Brüssel. Geld ohne Bedingungen bekommen, das klingt wie ein Traum. Doch das Grundeinkommen findet in Europa wenig Anklang. Woran liegt das?

Das Interesse war riesig: Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland haben sich für das Experiment eines bedingungslosen Grundeinkommens beworben. Sie wollten 1200 Euro monatlich auf ihr Konto überwiesen bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Für 122 Frauen und Männer, die schließlich für die Langzeitstudie ausgewählt wurden, wird der Traum jetzt wahr.

Seit Anfang Juni erhalten die Ausgewählten drei Jahre lang das Grundeinkommen – alles in allem 43.200 Euro – im Rahmen eines spendenfinanzierten Projekts, hinter dem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der gemeinnützige Verein Mein Grundeinkommen stehen.

In Spanien ist man schon weiter: Dort machte die Regierung unter dem sozialistischen Premier Pedro Sánchez am 1. Juni mit einem Grundeinkommen für rund 800.000 arme Haushalte einen ersten Schritt. Nimmt die Idee für ein Sozialsystem mit existenzsichernden Zahlungen an alle ohne Gegenleistung Fahrt auf – in Deutschland und Europa?

Finanzministerium hält Grundeinkommen für "nicht umsetzbar"

Eine Zeit lang sah es so aus, aber jetzt erhält die Bewegung gleich mehrere Dämpfer. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium kommt in einer neuen Studie zu einem verheerenden Ergebnis: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für jede Bürgerin und jeden Bürger in Höhe von 1200 Euro koste fast 900 Milliarden Euro jährlich, selbst wenn man andere Sozialleistungen gegenrechne. Die Steuern müssten stark steigen, Leistungsträger würden das Land verlassen, das Ganze sei vor allem wegen der Finanzierung "nicht umsetzbar", schreiben die Experten.

Und nun droht auch der Versuch der Befürworter zu scheitern, das Thema auf die ganz große politische Bühne zu heben: Nur rund 45.000 Menschen in Deutschland haben innerhalb eines Jahres eine Initiative unterstützt, die ein gesetzliches Grundeinkommen nicht nur hierzulande, sondern in der gesamten EU auf den Weg bringen will – das entspricht gut zwei Prozent derjenigen, die sich für das Pilotprojekt beworben hatten.

"Die Ziele liegen noch weit weg"

Anderswo in Europa ist das Interesse noch geringer: Kurz vor dem ursprünglichen Schlusstermin der Europäischen Bürgerinitiative am 25. September sind statt der einen Million notwendiger Unterschriften nur 144.173 zusammengekommen – obwohl sich sogar online die Initiative unterzeichnen lässt. "Wir sind mit dem bisherigen Ergebnis nicht zufrieden. Die Ziele liegen noch weit weg", sagte Ronald Blaschke, Mitbegründer der Initiative und Koordinator in Deutschland, unserer Redaktion. "Dass sich zwei Millionen Menschen für das Pilotprojekt Grundeinkommen beworben haben, heißt offenbar nicht, dass sich all diese Menschen auch politisch für das Grundeinkommen engagieren."

Dabei war der Weg über Brüssel vielversprechend: Mithilfe des Instruments der Europäischen Bürgerinitiative lassen sich Vorschläge für neue Gesetze direkt bei der EU-Kommission und dem EU-Parlament vorbringen. Im Erfolgsfall reagiert die Kommission mit einem Gesetzesvorschlag, wie es zuletzt Bürgerinitiativen gegen Käfighaltung von Nutztieren und Wasserprivatisierungen gelungen ist.

Für die Grundeinkommensbefürworter hat die Kommission wegen der Corona-Pandemie sogar die Abgabefrist zwei Mal verlängert, zuletzt bis Ende Juni 2022. Doch wie sollte sich das Blatt jetzt noch wenden lassen? Nicht nur fehlen 86 Prozent der Unterschriften. In mindestens sieben der 27 EU-Länder müsste auch jeweils eine Mindestanzahl von Unterstützern erreicht werden (in Deutschland 67.000), nur in Slowenien ist das aber bisher gelungen.

Grundeinkommen: Die Resonanz ist ernüchternd

In Finnland zum Beispiel fanden sich nicht mal 10.000 Unterstützer: Dabei wurde dort die Idee vor drei Jahren in einem staatlichen Großversuch durchgespielt – 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose erhielten unbürokratisch ein Grundeinkommen von 560 Euro und konnten so viel dazuverdienen, wie sie wollten. In Polen haben bisher nicht mal 1000 Bürger die Grundeinkommensinitiative unterstützt, in Frankreich weniger als 10.000. Das könnte Sie interessieren: Wie das bedingunglose Grundeinkommen Hartz IV ablösen könnte

Organisator Blaschke meint: "Einerseits hat die Corona-Pandemie unsere Initiative gebremst. Die Hürde von einer Million Unterstützern ist aber auch sehr schwer zu nehmen. Das zeigen die bisherigen Erfahrungen mit den Bürgerinitiativen." Die meisten Menschen würden dieses Instrument gar nicht kennen. Aufgeben wollen die Organisatoren noch nicht, stattdessen wollen sie nun ihre Aktivitäten verstärken.

Andere Teile der weitverzweigten Bewegung setzen auf lokalen Rückenwind. Eine "Expedition Grundeinkommen" hat in Berlin und Hamburg die erste Hürde auf dem Weg zu einem Volksentscheid genommen. Zudem versucht die Initiative, mit Bürgervoten in anderen Städten staatliche Modellversuche durchsetzen. Auch in diesem Experiment gäbe es drei Jahre lang 1200 Euro monatlich, aber steuerfinanziert.

Doch die Resonanz ist ernüchternd: Bislang haben Deutschlandweit erst 65.000 Menschen ihre Unterstützung angemeldet.