Berlin/Islamabad. Regierung hat knapp 25.000 Afghanen Einreise zugesagt. Doch viele harren in der Krisenregion aus. Bei manchen schwindet die Hoffnung.

Es sind große Versprechen, die die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag abgibt: „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen.“ Man wolle die Menschen beschützen, die Deutschland im Ausland „als Partner zur Seite standen“, heißt es auf Seite 142. Gemeint sind Menschen wie Ahmad P.

Aber Ahmad P. fühlt sich von Deutschland nicht beschützt. Er fühlt sich in Stich gelassen, allein. Und langsam verliert er Geld und Nerven. P. ist ein junger Mann aus Afghanistan, Mitte 30. In seiner Heimat hatte er eine Baufirma, für die Bundeswehr und andere internationale Truppen konstruierte er in dem Kriegsland Landebahnen, Straßen, Garagen. Vor allem am Standort Masar-i-Sharif, dem Lager, in dem die Nato-Truppen und die deutschen Soldaten bis zu ihrem schnellen Abzug im Sommer stationiert waren.

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Jetzt aber hängt Ahmad P. in Pakistan fest. Seit fast zwei Monaten. Er hat Tausende Dollar ausgegeben, um Flugtickets für seine Familie aus Kabul hier in die Hauptstadt Islamabad zu buchen. Und noch einmal fast 2000 für die pakistanischen Visa. Von hier, das war Ahmad P.s Plan, wollte er mit seiner Familie nach Deutschland ausfliegen. Von hier, so hieß es, würden die Chartermaschinen starten. In die Freiheit. In das Land, auf das viele Afghanen jetzt ihre Hoffnung für einen Neuanfang in ihrem Leben setzen.

Hunderte Menschen wurden aus Pakistan ausgeflogen – Ahmad P. war nicht dabei

Mehrere Flüge mit afghanischen Ortskräften sind auch bereits von Pakistan aus in Richtung Deutschland geflogen, einige Hundert Afghanen und ihre Familien an Bord. Ahmad P., seine Frau und seine vier kleinen Kinder waren bisher nicht dabei.

Usbekistan, Taschkent: Geflüchtete sitzen in einem Airbus A400M der Bundeswehr im August 2021. Sie hatten Glück, sie wurden aus Afghanistan gerettet.
Usbekistan, Taschkent: Geflüchtete sitzen in einem Airbus A400M der Bundeswehr im August 2021. Sie hatten Glück, sie wurden aus Afghanistan gerettet. © dpa | -

„Ich habe alles verloren“, schreibt Ahmad P. unserer Redaktion jetzt. Sein Haus, sein Auto, seine Baufirma. Alles zurückgelassen. „Weil die deutsche Regierung jeden Tag sagt, dass sie uns Menschen helfen wird, die mit ihnen in Afghanistan gearbeitet haben“, erzählt P. Seit einigen Wochen steht er in Kontakt mit unserer Redaktion. Seit Wochen aber hört er nichts von der deutschen Regierung. Keine Antworten auf E-Mails, Anrufe. Ahmad P. zeigt Fotos seiner Arbeitsverträge mit der Bundeswehr, seinen Ausweis für das Camp der Soldaten, in das auch er an vielen Tagen kam, um zu arbeiten. Bis zuletzt – bis die deutschen Soldaten ausflogen, ohne ihn.

Menschen tauchen ab, verstecken sich – viele werden von Taliban verfolgt

So wie Ahmad P. geht es vielen afghanischen Ortskräften. Und viele haben es noch nicht einmal bis Pakistan geschafft, sondern sind noch im Taliban-Staat. Menschen wie Nawid, bei dem die Islamisten schon vor seiner Haustür Patrouille standen.

Menschen wie Raz, der ebenfalls nur seinen Vornamen nennen will. Auch er hat mit einer Firma für die Bundeswehr gearbeitet. Nun verstecke er sich in seinem Haus in Masar-i-Sharif, gehe nicht vor die Tür und hoffe, dass die Taliban ihn nicht zur Rechenschaft ziehen. Wer für die internationalen Truppen gearbeitet hat, kann für die Hardcore-Islamisten schnell als „Verräter“ oder „Kollaborateur“ gelten.

Eine Recherche der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch legt nahe, dass die Taliban seit ihrer Machtübernahme im August bereits etwa 100 frühere Mitarbeiter afghanischer Sicherheitsbehörden getötet oder verschleppt haben. Auch wenn Ex-Helfer der Bundeswehr bisher nicht im Fokus von gezielter Verfolgung waren, besteht laut Fachleuten jederzeit die Gefahr, dass die Taliban gegen diese „Verräter“ vorgehen.

Die neue Bundesregierung verspricht schnellere Hilfe für afghanische Ortskräfte

Die neue Bundesregierung will besser helfen. Die alte Regierung von SPD und Union hatte ebenso eine zügige und großzügige Ausreise von afghanischen Ortskräften versprochen. In Teilen ist das gelungen. Doch noch immer harren Tausende Menschen in der Region aus – und hoffen auf eine Rettung nach Deutschland.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums haben deutsche Behörden zwischen Mitte Mai und Ende November (15. Mai bis 26. November) Aufnahmezusagen für 24.556 Personen aus Afghanistan erteilt. Bisher sind laut Bundesregierung jedoch erst 1319 afghanische Ortskräfte sowie 5711 Familienangehörige nach Deutschland eingereist, insgesamt 7033 Personen. Das teilte das Innenministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag mit, die unserer Redaktion vorliegt.

Linksfraktion kritisiert: Evakuierung dauert viel zu lange, Tempo viel zu schleppend

Die insgesamt knapp 25.000 Erteilungen von Aufnahme-Visa ergeben sich laut Bundesinnenministerium demnach aus Zusagen für 4590 afghanische Ortskräfte der Bundeswehr, des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums und des Bundesentwicklungsministeriums. Hinzukommen Aufnahmezusagen für 19.966 Familienangehörige der Ortskräfte.

Wer davon noch in Afghanistan ist, oder wer – wie Ahmad P. und seine Familie – schon nach Pakistan oder in ein anderes Nachbarland geflohen ist, weiß die Bundesregierung nicht. „Wie viele Ortskräfte und deren Familienangehörige mit einer Aufnahmezusage Afghanistan mit Hilfe deutscher Stellen verlassen haben, kann nicht beziffert werden“, teilt das Innenministerium mit.

Zurück an der Macht: Die Taliban in Afghanistan.
Zurück an der Macht: Die Taliban in Afghanistan. © AFP | JAVED TANVEER

Die Linksfraktion im Bundestag übt scharfe Kritik an der Organisation der Evakuierung aus Afghanistan durch die Bundesregierung. „Nicht einmal ein Drittel der anerkannt schutzbedürftigen Ortskräfte konnte bislang nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden, das ist ein absolutes Armutszeugnis“, sagte Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut unserer Redaktion. „Viele gefährdete Ortskräfte erhalten offenkundig erst spät die ersehnte Zusage zur Aufnahme. Für die meisten war es zu spät, um noch rechtzeitig vor der Machtübernahme der Taliban evakuiert zu werden.“

Noch einmal Tausende Aufnahmezusagen in den vergangenen Wochen

Menschen würden „in größter Angst und Unsicherheit in Afghanistan ausharren“, hob Akbulut hervor. Die Linken-Politikerin forderte die neue Ampel-Regierung zum Handeln auf. „Die Anerkennungsverfahren müssen unkompliziert und deutlich schneller erfolgen, das Gleiche gilt natürlich für die Organisation der Evakuierungen und Einreisen der gefährdeten Menschen.“

Deutlich wird aus den Zahlen der Bundesregierung auch, dass in den vergangenen Wochen noch einmal einige Tausend Aufnahmezusagen an afghanische Ortskräfte, vor allem aber auch an deren Familienangehörige, hinzugekommen sind. Fachleute erklären das vor allem damit, dass es erst einige Monate dauerte, bis nun die Angehörigen der Ortskräfte ausfindig gemacht werden konnten. Auch Dokumente wie Reisepässe fehlen oft, Sicherheitsüberprüfungen müssen erst gemacht werden.

Für Ahmad P. wird es eng – sein Visum in Pakistan läuft Ende Dezember ab

Und doch ist Fachleuten klar: Das Tempo ist zu langsam. „Viele Ortskräfte haben aber noch immer nicht einmal eine Aufnahmezusage, obwohl sie objektiv visaberechtigt waren“, sagte der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks, Marcus Grotian, gegenüber unserer Redaktion. Menschen wie Ahmad P. und seine Familie.

Die ganze Regierung, so Grotian, müsse nun die Zusagen „von schneller und unbürokratischer Hilfe für die noch immer zurück gelassenen Ortskräfte aller Ressorts auf den Weg in die Sicherheit“ umsetzen.

Das Patenschaftsnetzwerk setzt sich dafür ein, örtliche Helfer der Bundeswehr und anderer Ministerien nach Deutschland zu holen. „Wir haben allein durch Spenden derzeit 184 Ortskräften mit Familienangehörigen mit Aufnahmezusagen den Weg nach Deutschland in Sicherheit ermöglicht“, sagte Grotian. Von der kommenden Ampel-Regierung forderte er, eine „Einbindung des zivilen Engagements das seit Monaten staatliche Aufgaben wahrnimmt“.

Ahmad P. keine Zusage – ihm bleibt nur die Hoffnung. Und sehr viele Papiere, die zeigen, dass er jahrelang für die westlichen Truppen mit seiner Firma geholfen hat – im Kampf gegen die Taliban. Seine Zeit in Pakistan wird knapp. Das Visum für die Familie läuft Ende Dezember ab. „Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll“, sagt er.