Berlin. Paragraf 219a verbietet Ärzten, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Nun hat das Bundeskabinett die Abschaffung beschlossen.

  • Das Bundeskabinett die Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219a auf den Weg gebracht, der sogenannte "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" verbietet
  • Ärztinnen und Ärzte sollen bald straffrei über die Möglichkeit zur Abtreibung informieren dürfen
  • Welche Änderungen es für Betroffene gibt

Für die Gynäkologin Kristina Hänel war der Begriff Werbung immer schon schmerzhaft. Denn das war es nie: „Werbung bedeutet, dass ich sage, irgendetwas ist besonders toll oder billig. Darum ging es nie. Es ging darum, dass sachliche und seriöse Informationen verboten werden.“ Sachliche und seriöse Informationen über ärztliche Dienstleistungen sind Standard in allen Bereichen der medizinischen Versorgung – nur bei Schwangerschaftsabbrüchen sind sie eine Straftat.

Denn: Laut Paragraf 219a Strafgesetzbuch dürfen Ärztinnen und Ärzte, die selbst und gegen Honorar Schwangerschaftsabbrüche anbieten, nur darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen, nicht aber, wie. Das tat Kristina Hänel trotzdem – und wurde 2019 zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil sorgte für Aufsehen, Hänel ging in Revision, reichte Verfassungsbeschwerde ein.

Paragraf 219a: Justizminister kündigt Gesetzentwurf an

Verurteilungen wie diesen will die Ampel-Koalition ein Ende setzen. Sie will den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch streichen, und zwar ersatzlos, im Sinne einer „reproduktiven Selbstbestimmung“. Gefordert hatten das Grüne, FDP und SPD schon länger, unterstützt von Ärztinnen und Ärzten, Juristinnen und Beratungseinrichtungen wie Pro Familia.

Das Bundeskabinett hat nun am Mittwoch die Abschaffung des Paragrafen beschlossen. Er soll dem Beschluss zufolge aufgehoben werden. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) muss noch von Bundestag und Bundesrat beraten werden.

"Die Situation für die betroffene Frau ist schwierig genug - wir dürfen sie nicht noch erschweren": Bundesjustizminister Marco Buschmann. © dpa

„Es kann nicht sein, dass jeder alles über diese Dinge ins Internet setzen kann, aber ausgerechnet Menschen, die dazu qualifiziert sind, das nicht können“, sagte Buschmann. Es müsse sich niemand Sorgen machen, dass durch diese Rechtsänderung „anpreisende oder gar anstößige Werbung für Schwangerschaftsabbrüche möglich wäre“. Denn das sei bereits auf der Grundlage anderer Rechtsnormen wie des ärztlichen Berufsrechts ausgeschlossen.

Zudem bestehe nicht die Gefahr, dass ungeborenes Leben künftig nicht mehr geschützt sei, sagte Buschmann. Denn auch mit der geplanten Änderung bleibe der eigentliche Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar. Einer Strafverfolgung könnten nur Frauen entgehen, die an einer Schwangerenkonfliktberatung teilgenommen haben.

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Geplante Abschaffung von 219a: Unterstützung und Kritik

„Was längst überfällig war, wird endlich Realität“, erklärte Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) zu der Kabinettsentscheidung. Damit stärke die Bundesregierung „das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nachhaltig“. Jede Frau müsse sich „online direkt bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt sachlich informieren können, welche Methoden zum Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden und auch welche Fristen und Regelungen zu beachten sind.“

Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow begrüßte die geplante Abschaffung des Werbeverbots - doch ihr geht sie nicht weit genug. Die Ampel-Koalition habe „die entscheidende Frage vertagt“, erklärte sie. „Denn nicht nur der §219a muss gestrichen werden, sondern auch der §218. Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.“

Kritik kam aus der CDU/CSU: „Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist falsch, unethisch und muss durch den Gesetzgeber verboten bleiben“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). „Der Beschluss der Ampel ist verfassungsrechtlich fragwürdig und ideologisch getrieben.“

Auch die AfD kritisierte den Vorstoß: Die Abschaffung von 219a öffne „die Tür zur Abschaffung“ des allgemeinen Abtreibungsverbots nach Paragraf 218, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch. Ihre Fraktion spreche sich „entschieden gegen alle Bestrebungen aus, Abtreibungen zu bewerben, zu bagatellisieren und staatlicherseits zu fördern“.

Was steckt hinter dem gesetzlichen Regelung und was bedeutet die Streichung genau? Fragen und Antworten.

Warum ist die Information bislang verboten?

Bis 2019 durften Ärztinnen und Ärzte in keiner Weise darauf aufmerksam machen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Der Bundestag diskutierte das Thema, auch angestoßen durch das Gerichtsurteil gegen Kristina Hänel. Zu einer Streichung von 219a kam es damals nicht, stattdessen einigte sich die große Koalition auf einen Kompromiss: Eine Ärztin darf nun öffentlich machen, dass sie Abbrüche durchführt, nicht aber wie. Sie darf außerdem keinen finanziellen Vorteil daraus ziehen und die Abbrüche nicht auf eine „anstößige“ Weise bewerben.

Für Juristin Maria Wersig haben beide Aspekte im Strafrecht eigentlich wenig zu suchen. „Reißerische Werbung“ sei ohnehin schon im ärztlichen Standesrecht reglementiert. Darauf das Strafrecht anzusetzen sei, wie „mit Kanonen auf Spatzen“ zu schießen. Und Geld müssten Ärztinnen und Ärzte nun mal verlangen, da sie ihren Lebensunterhalt mit ihren ärztlichen Dienstleistungen verdienen. Das bestätigt auch Kristina Hänel: Schwangerschaftsabbrüche böten bei der aktuellen Finanzierung keinerlei finanziellen Anreiz. „Das ist ein Grund, warum so wenige Ärztinnen überhaupt Abbrüche durchführen.“

Abtreibungsgegnerinnen bestehen gerade auf der Regelung zum finanziellen Vorteil, so auch selbsternannte Lebensschützerin Susanne Wenzel vom CDU-nahen Verein „Christdemokraten für das Leben“. „Der Hintergrund von 219a und die Absicht des damaligen Gesetzgebers war, zu verhindern, dass Abtreibungen zu einer normalen ärztlichen Dienstleistung werden. Das sind sie nicht“, sagt Wenzel. Der damalige Gesetzgeber, der 219a ins Leben gerufen hat, war die NSDAP. Strafbar waren Schwangerschaftsabbrüche schon lange davor, die „Werbung“ dafür wurde es erst 1933.

Was ändert sich mit der Streichung des Paragrafen für ungewollte Schwangere?

Rein rechtlich ändert sich nur der Zugang zu Informationen. Denn der sei unter 219a so stark reglementiert, dass ungewollt Schwangere Probleme hätten, zuverlässige Informationen zu bekommen, so Kristina Hänel. Man werde geradezu überschüttet mit Fehlinformationen, vor allem von Seiten, die von fundamentalistischen Abtreibungsgegnern betrieben werden. Diese Seiten würden als sehr demütigend empfunden, so Hänel, sie würden aber trotzdem genutzt, um an Informationen zu kommen. „Dass ausgerechnet die fachlich am ehesten zur Aufklärung berufenen Ärztinnen und Ärzte dort nicht informieren dürfen, kann nicht sein“, sagte auch Marco Buschmann dieser Zeitung.

Die Streichung von 219a könnte nun Abhilfe schaffen, meint stellvertretende Vorsitzende von Pro Familia, Stephanie Schlitt. Die Informationen könnten einfach und direkt auf den Seiten der Ärztinnen und Ärzte abgerufen werden.

Das würde auch ein weiteres Problem lösen: die Zeitnot. Denn um straffrei einen Abbruch in Anspruch zu nehmen, darf die schwangere Person maximal in der zwölften Woche sein. Wer auf desinformierenden Seiten lande, bemerke den Fehler oft erst spät, so Hänel – manchmal zu spät.

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Was hat die Streichung von 219a mit Selbstbestimmung zu tun?

Die Ampel-Koalition will „reproduktive Selbstbestimmung“ erreichen. Die sei bislang nicht gegeben, so Stephanie Schlitt. Die aktuelle Gesetzeslage werde den Bedürfnissen und Rechten ungewollte Schwangerer nicht gerecht: „Der Grund liegt nicht zuletzt darin, dass ungewollt Schwangere in den Dunstkreis des Strafrechts gezogen werden.“

Abtreibungsgegnerinnen wie Susanne Wenzel wehren sich gegen den Begriff Selbstbestimmung. Häufig bringe nur der Druck aus der Familie Frauen zum Abbruch, sie beschreibt Trauma und Schuldgefühle nach dem Abbruch. Belegbar ist das nicht, im Gegenteil. Eine Studie der University of California von 2015 beispielweise hat ergeben, dass 95 Prozent aller Menschen, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben, auch drei Jahre später noch sicher sind, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Kristina Hänel führt selbst Schwangerschaftsabbrüche durch, sie kennt die Gründe und Gedanken hinter der Entscheidung. Der Großteil der Frauen käme aus der Mitte der Gesellschaft, die meisten seien Mütter. „Sie überlegen sich ganz genau, was sie da machen und ob sie noch ein Kind versorgen können oder ob sie das nicht schaffen.“

219a untergrabe diese selbstbestimmte Entscheidung, und stigmatisiere Schwangerschaftsabbrüche, so Stephanie Schlitt. Für leichtfertige Abbrüche gebe es „null Evidenz“. Es sei „infam“ zu behaupten, die Betroffenen seien dieser Entscheidung nicht gewachsen. Es müsse klar sein, „dass wir die Fähigkeit und das Recht haben, diese Entscheidung selbstbestimmt treffen zu können.“

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Was plant die Ampel-Koalition noch?

Neben der Streichung von 219a sollen noch weitere Schritte Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessern. Die Ampel will zum Beispiel gegen Gehsteigbelästigungen vorgehen, also gegen die Protestaktionen von Abtreibungsgegnern zum Beispiel vor Arztpraxen. Sie will außerdem die Kostenübernahme angehen, sodass Betroffene den Eingriff nicht mehr selbst zahlen müssen. Momentan belaufen sich die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch auf 200 bis fast 600 Euro, sie sind also nicht für jeden zugänglich.

Die Koalition will außerdem die Beratungsangebote ausweiten und Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil ärztlicher Aus- und Weiterbildung machen. Damit soll Versorgungssicherheit hergestellt werden, die gerade im ländlichen Raum oft nicht gegeben ist.

Werden Schwangerschaftsabbrüche bald legal?

Danach sieht es momentan erstmal nicht aus. Die Ampel-Koalition will den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessern, rechtswidrig werden sie aber bis auf weiteres bleiben. Sie sind also weiterhin nur unter bestimmten Bedingungen straffrei: Die schwangere Person muss den Abbruch selbst verlangen, sie muss eine Beratung bei einer anderen Stelle als der durchführenden Ärztin wahrnehmen und dort einen Beratungsschein erhalten. Es gilt eine Wartefrist zwischen Beratung und Eingriff. Außerdem dürfen nicht mehr als zwölf Wochen zwischen Befruchtung und Eingriff vergehen.

(mit fmg/dpa)