Berlin. Der Anschlag in Kongsberg verstört, auch weil der Täter polizeibekannt war. Doch im Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel.

Wann immer sich ein Anschlag ereignet, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Täter den Sicherheitsbehörden bekannt ist. Auch der Däne, der in einer norwegischen Kleinstadt mit Pfeil und Bogen loszog und wahllos Menschen angriff, einige verletzte und fünf tötete, stand mehrfach vor Gericht, hatte die eigene Familie bedroht, war zum Islam konvertiert und gleichzeitig wegen Radikalisierungstendenzen aufgefallen. Er wurde deshalb schon vor der Tat „kontaktiert“.

Manchmal wirkt eine Ansprache. Sie führt potenziellen Gewalttätern vor Augen: Wir beobachten dich, Du bist unter Wind, wie Polizisten sagen. Manche lassen sich einschüchtern, der Mann in Kongsberg nicht.

Gewalttat bei Oslo: Polizei wird sich unangenehme Fragen gefallen lassen müssen

Für die Öffentlichkeit ist es schwer erträglich, dass erst etwas passieren muss, damit was passiert. Einzeltäter, Konvertit Gewalterfahrung. Hätte man da nicht eins und eins zusammenzählen müssen? Die Polizei wird unangenehme Fragen beantworten müssen. Hüten wir uns bei der Frage nach dem Warum vor Schuldzuweisungen, zügeln wir das Gefühl von Ohnmacht: Wo kämen wir hin, wenn die Polizei anfangen würde, Menschen auf Verdacht einzusperren? In einem Rechtsstaat heiligt der Zweck – Sicherheit – nicht die Mittel.

Anschlag in Kongsberg: Norwegen wird an ein Trauma erinnert

Es könnte sein, dass der Täter sich für Pfeil und Bogen entschieden hat, weil er wegen der polizeilichen Drucks befürchten musste, nicht an Schusswaffen heranzukommen – mit denen er mehr Schaden angerichtet hätte. Man muss versuchen, sich in die Gedankenwelt eines Menschen zu versetzen, der hart am Rande des Wahnsinns ist; ganz gleich, ob er psychisch oder politisch gestört ist. Mit dieser Tat hat der Mörder ein Alleinstellungsmerkmal, nicht wie 2011 bei Anders Behring Breivik wegen der Zahl der Opfer, sondern wegen der Tatwaffe. Norwegen wird an ein Trauma erinnert, das es gern vergessen würde. Mehr dazu: Das Attentat von 2011: Norwegens nationales Trauma

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent.
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Terrorismus-Abwehr ist ein Wettlauf makabrer Fantasien. Vor dem 11. September 2001 kannte man Flugzeugentführungen, konnte sich aber nicht vorstellen, dass Kidnapper die Maschinen wie Bomben einsetzen würden. Gegen die Vorgehensweise hat sich die Welt gewappnet, so wie nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz Poller aufgestellt wurden, sodass niemand mehr mit einem Lkw auf den Weihnachtsmarkt zurasen kann. Die Waffengesetze wurden verschärft, die Aufklärung terroristischer Netzwerkstrukturen intensiviert.

Aber dann kommt jemand, der gegen alle Erwartungsmuster keinen „Befehl“ vom IS hat, sondern sich vielmehr selbst radikalisiert hat; keine Schusswaffen benutzt, sondern eine Machete (London) oder eine Axt (Würzburg) oder Pfeil und Bogen. Jedes Mal denkt man: Kann doch nicht wahr sein.

Gewalttäter haben es nicht verdient, sich einen Namen zu machen

Es ist verstörend, dass niemand nirgendwo sicher sein kann, ob er sich politisch oder religiös exponiert oder nicht, ob er in einer Metropole oder in einem norwegischen Provinzkaff lebt, Risiken eingeht oder arglos auf den Zug wartet und aufs Gleis geschubst (Frankfurt) wird. Es gibt keine Sicherheit. Diesem Bedrohungsgefühl darf man sich nicht überlassen, denn es entspricht nicht der Bedrohungslage. In westeuropäischen Staaten ist die Sicherheit groß und das Risiko gering, Opfer eines Anschlags zu werden. Menschen fliehen aus Afghanistan nach Norwegen - nicht umgekehrt.

Ziel von Terror sind Angst und Aufmerksamkeit. Das Dilemma der Medien ist, dass sie zwangsläufig solche Motive bedienen, andererseits keine Nachrichten unterdrücken wollen oder können, zumal die Mund-zu-Mund-Kommunikation mit den sozialen Netzwerken einen milliardenfachen Verstärker hat. Mitgefühl, Hilfe, Aufmerksamkeit für die Opfer wären angemessene Reaktionen. Opfer haben Namen. Täter haben es nicht verdient, sich einen Namen zu machen.