Berlin. Franziska Giffey legt ihr Amt als Familienministerin wegen Kritik an ihrer Doktorarbeit nieder. In der Politik will sie aber bleiben.

  • Franziska Giffey gibt ihr Amt als Familienministerin auf
  • Damit zieht sie Konsequenzen aus den Diskussionen um ihren Doktortitel
  • Regierende Bürgermeisterin von Berlin will sie dennoch werden

Um 10.48 Uhr am Mittwochmorgen schickt das Bundesfamilienministerin eine E-Mail raus. Betreff: „Persönliche Erklärung von Ministerin Franziska Giffey“. Wenige Minuten zuvor hatte die Ministerin in der morgendlichen Kabinettssitzung die Bundeskanzlerin um ihre Entlassung aus dem Amt gebeten. Weil Merkel wusste, dass Giffey am Ende des Treffens den Kolleginnen und Kollegen noch etwas Wichtiges zu sagen hatte, erteilte sie ihr kurz vor Schluss noch einmal das Wort.

Sehr bewegend sei das gewesen, heißt es nachher von Teilnehmern. Sie nehme die Entscheidung „mit großem Bedauern“ entgegen, erklärt die Kanzlerin später. Die SPD-Politikerin Giffey war seit langem eine, die auch auf Unionsseite viele mochten.

Bundesfamilienministerin, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich zu Beginn der heutigen Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt.
Bundesfamilienministerin, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhalten sich zu Beginn der heutigen Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt. © Bernd von Jutrczenka/dpa | Bernd von Jutrczenka/dpa

Spahn reagiert mit Bedauern – Kritik aus der Opposition

Geradezu traurig klingt Kabinettskollege Jens Spahn an diesem Morgen: „Ich habe sie als Ministerin immer sehr engagiert und sachorientiert erlebt“, sagt der CDU-Gesundheitsminister dieser Redaktion. „Persönlich schätze ich ihre optimistische und immer zugewandte Art. Wir haben über Parteigrenzen hinweg vertrauensvoll zusammengearbeitet und vieles umgesetzt in dieser Legislatur – gerade für Pflegekräfte.“

Harsche Kritik dagegen kommt aus der Opposition: Die Grünen werfen Giffey „scheibchenweisen Umgang mit ihrem Fehlverhalten“ vor: Mitten in der Pandemie, in der vor allem auch Kinder und Familien die Leidtragenden der Krise seien, brauche es ein leistungsfähiges Ministerium. Es wäre besser gewesen, früher reinen Tisch zu machen und das Amt nachzubesetzen.

Prüfung von Giffeys Doktorarbeit: Neues Verfahren führt wohl zu Aberkennung des Titels

In ihrer Erklärung begründet die 43-Jährige den Schritt mit dem laufenden Verfahren zur Überprüfung ihres Doktortitels und den Diskussionen um ihre Dissertation. Giffey hatte nach Plagiatsvorwürfen bereits darauf verzichtet, ihren Titel zu tragen, und musste zuletzt damit rechnen, dass ihr der Titel nun auch formal entzogen wird. „Sollte die Freie Universität in ihrer nunmehr dritten Überprüfung meiner Arbeit zu dem Ergebnis kommen, mir den Titel abzuerkennen, werde ich diese Entscheidung akzeptieren. Bereits heute ziehe ich die Konsequenzen aus dem andauernden und belastenden Verfahren. Damit stehe ich zu meinem Wort“, schreibt sie in ihrer Erklärung.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die FU Berlin habe ihr im laufenden Prüfungsverfahren bis Anfang Juni Zeit für eine Stellungnahme gegeben, die sie auch wahrnehmen werde, so Giffey. Danach solle das Verfahren abgeschlossen werden. Die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Partei und die Öffentlichkeit hätten aber schon jetzt Anspruch auf Klarheit und Verbindlichkeit.

Daher habe sie sich entschieden, die Bundeskanzlerin um Entlassung zu bitten. Ihre Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin bleibe von ihrer Entscheidung, als Familienministerin zurückzutreten unberührt, erklärte Giffey weiter. „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich.“

Zunächst Rüge für Giffey nach Prüfung der Arbeit

Die Dissertation stammt aus dem Jahr 2010. Die FU hatte Giffey im Herbst 2019 nach Plagiatsvorwürfen wegen Mängeln in ihrer Dissertation eine Rüge erteilt, ihr aber den Doktortitel nicht entzogen. Nach Kritik an diesem Verfahren kündigte die FU eine erneute Prüfung durch ein neues Gremium an. Die Rüge wurde zurückgenommen. Bereits in der ersten Maiwoche hatte die FU bekanntgegeben, dem Präsidium liege inzwischen der Bericht des neuen Prüfgremiums vor.

Nach einem Medienbericht soll sich die Prüfungskommission für die Aberkennung des Doktortitels ausgesprochen haben. Überraschend kam Giffey Schritt daher für viele nicht. „Es lag in der Luft“, heißt es im Regierungsumfeld. Doch dass der Schritt an diesem Mittwoch kommen würde – das hatten die wenigsten erwartet.

Giffeys Nachfolgerin soll Christine Lambrecht werden

Giffey legt das Amt zum Ende des Monats nieder. Dann sind es noch knapp vier Monate bis zur Bundestagswahl am 26. September. Die SPD will den Posten der Familienministerin nicht nachbesetzen. Kommissarisch soll Justizministerin Christine Lambrecht die Arbeit übernehmen. Das liegt nahe, weil Lambrecht und Giffey bei vielen Themen zuletzt eng zusammengearbeitet hatten – etwa bei der Frauenquote für die Vorstände oder der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.

Ungewöhnlich ist das Verfahren nicht: 2017 wurde SPD-Generalsekretärin Katarina Barley kurz vor der Bundestagswahl Familienministerin, nachdem Amtsvorgängerin Manuela Schwesig kurzfristig Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern geworden war. Nach der Wahl übernahm Barley zusätzlich kommissarisch die Leitung des Arbeitsministeriums, nachdem Arbeitsministerin Andrea Nahles Fraktionschefin geworden war. Barley wurde dann im März 2018 Justizministerin in der neuen Bundesregierung – und Franziska Giffey übernahm das Familienressort.

Giffeys letzte Tage als Ministerin – wie eine Abschiedstour

Die letzten Tage lesen sich im Nachhinein wie eine Abschiedstour: Wenige Stunden vor ihrem Rücktritt hatte Giffey im rbb die Rückkehr aller Schülerinnen und Schüler zum Regelbetrieb gefordert. Man könne nicht nur über die Öffnung der Biergärten reden, sondern müsse auch darüber reden, wie Kinder und Jugendliche wieder Normalität bekommen könnten.

Am Tag zuvor hatte sie für den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen geworben. „Es ist etwas, was viele Menschen in Deutschland von uns erwarten“, so Giffey in ihrer Rede zur Eröffnung des 17. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetages am Dienstag. Am Montag hatte sie zentrale Felder künftiger Familienpolitik benannt – unter anderem: gerechte Chancenverteilung für Kinder, aufholen, was in der Pandemie unter die Räder geraten ist.

Lesen Sie auch: Giffey: Kita- und Schulöffnung geht nur ohne Abstandsregeln

Giffey hält an Kandidatur für Berlin fest

Ob sie das als Regierende Bürgermeisterin von Berlin umsetzen kann? Gut vier Monate vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin sieht eine neue Umfrage die Grünen in der Hauptstadt weiter in Führung. In der am Dienstag veröffentlichten Insa-Umfrage kommt die Partei von Spitzenkandidatin Bettina Jarasch auf 25 Prozent.

Die SPD mit Spitzenkandidatin Giffey liegt bei 20 Prozent. Giffey hat zwar das Handicap der Plagiatsaffäre, aber eben Beinfreiheit für die Aufholjagd. CSU-Generalsekretär Markus Blume ätzt bereits in Richtung der Noch-Ministerin: „Faktisch nimmt sie sich also nur eine Auszeit, um sich auf den Wahlkampf für den Posten der Regierenden Bürgermeisterin zu konzentrieren.“