Berlin. Einsamkeit und Geldsorgen plagen viele Studierende. An den Hochschulen läuft das zweite Online-Semester – hart an der Belastungsgrenze.

Seit sie im vergangenen Herbst ihr Masterstudium in Frankfurt am Main begonnen hat, hat Carlotta Kühnemann ihren neuen Campus ein Mal gesehen. Seminare, Vorlesungen, Gespräche mit Kommilitoninnen und Kommilitonen – was vor Corona in Hörsälen und Seminarräumen stattfand, ist jetzt online.

Neue Freunde trifft man nicht auf Partys, sondern maximal zum Spazierengehen. „Es ist schwierig“, sagt die 25-Jährige. Doch immerhin wisse sie schon, wie ein Studium funktioniert. „Ich will mir nicht ausmalen, wie es für Leute ist, die jetzt anfangen, zu studieren.“ Lesen Sie auch: Corona: Über ein Drittel aller Studentenhilfen abgelehnt

Corona: Fokus der Politik liegt meist auf Kitas und Schulen

Wenn es darum geht, was die Pandemie mit Bildungswegen in Deutschland macht, liegt der Fokus auf denen, die am meisten Hilfe brauchen – Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen. Studierende, die auf eigenen Beinen stehen, stehen dagegen selten im Zentrum der Debatte.

Doch nach zwei Semestern, die fast vollständig online stattgefunden haben, und ohne Aussicht auf eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität im kommenden Sommersemester kommen auch unter den jungen Akademikern viele an ihre Belastungsgrenze.

Verband: Isolation im Lockdown ist das größte Problem

Kühnemann ist im Vorstand des Freien Zusammenschlusses der Student*innenschaften (fzs), des Dachverbands der Studierendenvertretungen in Deutschland. Der Verband vertritt rund 850.000 Studierende in Deutschland – von denen es vielen im Moment gar nicht gut gehe, sagt Kühnemann. Das größte Problem sei die Isolation.

Zwar laufen Seminare und Vorlesungen digital einigermaßen ruckelfrei. Doch lernen muss jeder und jede für sich allein, und vieles von dem, was ein Studium neben dem Stoff ausmacht, findet nicht mehr statt. „Der Alltag bewegt sich zwischen Kühlschrank, Bett und Schreibtisch“, sagt Kühnemann. „Die Leute sind die ganze Zeit zu Hause.“ Viele hätten auch das Gefühl, dass die Arbeitsbelastung mit der digitalen Lehre gestiegen sei. Lesen Sie hier: Corona: Studenten müssen immer mehr Miete bezahlen

Corona-Pandemie schlägt auf die Psyche der Studierenden

Für viele Studierende hat das Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. So berichten in einer (nicht repräsentativen) Online-Umfrage der Studierendenvertretungen in Niedersachsen knapp 70 Prozent der rund 1900 Befragten von Konzentrationsproblemen.

Die Hälfte gibt an, seit Beginn der Online-Lehre niedergeschlagen zu sein, und fast 30 Prozent leiden unter Schlafstörungen. Gerade mal ein Fünftel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erklärt, durch das Studium unter Corona-Bedingungen keine zusätzlichen psychischen Belastungen zu erleben.

Corona lässt Einnahmequellen plötzlich verschwinden

Doch es nicht nur die Einsamkeit, mit der viele Studierende kämpfen: Geschlossene Bars und Cafés bedeuten nicht nur weniger Kontakte, sondern auch plötzlich verschwundene Einnahmequellen. Mit dem Lockdown sind zahlreiche klassische Nebenjobs für Studierende nicht mehr möglich. Das Ergebnis sind große finanzielle Sorgen für viele junge Menschen.

Auch für Studierende gibt es Hilfe aus der Politik: Wer nachweisen kann, pandemiebedingt in eine Notlage geraten zu sein, kann die Überbrückungshilfe für Studierende beantragen, jeweils einzeln für November und Dezember des vergangenen Jahres und für Januar, Februar, März dieses Jahres.

100 bis maximal 500 Euro im Monat können sie auf diese Weise bekommen. Rund 83.000 Anträge wurden im November und Dezember gestellt, gab das Deutsche Studentenwerk (DSW) im Januar bekannt. 65 Prozent der November-Anträge wurden bewilligt, für Dezember waren es 74 Prozent.

„500 Euro reichen oft nicht zum Leben“

Doch in vielen Universitätsstädten würden 500 Euro nicht reichen zum Leben, sagt Kühnemann. Und für diejenigen, deren Anträge abgelehnt werden, bedrohe die Ablehnung ihr Studium. Sie bekomme täglich mehrere Anrufe von Studierenden, die keine Überbrückungshilfe bekommen.

„Da sagen viele, dass sie jetzt überlegen müssen, das Studium abzubrechen, weil sie es nicht mehr finanzieren können“, erzählt Kühnemann. Auch interessant: Corona-Krise: 40 Prozent der Studierenden haben Job verloren

Schrittweise raus dem Lockdown?

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    Bildungsministerium: Unterstützung im Rahmen des Möglichen

    Noch für März können Studierende die Hilfe beantragen, wie es danach weitergeht, ist offen. Man beobachte die Situation sorgfältig, heißt es dazu aus dem Bundesbildungsministerium.

    Es bleibe ihr Anspruch, denen, die pandemiebedingt in eine Notlage geraten sind, im Rahmen des Möglichen und Sinnvollen Unterstützung zu gewähren, damit sie ihr Studium fortsetzen können, sagte Bildungsministerin Anja Karliczek unserer Redaktion. „Ich denke, dass dies der Bundesfinanzminister ähnlich sehen wird.“

    Für Studienkredite sei die Entscheidung schon gefallen: Die Zinsbefreiung für Studienkredite, die im vergangenen Jahr eingeführt wurde, gelte „noch bis Ende dieses Jahres weiter“, so Karliczek. Ursprünglich war auch die Befreiung bis Ende März befristet gewesen.

    Technisch hat die Umstellung auf Online-Lehre geklappt

    Dass die Situation für die Studierenden derzeit schwierig ist, weiß auch Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Technisch habe die Umstellung auf Online-Lehre im vergangenen Jahr gut geklappt, die Hochschulen hätten „Vorzügliches geleistet“, sagt Alt. Viele Dozierende hätten in kurzer Zeit Formate der Lehre entwickelt, die auch digital funktionieren, „bis hin zu aufwendigen technischen Simulationen von Versuchen, die man sonst direkt vor den Studierenden durchgeführt hat“.

    Doch die sozialen Auswirkungen, sagt auch er, seien nicht zu unterschätzen. „Viele haben ihren Hochschulort verlassen, etliche sind zu ihren Eltern gezogen, um Kosten zu sparen“, sagt Alt. Junge Menschen würden so bei den ersten Schritten in ein selbstständiges Leben ausgebremst. „Das ist frustrierend und belastend.“ Mehr zum Thema: Kann jetzt jeder Medizin studieren? Antworten zum NC-Urteil

    Regelstudienzeit in 15 Bundesländern verlängert

    Alt begrüßt es deshalb, dass 15 von 16 Bundesländern mittlerweile entschieden haben, die Regelstudienzeit zu verlängern. Zudem gebe es etliche Bundesländer, die bei den Prüfungen großzügig seien und „Freischuss“-Regelungen getroffen hätten. Damit wird geregelt, dass nicht bestandene Prüfungen ohne negative Auswirkungen auf das Studium wiederholt werden können.

    Langfristig sieht Alt aber auch Chancen in der aktuellen Situation. Dass zum Beispiel Studierende zeitlich flexibel sind, wann sie die Online-Übertragungen von Vorlesungen hören, sei ein Vorteil. „Das ist eine Erleichterung, die wir auch in der Zukunft berücksichtigen sollten“, sagt der HRK-Chef. Viele Hochschulen würden auch Hybridformate erwägen, bei denen Studierende entscheiden könnten, ob sie eine Veranstaltung im Hörsaal oder zu Hause hören.

    Auch Kühnemann erkennt Vorteile in der digitalen Lehre. Plötzlich würden Dozierende Materialien hochladen, die das vorher nie getan hätten. Trotzdem, sagt sie, dürfe es nicht passieren, dass auch nach Corona nur online gelehrt wird. Carlotta Kühnemann will ihren Campus irgendwann wiedersehen.