Düsseldorf. Der gescheiterte Unionskanzlerkandidat klammert sich an die Jamaika-Koalition. Was den CDU-Chef antreibt und warum er nicht aufgibt.

Heribert August kann das Drama um Armin Laschet nur noch schwer ertragen. Der Pfarrer im Ruhestand aus Aachen-Burtscheid hat den CDU-Politiker 1985 getraut, er hat seine Kinder getauft und ist mit seinem Vater zur Wassergymnastik gegangen.

Man darf ihn getrost einen Seelenbeistand des Kanzlerkandidaten nennen. Zwei Tage nach der für Laschet verheerenden Bundestagswahl meldet sich der Geistliche schwer atmend im Kölner Domradio zu Wort.

Wenn man den Armin gern habe und auch an seine Gesundheit und Zukunft denke, sagt August, dann müsse man ihm jetzt raten: „Gib all die Ämter ab, nimm dein Mandat als Bundestagsabgeordneter, mach vier Jahre gute Arbeit und dann geh in den Ruhestand und genieß noch ein bisschen das Leben.“

Boxen für den Wahlkampf: Armin Laschet besuchte in den Sommerferien ein Kinder- und Jugendcamp in Frankfurt.
Boxen für den Wahlkampf: Armin Laschet besuchte in den Sommerferien ein Kinder- und Jugendcamp in Frankfurt. © POOL/AFP via Getty Images | Armando Babani

Bislang deutet wenig darauf hin, dass Laschet auch diesmal auf seinen Pfarrer hört. Das war Anfang 2020 anders. Da sprachen sie am Rande einer Familienfeier über den Griff nach CDU-Bundesvorsitz und Kanzlerkandidatur. Laschet fragte August nach dessen Meinung zu den anstehenden Karriereentscheidungen. Schließlich war er als Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes ungefährdet und schon weiter gekommen, als ihm viele zugetraut hatten.

Der Pfarrer antwortete damals nach eigener Aussage ohne jede Hintertür: „Armin, ich kenne dich jetzt seitdem du 16 Jahre bist, ich habe immer nur erlebt, dass du politisch aktiv warst. Du bist so durch und durch Politiker. Von Anfang an gewesen und gewollt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so jemand, der so aus Fleisch und Blut Politiker ist, an der letzten und größten Herausforderung stehen bleibt.“

Nach Lage der Dinge ist Laschet an der Schwelle zum Kanzleramt dramatisch hingeschlagen. Schlechtestes Unionsergebnis aller Zeiten. Verheerende Kommentarlage. Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei. Virtuose Gehässigkeiten aus der Manufaktur Söder & Kollegen. Vernichtende Persönlichkeitswerte in Nachwahl-Umfragen. Spott, Häme und Beleidigungen, die täglich aus dem Netz quellen.

Laschet in der Leugnungsphase?

Zurück nach NRW kann Laschet nicht. Er steht vor dem Aus. Doch er gibt nicht auf. Der 60-Jährige klammert sich an die Vorstellung, FDP und Grüne könnten ihn vielleicht gegen die politische Logik des Wahlergebnisses und gegen die Stimmungslage in Deutschland doch noch zum Jamaika-Kanzler wählen.

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Längst ist von Realitätsverlust die Rede. Der „Focus“ ließ jüngst sogar einen Facharzt für Psychosomatik die Ferndiagnose stellen, Laschet befinde sich nach dem Trauma des Scheiterns in der „Leugnungsphase“.

Wer sagt Laschet noch die Wahrheit?

„Ich bin ehrlich: Ich könnte das alles nicht mehr aushalten“, bekennt ein Wohlmeinender aus Laschets Regierungsmannschaft in Düsseldorf. Und man fragt sich ja tatsächlich: Ab wann fressen Nehmerqualitäten die Selbstachtung? In welchem Moment geht Resilienz in Renitenz über?

Laschet ist zurzeit gewiss umgeben von Leuten, die im Juni bereits gedanklich Möbel fürs Kanzleramt aussuchten und jetzt das Ende nicht akzeptieren können. Das macht es so gefährlich. Der Kontakt zu Mitstreitern, die ihm ungeschminkt die Wahrheit sagen würden, ist in der Terminhetze der vergangenen Monate immer seltener geworden.

Von falschen Beratern, einer neuen Geheimnummer und Bergen unbeantworteter SMS ist in Düsseldorf schon länger die Rede. Der Armin sei im Tunnel und sehe überall nur noch Feinde, heißt es mancherorts in der NRW-CDU betroffen.

Laschet war bereits öfter in einer aussichtslosen Lage

Der Stress hat seine etwas unernste, aber angenehme rheinische Art irgendwie in trotzige Gereiztheit umschlagen lassen. Doch solange der eher theoretischen Jamaika-Option nicht offiziell der Stecker gezogen werde, mache er wohl weiter, heißt es. Immer weiter.

Laschet hat die politische Lebenserfahrung gemacht, dass immer irgendwo ein Lichtlein herkommt. Als er 1998 sein Bundestagsmandat verlor, eröffnete sich unverhofft der Weg ins Europaparlament.

Als er 2010 als Landesminister abgewählt und daraufhin von der CDU als Oppositionsführer im NRW-Landtag ausdrücklich nicht gewollt wurde, tröstete er sich mit dem eilig zusammengezimmerten Fantasieposten „Erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender für parlamentarische Grundsatzfragen und parlamentarischer Geschäftsführer“ inklusive Dienstwagen.

Laschets Hoffnung auf den Gustav-Gans-Moment

Anders als viele Alphatiere denkt Laschet nicht in den Kategorien von Ehre und Gesichtsverlust. Er redet sich nach Misserfolgen ein, dass sich Erfolge in der Politik nur begrenzt planen lassen. Viel zu oft hat er in aussichtsloser Lage einen dieser Gustav-Gans-Momente erlebt. Laschet wurde unerwartet Ministerpräsident, weil die rot-grüne Landesregierung von Hannelore Kraft abgewirtschaftet hatte.

Er wurde CDU-Chef, weil Annegret Kramp-Karrenbauer nicht mehr konnte und Friedrich Merz nicht sollte. Er wurde Kanzlerkandidat, weil Söder in der CSU ist. Und jetzt noch Profiteur eines Ampel-Scheiterns? Lesen Sie auch: Wird am Ende doch noch Markus Söder Kanzler?

Parteifreunde verstecken Plakate mit Laschet-Konterfei

Es ist auch eine Kunst, auf politische „Abstauber“ warten zu können und zur Stelle zu sein, wenn sich andere blockieren. Das Momentum auszuhalten, schaffen die meisten nervlich gar nicht. Laschet arbeitet rund um die Uhr, verfügt über eine breite Bildung und feine persönliche Antennen.

Trotzdem erträgt er stoisch, dass irgendwelche Lokalfürsten ihn als „Mühlstein“ der CDU-Kampagne bezeichnen. Dass Parteifreunde Plakate mit seinem Konterfei in der Garage verstecken. Dass Söder im Fernsehen breitbeinig neben ihm sitzt und ihn wie einen Anfänger aussehen lässt.

Laschets Unabhängigkeit von äußeren Umständen und den Urteilen anderer speist sich womöglich aus seinem privaten Hintergrund. Im Gegensatz zu vielen Mächtigen, die mit der Aufmerksamkeitsdroge Politik anderweitige Entbehrungen kompensieren, war Laschet von Kindesbeinen an nie in einer Außenseiterposition.

Laschet gehört zu wenigen Spitzenpolitikern, die nicht vereinsamt sind

Sein Gestaltungs- und Geltungsdrang wurde von der Jugend im katholischen Gemeindehaus über die Schülervertretung bis zu ersten politischen Ämtern immer wohlwollend begleitet. So gewinnt man Sicherheit fürs Leben.

So gehört Laschet vielleicht zu den ganz wenigen Spitzenpolitikern, die in luftigen Höhen nicht vereinsamt sind. Er hat sich den Professionalitätserwartungen nie vollends hingegeben und sich kaum für das eigene Fortkommen kostümiert; er wollte authentisch bleiben. In seiner Heimat Aachen-Burtscheid wird so jemand von einem dichten Netz aus einer großen Familie und echten Freunden abseits der Politik getragen. Das verschafft Ressourcen in Krisenmomenten.

Stößt die fröhliche Unverwüstlichkeit diesmal an Grenzen? Die Geschichte vom „Rocky Balboa der Politik“, der mehr einstecken kann als die stärksten Gegner, wirkt auserzählt. Der von Sylvester Stallone gegebene Boxer muss im Film übrigens immer aufpassen, dass er vor lauter geschwollenen Augen überhaupt noch die Wirklichkeit erkennt.