Berlin. Kann man Grundrechte von Corona-Geimpften noch beschränken? Bei “Anne Will“ wurde darüber diskutiert. Söder holte zum Rundumschlag aus.

Der vergangene Mittwoch war der bisher erfolgreichste Impftag in Deutschland: Mehr als 1 Million Menschen haben an diesem Tag die Spritze, die vor Corona schützt, erhalten. "Die Einstiche werden mehr", frohlockt Anne Will daher am Sonntagabend leicht salopp. Mittlerweile sind 26,9 Prozent der Bundesbürger mindestens einmal geimpft, 7,7 Prozent haben vollständigen Impfschutz.

Ein Entwurf von Justizministerin Christina Lambrecht (SPD) sieht nun vor, dass für Geimpfte viele der bisher auferlegten Beschränkungen wegfallen sollen. Impfstoff als Diskussionsstoff bei Anne will und ihren Gästen. Auch interessant: Donuts, Aktien, Joints - wo man für die Impfung belohnt wird

"Anne Will" - Das waren die Gäste am 2. Mai:

  • Christine Lambrecht (SPD, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz)
  • Markus Söder (CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern)
  • Christiane Woopen (Vorsitzende des Europäischen Ethikrats)
  • Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln)
  • Martin Stürmer (Virologe)

Alle Mitglieder der Bundesregierung haben in den vergangenen Monaten und noch bis vor sehr kurzer Zeit vor allem über Einschränkungen und Beschränkungen gesprochen, um den Zahlen in der Corona-Pandemie Herr zu werden. Nun bringt Bundesjustizministerin Christina Lambrecht (SPD) einen ganz ungewohnten Zungenschlag der Lockerung in die Diskussion. Bisher kannte man den nur von der Opposition.

Grundrechte sind kein Bonbon

Vor dem Hintergrund, dass die Inzidenzen seit einer knappen Woche rückläufig sind und somit das exponentielle Wachstum in der dritten Welle gebrochen scheint, sagt sie: "Die Grundrechte sind weder ein Bonbon noch ein Privileg."

Weil Geimpfte nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts nicht mehr als infektiös gelten, könne man deren Grundrechte auch nicht mehr länger beschränken. Als Rechtsstaat habe man da "keinen Spielraum mehr". Lambrecht denkt da vor allem an Erlass der Kontaktbeschränkungen und Rückgabe der Bewegungsfreiheit. Aber sie stellt auch klar: "Das Grundrecht auf Eröffnen eines Restaurant gibt es nicht."

Das sieht Europa-Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen allerdings anders. Sie findet, dass es eine viel größere Einschränkung sei, sein Restaurant nicht öffnen und damit auch seinen Beruf nicht ausüben zu können, als beispielsweise abends nicht spazieren gehen zu dürfen. Und sehr erwartbar stimmt auch Wirtschaftslobbyist Michael Hüther dieser Meinung zu.

Christiane Woopen (Vorsitzende des Europäischen Ethikrats) bei
Christiane Woopen (Vorsitzende des Europäischen Ethikrats) bei "Anne Will". © NDR/Wolfgang Borrs

Die Grundrechte stünden an erster Stelle. "Die Frage der Berufsausübung kommt dann aber sehr schnell", sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Er mahnte an, dass man generell zu wenig über strukturierte Wiedereröffnung spreche.

Will hakt nach bei Lambrecht

Auch in den meisten Seniorenheimen gelten noch immer erhebliche Einschränkungen - und das, obwohl Bewohner und Pfleger mittlerweile größtenteils durchgeimpft sein dürften. Besuche von Angehörigen und gemeinschaftliche Aktivitäten bleiben weitestgehend unmöglich.

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Anne Will möchte daher von Justizminsterin Lambrecht wissen, warum es bisher keine bundesweit einheitlichen Regeln für Senioren- und Pflegeheime gebe. Lambrecht schlägt erst einige rhetorische Haken, und argumentiert, dass man ja erst wissen musste, ob Geimpfte auch noch ansteckend seien. Doch Anne Will hakt nach: "Und seit wann wissen Sie es? Seit 31.3. - jetzt ist der 3. Mai."

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Offenbar vertut sich Anne Will im Eifer des Gefechts um einen Tag. Aber das spielt keine entscheidende Rolle, Lambrecht hat die Verordnung erst in der vergangenen Woche mit viel Kraftanstrengung auf den Weg gebracht, wie sie betont. "Warum hatten Sie nicht einen vorbereiten Entwurf in der Schublade?", hakt Will bissig nach. Die Frage bleibt unbeantwortet.

Söder will Vorsicht walten lassen

Auch der zugeschaltete bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mischt sich ein. Die Gefährdung in Altersheimen sei eben höher, darum müsse man besondere Vorsicht walten lassen. Und dann holt er aus zum Rundumschlag als Klassensprecher des "Teams Vorsicht" aus: Dass man auf Escape-Varianten aufpassen müsse und Leichtsinn nicht angebracht sei. "Keiner darf jetzt glauben: Zweimal gepiekst und das war‘s jetzt – das wird Alltag der nächsten Jahre werden."

Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln), Christine Lambrecht (SPD), Anne Will (Moderatorin), Christiane Woopen (Vorsitzende des Europäischen Ethikrats), Martin Stürmer (Virologe, v.l.) und zugeschaltet Markus Söder (CDU) diskutierten die Frage, ob die Grundrechte von Corona-Geimpften noch weiter eingeschränkt werden können.
Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln), Christine Lambrecht (SPD), Anne Will (Moderatorin), Christiane Woopen (Vorsitzende des Europäischen Ethikrats), Martin Stürmer (Virologe, v.l.) und zugeschaltet Markus Söder (CDU) diskutierten die Frage, ob die Grundrechte von Corona-Geimpften noch weiter eingeschränkt werden können. © NDR/Wolfgang Borrs

Das Leben nach Corona werde ein Leben mit Corona - damit schließt sich Söder einer gängigen Meinung an - und spricht sich für einen pragmatischen Umgang mit der Situation aus. Er sei "sehr dafür, dass wir Geimpfte und Genesene gleichstellen mit jemanden, der getestet ist". Zudem müsse "einfach mehr Tempo ins Impfen kommen", deshalb sei er auch für die baldige Aufhebung der Priorisierung und das baldige Einbinden von Betriebsärzten beim Impfen.

Und doch hat er Sorge, dass das Impfen wegen fehlender Freiwilliger ins Stocken kommen wird: "Wir werden Ende Mai, Anfang Juni in die Situation kommen, dass wir fürs Impfen werben müssen."

Ethikrat-Chefin gegen Ende der Priorisierung

Noch sind die Impfstoffe aber ein rares und begehrtes Gut. Und so spricht sich die Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen deutlich gegen ein Ende der Priorisierung aus, um die Gesellschaft nicht zu spalten. "Das heißt doch: Leute, jetzt ist Wettrennen angesagt!" Sie plädiert für Monitoring-Studien und Datenerhebung, was Antikörper-Wirkdauer angeht. "Nicht weiter diese Dunkelfeldoperationen", fordert sie von der Politik.

Virologe warnt vor Mutationen

Doch der Virologe Martin Stürmer kann bei all dem eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Er ist ein Gegner vorschneller Freigaben auch für Geimpfte. "Wir haben ein Restrisiko, dass wir uns weiter anstecken können, das Virus weiterverbreiten können." Und bei hoher Inzidenzen steige somit die die Gefahr, dass sich Viren-Mutationen entwickeln, die gegen Impfungen resistent sind.

Er spüre auch den Druck zur Freigabe für Geimpfte überhaupt noch nicht. Seine einleuchtende Erklärung: Viele seien ja in der Gruppe über 80. Und bei denen befürchte er auch nicht, dass sie "gleich in die nächste Diskothek rennen, um eine Geimpftenparty zu machen".

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