervenieren, müsse der Westen mit „massiven Sanktionen“ reagieren, fordert Blinken.

Er erwähnt wirtschaftliche Strafmaßnahmen, aber auch Waffenlieferungen durch die Amerikaner. Blinken redet seinen Gast mit „Außenminister Baerbock“ an. Es klingt ein bisschen förmlich, da die Amerikaner gewöhnlich schnell beim lockeren, informellen „Du“ sind. Und dann fällt das Reizwort Nord Stream 2, das deutsch-russische Erdgas-Projekt. „Europa könnte Nord Stream 2 gegenüber Russland verwenden“, sagt Blinken.

Nord Stream 2: Mögliche Konsequenzen

Baerbock nimmt den Ball auf. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden hätten im Juli vereinbart, dass Russland Energie nicht als „Waffe“ benutzen dürfe. Das gelte auch heute. Die Botschaft: Wenn Russland in der Ukraine einmarschiere, drohten „massive wirtschaftliche Konsequenzen“. Der Subtext: Das Pipeline-Vorhaben wäre dann gestorben. Blinken hat den Arm auf das Pult gestützt und schaut aufmerksam zu Baerbock. Er wirkt ein bisschen wie ein gestrenger Lehrer, der seiner Schülerin zuhört.

Die Außenministerin versucht, bei ihrem Antrittsbesuch den Ton Blinkens aufzunehmen. Deutsch-amerikanischer und europäisch-amerikanischer Schulterschluss, lautet ihre Devise. Baerbock erklärt schnell, möchte forsch wirken – wie jemand, der sich freischwimmen will. Sie redet während der Pressekonferenz auf Deutsch, spricht ihren Amtskollegen mit „lieber Toni“ an. Und sie ist bemüht, den Ton aufzulockern. Sie erinnere sich mit Vergnügen an ihr Austauschjahr im US-Bundesstaat Florida, „wo das Wetter besser ist als in Washington“. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Blinken lacht.

„Russlands Handel ist mit einem klaren Preisschild gekennzeichnet“, sagt sie. Es soll klar, konsequent und auch ein bisschen drohend klingen. Und es soll den Gastgeber beeindrucken. Doch Baerbock setzt mehr als Blinken auf Diplomatie. „Russland hat den Gesprächsfaden wieder auf aufgenommen“, unterstreicht sie. Blinken blickt skeptisch auf den Boden, als traue er dem Frieden nicht.

In der kommenden Woche will der Westen austesten, ob die Spannungen mit Moskau durch Verhandlungen heruntergekühlt werden können. Am 10. Januar reden Amerikaner und Russen in Genf. Am 12. Januar tagt der Nato-Russland-Rat erstmals wieder seit mehr als zwei Jahren. Einen Tag später finden Gespräche im Rahmen der OSZE statt. „Es gibt keine Alternative zu einer politischen Lösung“, betont Baerbock. Blinken hört ihr zu, hat Falten auf der Stirn. „Wir werden sehen, wohin der Pfad der Diplomatie führen kann“, meint er.

Baerbock setzt viel auf Dialog

In Washington war Baerbock mit Vorschusslorbeeren empfangen worden. Vor allem ihre Kritik an Nord Stream 2 als „energiepolitisch und geostrategisch falschem Projekt“ kam an. Präsident Biden hatte das Vorhaben vehement abgelehnt, aber am Ende durchgewunken, um die Bundesregierung nicht zu vergraulen.

„Wir schätzen die deutliche Position der Außenministerin. Aber wie viel Spielraum hat sie? Olaf Scholz ist schließlich Kanzler“, meint ein US-Diplomat. Der SPD-Politiker hatte zwar angesichts des russischen Truppenaufmarsches die „Unverletzbarkeit der Grenzen“ angemahnt, aber bislang jedwede Schärfe im Ton vermieden. Er baut vielmehr auf einen „konstruktiven Dialog“ mit Russlands Präsident Putin.

Baerbock ist als Chefdiplomatin in Amerika ein gern gesehener Gast. Sie bleibt damit einer Tradition treu, die mit Joschka Fischer begonnen hat: Außenminister Fischer hatte einen besonders engen Draht zu seiner Amtskollegin Madeleine Albright. Dass die damalige rot-grüne Koalition Ende der 90er-Jahre die Bundeswehr am Kosovo-Krieg beteiligt hat, wurde ihr in Washington hoch angerechnet. Selbst während des transatlantischen Zerwürfnisses im Zuge des Irak-Kriegs 2003 war Fischer in den Vereinigten Staaten kein Polit-Paria.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) galt wegen seiner Warnung vor „militärischen Abenteuern“ als Staatsfeind Nummer eins. Fischer kritisierte zwar ebenso den Militäreinsatz gegen den irakischen Machthaber Saddam Hussein. Doch der Grünen-Politiker polarisierte nicht in dem Maße wie Schröder. Fischer sorgte für einen politischen Kulturbruch. Die Grünen hatten plötzlich nicht mehr den Ruf friedensbewegter Revoluzzer und regierungsuntauglicher Öko-Freaks.

Baerbock: Dennoch nicht frei von pazifistischen Grundreflexen

Fischer und jetzt Baerbock. Die US-Regierung schätzt die dezidierte Positionierung der Grünen-Politikerin in der Russland- und China-Politik. Dennoch ist Baerbock nicht frei von pazifistischen Grundreflexen. „Die Stärke der transatlantischen Allianz misst sich dabei nicht in Panzern und Raketen, sondern in allererster Linie darin, dass wir an einem Strang ziehen, wenn es darauf ankommt.“ Es gehe um die „Verteidigung der Grundnormen des Völkerrechts“, um „gemeinsame Werte“ und den „Schutz der europäischen Friedensordnung“. Die Amerikaner hören das gern.

Als die Pressekonferenz vorbei ist, kramt Blinken in seinen Papieren. Baerbock sucht seinen Blick. Er sieht sie, kurzer Corona-Faustgruß. Ende einer Ein-Tages-Reise über den Atlantik.