Moskau/Berlin. Kurzer Prozess: Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist in Russland zu mehr als zwei Jahren Haft in einem Straflager verurteilt worden.

Das Moskauer Stadtgericht glich am Dienstag einem Hochsicherheitstrakt. Das Gebäude wurde von Hundertschaften der auf Antiterroreinsätze spezialisierten Sonderpolizei Omon bewacht und weiträumig mit Metallgittern abgesperrt. Drinnen lief der Prozess über eine Haftstrafe für Alexej Nawalny, den prominentesten Widersacher von Präsident Wladimir Putin. Am Ende der Verhandlungen verurteilte das Gericht Nawalny zu mehr als zwei Jahren Haft in einem Straflager.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Nawalny mehrfach gegen Bewährungsauflagen in einem Strafverfahren von 2014 verstoßen hatte. Deshalb wurde die damals verhängte dreieinhalbjährige Bewährungsstrafe nun in eine echte Haftstrafe umgewandelt, wobei ein früherer Hausarrest von der Zeit abgezogen wird.

„Ich war in Deutschland in Behandlung“, hatte Nawalny dazu im Gerichtssaal vor dem Urteil der vom Kreml eingesetzten Richterin Natalia Repnikowa gesagt. Der Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin hatte sich in Berlin und Baden-Württemberg fünf Monate lang von einem Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholt. Lesen Sie hier:Russischer Geheimagent gibt wohl Giftanschlag auf Nawalny zu

Nawalny zu Straflager verurteilt: Anhänger rufen zu Demo auf

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils riefen Anhänger Nawalnys auf Twitter zu einer sofortigen Demonstration in Moskau auf. Schon vor dem Gerichtstermin hatte es mehr als 230 Festnahmen gegeben. Lesen Sie hier:Nawalny-Proteste – Polizei reagiert mit Tränengas und Gewalt

Nawalny nutzte den Auftritt vor Gericht für einen neuen Angriff auf den Präsidenten. Der Kremlchef werde als „Wladimir, der Vergifter der Unterhosen“ in die russische Geschichte eingehen, sagte er, wie verschiedene Kanäle im Nachrichtendienst Telegram berichteten. Nawalny machte für das Nowitschok-Attentat Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB verantwortlich.

Doch auch ohne ihren Anführer verfügt die Protestbewegung über Schlagkraft. Das „Team Nawalny“, das aus einer Gruppe von Vertrauten besteht, ist ähnlich lang im oppositionellen Kampf gestählt wie der inhaftierte Nawalny.

Leonid Wolkow gehört zum „Team Nawalny“

Das gilt zuallererst für Leonid Wolkow. Der korpulente 40-Jährige mit dem dunklen Vollbart mag zwar äußerlich weniger scharfe Konturen zeigen als Charakterkopf Nawalny. In Wahrheit aber ist Wolkow so etwas wie das „Superhirn“. Der Sohn eines Mathematik-Professors und einer Informatikerin ist Computer-Nerd, Wahlkampf-Guru und Topmanager in einem. Wolkow steuert die „technische Abteilung“ des Teams. Wer im Einzelnen dazugehört und wie genau Wolkows Leute arbeiten, darüber hüllen sie sich in Schweigen. Das aufwendig gestaltete und unter spektakulärem Drohneneinsatz recherchierte Skandalvideo Nawalnys über „Putins Palast“ belegte zuletzt aber, über welche Möglichkeiten Wolkows Cyberguerilla verfügt.

Leonid Wolkow steuert die „technische Abteilung“ des „Teams Nawalny“.
Leonid Wolkow steuert die „technische Abteilung“ des „Teams Nawalny“. © imago/ITAR-TASS | imago stock

Das zeigte sich auch an den jüngsten Protestwochenenden. Wolkows Abteilung lenkte die Kundgebungen in dem riesigen Land zwischen Pazifik und Ostsee vor allem über den kaum zu entschlüsselnden Messengerdienst Telegram. Der IT-Spezialist aus der Ural-Metropole Jekaterinburg unterstützte lange Zeit den 2015 ermordeten liberalen Oppositionsführer Boris Nemzow. Er saß mehrfach in Haft. Auf Wolkow geht auch die Strategie des „Smart Votings“ zurück. Kluges Abstimmen heißt, dass Nawalnys Team bei Wahlen immer den aussichtsreichsten Gegenkandidaten der Kremlparteien unterstützt – egal, welchem Lager er angehört.

Wladimir Putin- Das ist Russlands Staatsoberhaupt

weitere Videos

    Nach außen hin verkaufen kann diese Strategie niemand besser als die 33-jährige Ljubow Sobol. Die redegewandte Einser-Juristin ist so etwas wie das Gesicht des Teams Nawalny. Sie sucht die Öffentlichkeit und sorgt für Reichweite. Weniger stark im Rampenlicht steht das Anwaltsduo Olga Michailowa und Wadim Kobsew, die für Nawalny schon mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben – meist erfolgreich.

    Undenkbar aber wäre der Putin-Herausforderer ohne seine Ehefrau Julia Nawalnaja. Als ihr Ehemann wegen des Giftanschlags im August den 20. Hochzeitstag verpasste, holte er den Dank mit den Worten nach: „Julia, du hast mich gerettet.“ Das war grundsätzlich gemeint. Lesen Sie hier:Kreml-Kritiker Alexej Nawalny: Politik ist Familiensache