Brüssel. Das Corona-Debakel in Tirol wirkt in Europa bis heute nach. Die deutsche Politik sollte sich an anderen Ländern ein Beispiel nehmen.

In der Geschichte der Corona-Pandemie nimmt die Infektionskatastrophe von Ischgl, die seit Freitag vor Gericht aufgearbeitet wird, einen herausragenden Platz ein. Der Tiroler Ski- und Partyort führte der Welt in den ersten Märztagen 2020 vor, wohin Leichtsinn, Bedenkenlosigkeit und Behördenversagen im Umgang mit dem Coronavirus sehr schnell führen können: Innerhalb weniger Tage infizierten sich 6000 Menschen aus 45 Ländern vor allem beim Après-Ski.

Weil erst gar nicht und dann überstürzt reagiert wurde, reisten die Urlauber am Ende unkontrolliert ab und trugen das Virus in alle Welt, bevorzugt nach Deutschland und Skandinavien. Kurze Zeit später begann bei uns der erste Lockdown.

Nun also die juristische Aufarbeitung: Haben die Kläger Erfolg, könnte das eine Prozesslawine auslösen. Was, wenn auch anderswo Menschen nicht wie bisher nur gegen vermeintlich zu hohe Corona-Auflagen vor Gericht ziehen – sondern auch, weil der Staat zu zögerlich gehandelt haben könnte?

Von wem Deutschland in der Corona-Pandemie noch lernen kann

In der Anfangszeit, wohlgemerkt. Die Erfahrung mit dem Corona-Hotspot Ischgl war der Beginn eines schmerzhaften, gemeinsamen Lernprozesses auf dem Kontinent: Es folgten die Bilder der Militärkonvois in Bergamo, vom Sterben in spanischen Altenheimen und überfüllter Intensivstationen in Frankreich. Wir kamen vergleichsweise glimpflich davon – auch weil wir rechtzeitig aus der Not und den Fehlern der anderen lernen konnten.

Christian Kerl, Politik-Korrespondent.
Christian Kerl, Politik-Korrespondent.

Allerdings: Dieses Voneinanderlernen ist nicht zu Ende. Inzwischen läuft es in anderen Ländern beim Kampf gegen Corona besser als in Deutschland. Von Dänemark bis Portugal – es geht dort beim Impfen schneller voran als bei uns, was sich immer öfter auch in niedrigeren Infektionsraten zeigt. Was machen die anderen besser? Ein Patentrezept gibt es nicht. Aber andernorts hat die Impfkampagne oft schon technisch besser und bürgerfreundlicher funktioniert.

Und: Ohne Druck geht es selten. Andererseits haben auch Europas Impfmeister keine generelle Impfpflicht eingeführt – sie muss auch bei uns tabu bleiben. Aber Frankreich macht mit den Zugangsbeschränkungen im öffentlichen Raum nach dem 3G-Prinzip gute Erfahrungen. Eine Gratwanderung bleibt es. Die Entscheidung Italiens, nun auch am Arbeitsplatz nur noch Getestete, Genesene oder Geimpfte zuzulassen, geht bereits zu weit, weil die Betroffenen in der Praxis keine Wahl haben.

Impfungen: Die deutsche Politik darf sich nicht in Debatten verlieren

Entscheidend ist: Um die Impfbereitschaft zu steigern, müssen die Regeln klar, fair, einfach und allgemein verbindlich sein – nicht überzogen, aber auch nicht verdruckst wie jener heikle deutsche Plan, Impfverweigerern die Lohnfortzahlung im Quarantänefall zu streichen, und nicht vage und umständlich wie die 2G-Optionsmodelle einiger Bundesländer.

In diesen Bundesländer gilt die 2G-Regel

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    Es zählt zudem ein Grundvertrauen in die staatlichen Corona-Maßnahmen, auch in die Impfung. Das zerbröselt hierzulande. Eine neue Studie zeigt, dass sich die Deutschen in der Pandemie viel mehr gegängelt fühlen als andere Europäer – obwohl sie eher weniger ertragen müssen. Das dürfte auch am Zickzackkurs der Corona-Politik liegen und an ausufernden Debatten, die es in dieser Intensität in Europa kaum ein zweites Mal gibt.

    Wenn der Wahlkampf vorbei ist, sollte die deutsche Politik umsteuern. Ohne höhere Impfraten droht uns ein schlimmer Corona-Herbst. Es braucht keinen Impfzwang, aber klare Anreize. Und das Verantwortungsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger.

    Wie wäre es mit einem einfachen Deal: Bei 90 Prozent Impfquote unter den Erwachsenen fällt ein Großteil der Corona-Beschränkungen? Länder wie Irland machen es vor. Wir sollten auch aus den Erfolgen der anderen lernen – und nicht nur aus dem Versagen wie damals in Ischgl.