Berlin. Die Delta-Variante verbreitet sich rasant, doch erst die Hälfte der Deutschen ist vollständig geimpft. Fünf Gründe, warum das so ist.

  • Bei den Corona-Impfungen geht es im Vergleich zu anderen EU-Ländern nicht schnell genug voran
  • Deutschland liegt unter dem EU-Schnitt bei den verabreichten Impfungen
  • Das hat mehrere Gründe

Es ist ein beständiger Anstieg: Die Corona-Zahlen in Deutschland legen seit drei Wochen deutlich zu. Hauptverantwortlich ist die inzwischen dominante Delta-Variante des Virus. Sie ist der neue Treiber der Pandemie.

Besonders stark grassiert das Virus derzeit in der Altersgruppe der 15- bis 34-Jährigen. Sie sind meist nicht gegen Covid-19 geimpft – wie die Hälfte der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Erst 49,7 Prozent haben bei uns bislang zwei Dosen der Corona-Impfung erhalten, 61,0 die erste. Lesen Sie hier: Aiwanger lehnt Corona-Impfung ab - Empörung über Interview.

Das ist deutlich unter EU-Durchschnitt, wo nach jüngstem Stand bereits 57 Prozent der Erwachsenen zwei Covid-19-Spritzen bekommen haben und 70 Prozent die erste. Dagegen tritt die deutsche Impfkampagne auf der Stelle, die Impfgeschwindigkeit geht seit einigen Wochen spürbar zurück. Fünf Gründe, warum Deutschland beim Schutz der Menschen vor dem Virus ins Hintertreffen geraten ist:

1. Erst fehlte Impfstoff, dann wurde Terminvergabe schlecht organisiert

Die Freude über das in Deutschland entwickelte Vakzin von Biontech war anfangs groß. Doch weil die EU zu wenig Dosen bestellt hatte, kamen erst andere Staaten wie die USA, Israel und Großbritannien zum Zug.

Deutschland hatte so das Nachsehen. Als der Impfstoff dann bei uns zunächst für Hochbetagte bereitstand, scheiterten viele Senioren an der Terminvereinbarung, weil Hotlines und Onlineportale völlig überlastet waren.

Impf-Flaute: Ein Arzt wartet in einem Thüringer Impfzentrum auf Kundschaft.
Impf-Flaute: Ein Arzt wartet in einem Thüringer Impfzentrum auf Kundschaft. © Eckhard Jüngel | Eckhard Jüngel

2. Das Durcheinander bei Astrazeneca hat viele abgeschreckt

Der Vektor-Impfstoff wurde gemäß einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zunächst nur Jüngeren gespritzt. Nachdem vereinzelt Fälle von Thrombosen auftraten, änderte die Stiko ihre Vorgaben.

Seither wird Astrazeneca zwar für über 60-Jährige empfohlen. Das Vakzin bleibt aber nach ärztlicher Beratung auch für Jüngere zugelassen. Etliche Fachleute gehen nun davon aus, dass Astrazeneca mittelfristig gar nicht mehr in Deutschland verimpft wird. Lesen Sie auch: Corona-Risiko: Ist Urlaub im Hochinzidenzgebiet vertretbar?

3. Für Kinder ab zwölf gibt es einen Impfstoff, aber keine Stiko-Empfehlung

In Deutschland ist bislang nur das Vakzin von Biontech ab zwölf Jahren zugelassen, es wird aber von der Stiko nicht generell für diese Altersgruppe empfohlen. Daher halten sich viele Eltern zurück. Moderna ist neuerdings EU-weit zugelassen, aber (noch) nicht in Deutschland.

Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, äußert deutliche Kritik am Vorgehen der Stiko. „Wenn die Vakzine getestet, geprüft und zugelassen sind, sehe ich keinen Grund, sie nicht zur Impfung zu empfehlen, auch für Jüngere“, sagte Teichert unserer Redaktion. Derzeit seien die Jüngeren am stärksten betroffen, „warum sollten wir diese Altersgruppen nicht vor Corona schützen?“

4. Bei niedrigen Corona-Inzidenzen nimmt die „Impfträgheit“ zu

Die zahlreichen Lockerungen können den Eindruck erwecken, die Pandemie sei schon vorüber. Zugleich haben viele Impfzentren geschlossen und es gibt weniger Impftermine. „Der Druck oder die Verpflichtung, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt dorthin zu gehen, entfällt. Das ist nach meiner Einschätzung ein Grund, warum die Covid-Impfungen derzeit stagnieren“, sagte Teichert. Lesen Sie dazu: So kämpfen andere EU-Länder gegen die Impfmüdigkeit

Wenn sich die Menschen impfen lassen können, wann sie wollen, „verschieben sie es auch öfter und fahren stattdessen erst mal in den Urlaub oder erledigen andere Dinge“, sagte Teichert. Ihre Forderung: „Wir müssen neue Wege gehen und die Leute überall darauf stoßen und ihnen die Impfung im Alltag anbieten.“

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© funkegrafik nrw | Marc Büttner

5. Impfskeptiker lassen sich schwer von einer Immunisierung überzeugen

Hunderttausende Menschen verweigern die Covid-19-Impfung. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagte unserer Redaktion, es müssten jene von ihnen erreicht werden, „die verunsichert sind und Aufklärungsbedarf haben oder für sich keinen individuellen Nutzen der Impfung sehen“. Gassen glaubt: „Grundsätzliche Impfgegner werden wir nicht erreichen.“ Doch eine Impfpflicht, „egal für wen oder welche Gruppe, halte ich für nicht zielführend“.

Unterdurchschnittlich sind die Impfquoten unter anderem bei Menschen mit eher geringem Einkommen. Aber nicht, weil diese generell impfunwilliger seien, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sondern weil die Hürden auf dem Weg zur Impfung für sie höher seien. Wer statt im Homeoffice in der Fabrik oder an der Kasse arbeite, könne nicht mal eben einen Termin ausmachen und sich impfen lassen.

„Man kann nicht mehr in den Praxen oder Impfzentren darauf warten, dass die Leute schon kommen werden“, sagt Schneider. Man müsse mit dem Impfstoff zu ihnen gehen, „in die Wohnviertel, in die Pfarrgemeinden, in die Moscheegemeinden, in Vereine und Kulturclubs von migrantischen Communitys“. Das sei jetzt Aufgabe der Kommunen und Gesundheitsämter.